Was schön war, Freitag, 9. September 2016 – Stimmen
„Was mich bei den Franzosen immer begeistert ist, daß sie beim kleinsten Format nicht kleinlich werden u. die nötige Haltung wie die grosse Form wie auch Geschmack bewahren. Es wird nicht literarisch, nicht kleinlich-lokal, nicht bloß erzählerisch u. illustrativ, oder nur dem Motiv nachhängend, oder in der farbigen Tönung vernachlässigt, sondern immer zuerst künstlerisch. Da ist die Malerei selbstbewußt u. äußerst [unleserlich. privat?]. Für sie ist der anständigste Mensch ein Maler, nicht ein Literat wie bei uns.“
Leo von Welden auf einer Postkarte an die Familie von Hermann Böcker, 10. Dezember 1936, in der er sie bittet, sich mit ihm eine Ausstellung französischer Maler anzuschauen, die gerade im „Bibliothekbau des Deutschen Museums“ hängen. „[B]in bis 12 – 1/2 13 dort.“
Ich bin immer noch nicht damit fertig, den dicken Ordner durchzugucken, den ich Montag von der Tochter bekommen habe. Zunächst scannte ich die ganzen Ausstellungs- und Auftragsbelege ein und fügte sie meiner Arbeit hinzu, dann saß ich wieder in der Stabi, um noch ein bisschen was zum Reichsarbeitsdienst und den Propagandakompanien zu lernen. Das macht mich seit zwei Wochen irre, dass ich nicht verstehe, wie von Welden Ende 1941 als Kriegsmaler vom Reichsarbeitsdienst eingesetzt werden konnte. War das freiwillig? Konnte er beordert werden? Wieso überhaupt der RAD, wenn es doch besagte Propagandakompanien gab, in denen (meist) pro Kompanie ein Maler und zwei Zeichner unterwegs waren?
Von Welden wurde im November 1944 zur Wehrmacht eingezogen und bat sofort einen Bekannten aus Berlin („Der Presse- und Propagandachef, Sachgebiet: Kunst, Berlin, Schinkelstraße 1–7“), dessen Namen ich blöderweise nicht entziffern kann und den auch die Tochter nicht kennt (Fischer?) um eine Versetzung in eine PK. Auf einer Feldpostkarte aus Ingolstadt (dort war er stationiert) vom Januar 1945 schreibt er seiner zukünftigen zweiten Ehefrau, dass er noch darauf wartet, dass diesem Antrag stattgegeben wird, währenddessen zeichnet er seine Kameraden. Die Zeichnungen habe ich noch nicht im Nachlass gefunden, falls sie überhaupt noch existieren.
Worum es mir geht: War die Arbeit für den RAD vielleicht freiwillig bzw. einfach ein bezahlter Auftrag? Das hätte für mich ein anderes Geschmäckle als ein Pflichtdienst. Über den RAD gibt es recht wenig Literatur und noch weniger, wenn es um kulturelle Leistungen geht, aber falls eine*r der mitlesenden Historiker*innen ein Tipp für mich hätte, bitte gerne her damit. Ich drücke mich in meiner Arbeit um eine definitive Aussage, weil ich sie schlicht nicht habe bzw. werte diese Arbeit nicht, sondern erwähne sie nur, bin aber fürchterlich neugierig.
Die Feldpostkarte war ein Auszug aus seiner Korrespondenz, die ich gestern erstmals las. Bis jetzt war ich schlicht damit beschäftigt, Ausstellungen und Aufträge nachzuweisen, die noch nicht in der Literatur auftauchten, dafür brauchte ich noch keine Briefe oder Postkarten. Aber gestern las ich endlich mal ein bisschen davon. Das hat mich emotional mehr erwischt, als ich dachte, denn zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, seine Stimme zu hören. Ein paar Sätze kannte ich schon aus der Literatur, aber einen längeren Text von ihm, und sei es nur eine Postkarte, kannte ich noch nicht. Und erst recht nicht über Kunst, denn darüber hat er angeblich nie gerne geredet. Umso schöner, dieses Zitat von ihm gefunden zu haben. Ich mag es auch so gerne, weil es zu meinen eigenen Beobachtungen passt. Gerade in den 1920er Jahren hat er irrwitzig kleinformatig gearbeitet, aber trotzdem ebenso irrwitzig detailreich. Ich mag die Formulierung „im kleinsten Format nicht kleinlich werden“ sehr.
Ich muss zugeben, ich hatte einen winzigen Kloß im Hals, je mehr ich von ihm las. Ich sollte mich wieder mit Gebäuden beschäftigen, die nehmen mich nicht so mit.