Was schön war, Montag, 23. Januar 2017 – Thinker’s High
Vormittags an der Amnesty-Arbeit rumgepuschelt, dann mein Gehirn im Rosenheim-Seminar durchkneten lassen, danach in der Stabi die vorerst letzte Korrekturschleife für Amnesty gedreht, nach Hause gefahren und dabei die ganze Zeit ein dickes Grinsen im Gesicht gehabt.
Mir ist gestern wieder ein Satz eingefallen, den mir F. schon im Bachelor mit auf den Weg gegeben hatte, als ich bei irgendeiner Arbeit in der Literatur versank und hilflos in den ganzen Fakten zappelte, die nicht so waren, wie ich mir das vorgestellt hatte. Einer seiner Professoren hatte mal gesagt: „If you know what you’re doing more than half of the time, it’s not research.“ Der Satz hatte damals geholfen, mir darüber klarzuwerden, dass es mein Job als Wissenschaftlerin ist, alles anzuzweifeln. Vor drei, vier Semester schüchterte mich das noch ein, aber inzwischen – ich erwähnte es neulich schon mal – ist es genau das, was mir beim Studieren so viel bedeutet. Dauernd klickt irgendwas im Kopf, dauernd fällt mir irgendetwas ein zu irgendetwas anderem, was ich schon mal gehört oder gelesen habe und schon steht eine neue Frage im Raum, eine neue Definition, ein neues Feld, das sich vor mir öffnet und das ich durchackern kann. Mir fiel gestern dazu der Begriff Thinker’s High ein in Anlehnung an das Runner’s High, das sich einstellt, wenn deine Endorphine dafür sorgen, dass du einfach besinnungslos weiterläufst, weil’s so toll ist. So geht es mir inzwischen bei jeder Bibliothekssitzung – ich merke zwar, dass ich immer noch viel zu wenig weiß, aber es macht mir keine Angst mehr, ganz im Gegenteil. Ich sehe eine Langstrecke vor mir und anstatt dass ich an ihr verzweifele, schnappe ich mir Stift und Notizbuch und Laptop und Post-its und mache mich auf den Weg.
Mir ist gestern auch aufgefallen, wo der Unterschied zur Werbung liegt. Dort habe ich schließlich auch geistige Arbeit geleistet, und ich habe mich schon oft gefragt, warum ich bei der nicht so oft Erfolgserlebnisse hatte wie jetzt im Studium (dafür hatte ich Geld, das war auch super). Aber in der Werbung waren die Dinge, die ich gelesen habe, schlicht andere. Ich bekam Briefings und technische Spezifikationen, und mein Job war es nun, Marketinggewäsch und Technogeblubber in Kundenvorteile umzutexten. Das war’s. Keine großen Entdeckungen, kein Anzweifeln (bloß nicht!), sondern quasi Ãœbersetzen. Dinge, die andere sich ausgedacht hatten, hübsch formulieren. Das ist auch eine Fähigkeit, ich will mein Licht hier gar nicht unter den Scheffel stellen; dass ich einen guten Job gemacht habe, merke ich bei allen beschissenen Copys, die ich lese und bei denen ich immer noch denke, Kinder, hat da der Kunde mal wieder selbst zur Feder gegriffen oder wolltet ihr das echt so schlecht schreiben? Und natürlich habe ich mich auch in der Agentur gefreut, als ich merkte, ich kenne die Firmengeschichte jetzt so gut, dass ich daraus Ideen entwickeln kann, ich kann Modelle vergleichen, ich weiß, welches technische Feature was kann und vor allem, was eben die Käuferinnen davon haben.
Aber die Neugier, die ich hier jeden verdammten Tag habe, die war in der Agentur einfach irgendwann weg. Jedes Auto ist wie das letzte, da kann das Design noch so schick und der Motor noch so sparsam sein, es ist immer die gleiche Soße. Hier schmeißt mich jedes Bild in eine neue Denkschleife, jede Künstlerin wirft alles um, was ich vorher zu wissen geglaubt habe, ich bin quasi jeden Tag dabei, mir ein Update zu geben, weil mein Wissen von gestern sofort veraltet mit jedem Buch, das ich aufschlage. Ich befinde mich seit Monaten in diesem Thinker’s High und ich weiß, dass das nie weggehen wird, weil ich nie alle Bücher und Aufsätze gelesen haben werde und nie alle Bilder, Skulpturen und Gebäude gesehen haben werde, die es gibt. Das Feld vor mir wird immer unendlich bleiben und das fühlt sich einfach großartig an.