Was schön war, Samstag, 10. September 2016 – Worte finden
Gestern konnte man mir auf Twitter beim Denken zuschauen. Ich hatte in den Unterlagen von Weldens einen Bericht gefunden, in dem er seinen Atelierinhalt beschreibt, der bei einem Bombenangriff auf München im Oktober 1943 zerstört wurde. Die erste Seite von vieren fehlte, auf der vielleicht eine Adresse oder ein Empfänger gestanden hätte. Ich wusste nicht, für wen man derartige Berichte verfasst – eine Versicherung schien mir eher unwahrscheinlich. Aber für wen dann? Wieder ein Aspekt der NS-Zeit, mit dem ich mich noch nie beschäftigt hatte – dem Bombenkrieg. Also ab in die schlaue Bibliothek und los mit dem Denken.
Okay, ins Denken musste ich erst langsam reinkommen.
Wie JEMAND mal in die Stabi fuhr und erst am Schließfach merkte, dass JEMAND eigentlich ins Historicum wollte.
— ankegroener (@ankegroener) 10. September 2016
Dann fiel mir eine Floskel auf, die ich dauernd benutze, die mir auf einmal sehr unpassend erschien. Die müsste ich mir in der Werbung angewöhnt haben, wo sonst überhöht man nutzlosen Scheiß bis ins Unermessliche.
Gewöhne mir gerade die Floskel „ist nicht kriegsentscheidend" ab, wenn ich keine guten Belege finde. pic.twitter.com/ndoLNbOMdP
— ankegroener (@ankegroener) 10. September 2016
Das Buch Als Feuer vom Himmel fiel fand ich, der Titel lässt es schon ahnen, eher populärwissenschaftlich, die Aufsätze waren teilweise eher angerissene Gedanken, Fußnoten gab’s auch kaum. Bombenkrieg gegen Deutschland ist schon recht alt (1990, wenn ich mich richtig erinnere), daher blätterte ich das auch eher durch. Viel Bildmaterial, das ich interessant fand, meine Frage aber nicht beantworten konnte. Neben diesen Büchern stand übrigens David Irving im Regal, der sicher was total Sinnvolles zum Bombenkrieg zu sagen hatte. *hust*
Immerhin fand ich beim Durchblättern das Stichwort „Entschädigung“, und so googelte ich einfach mal nach „bombenschaden entschädigung“ oder ähnlich. Dabei stieß ich auf diesen Spiegel-Artikel, wo das Stichwort „Fliegerschadenstellen“ fiel. Das klang gut, das hätte ich gerne als anständige Quelle. Außerdem fand ich bei Google einen Bund der Fliegergeschädigten; den kannte ich auch noch nicht.
Ich griff zum Buch Fliegerlynchjustiz, eine sehr aktuelle Dissertation, die vielversprechend erschien und sehr lesbar war. Das Buch erwies sich auch in anderer Hinsicht als positiv – ich las, meiner Meinung nach das erste Mal, die Formulierung „Juden und Jüdinnen“, „Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen“ etc. Geschlechtergerechte Sprache in der Wissenschaft. Dass ich das noch erleben darf. Wurde sofort vertwittert, worauf sich das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit aus Berlin meldete:
@ankegroener Bei uns eine Selbstverständlichkeit, vor allem, um deutlich zu machen, dass es nicht nur Männer wären. https://t.co/copVuZHAqI
— Doku NS-Zwangsarbeit (@dznsza) 10. September 2016
In diesem Buch fand ich zwar keine „Fliegerschadenstelle“, aber immerhin den Hinweis, dass Fliegerangriffe der Alliierten seit 1942 im offiziellen Sprachgebrauch „Terrorangriffe“ hießen, was sich schnell in der Umgangssprache durchsetzte (S. 114). Damit erklärt sich auch die Überschrift des Berichts von Weldens, der ihn mit „Sachschaden durch den Terrorfliegerangriff München am 2/3. Oktober 1943“ überschrieben hatte.
Für meine Zwecke war dann das ebenfalls gut lesbare Volksgenossinnen an der Heimatfront perfekt; in ihr fand ich den Begriff des „Kriegsschädenamts“, dessen Bestände brav im Münchner Stadtarchiv liegen. Wäre interessant zu sehen, ob der Bericht von Weldens sich dort wiederfindet.
Ich fügte die neuen Erkenntnisse meiner Arbeit hinzu und musste an eine DM denken, die mir F. vor ein paar Tagen geschickt hatte. Er kennt mich so gut.