Bücher 2010 – Februar

buecher_feb10

Ted Naifeh – Courtney Crumrin 1: The Night Things

Was Gruseliges für die Kleinen und die Ankes, die im Herzen klein geblieben sind. Things erzählt von Courtney, geschätzte 12, 13 Jahre alt, die mit ihren Eltern zu ihrem brummigen Onkel in sein verwunschen aussehendes Haus zieht. Mama und Papa sind damit beschäftigt, Eindruck auf die genauso oberflächlichen Nachbarn zu machen, während Courtney rausfindet, dass Mitschüler und Mitschülerinnen ganz schöne Blagen sein können. In ihrer Not wendet sie sich an den Onkel, der ganz zufällig ein paar Zauberbücher rumliegen hat, in denen Courtney stöbert. Natürlich kann sie nicht widerstehen, ein paar von den magischen Sprüchen anzuwenden, aber meist passiert nicht das, was sie sich erhofft.

Night Things verknüft sehr unterhaltsam das übliche pupertäre Generve um Anerkennung und Selbstfindung mit ein bisschen Magie – und hat nebenbei eine sehr sympathische und realistisch gezeichnete Heldin. Ich bin leider doch nicht mehr so ganz Zielgruppe, aber mir hat es trotzdem gut gefallen.

(Leseprobe bei amazon.de)

Paul Ingrassia – Crash Course – The American Automobile Industry’s Road from Glory to Desaster

Unterhaltsames, aber teilweise deprimierendes Buch über die amerikanische Autoindustrie, ihren Beginn, ihre Erfolgsgeschichte, wie sie die amerikanische Mittelklasse geschaffen hat, wie sie das Auto zu einem kultischen Gegenstand hat werden lassen – und wie sie zum Schluss beim Kongress um Geld betteln musste, um wenigstens die Miete zahlen zu können. Crash Course liest sich zunächst sehr gut weg, und man kann wirklich nachfühlen, wie sehr diese Industrie ein ganzes Land geprägt hat. Wie die schon angesprochene Mittelklasse: Henry Ford war der erste, der seinen Angestellten angemessene Löhne gezahlt hat, die über das bisherige Maß hinausgingen, das gerade mal für Nahrung und ein Dach über dem Kopf reichte. Die Ford-Mitarbeiter waren die ersten, die Geld zurücklegen und sich damit Dinge leisten konnten, die bisher den Reichen vorbehalten waren. Andere Firmen zogen nach, und so entstand eine neue Klasse in Amerika.

Leider versackt das Buch zum Schluss in purem Faktenrunterbeten. Kann natürlich auch daran liegen, dass Firmenzusammenschlüsse und Hinterzimmerdeals nicht mehr ganz so „groß“ sind oder sich so episch anfühlen wie die fast 100 Jahre Autogeschichte vorher. Aus deutscher Sicht habe ich natürlich gerne die Storys um den DaimlerChrysler-Zusammenschluss gelesen, und was General Motors und Ford in der Zeit gemacht haben, war dann auch teilweise unfassbar in seiner New-Economy-Hybris. Aber: Das Buch beendet fast jeden Absatz mit einem dräuenden „In zehn Jahren lernten sie, was diese Entscheidung bedeutete“ oder „Hätten sie damals schon gewusst, dass …“ Hui. Natürlich lässt sich rückblickend immer sagen, was anders gemacht hätte werden müssen. Was mich nur so genervt hat: Vor gerade einmal 15 Jahren hat der gleiche Autor ein Buch geschrieben mit dem Titel Comeback: The Fall and Rise of the American Automobile Industry, das das genaue Gegenteil erzählt. Wahrscheinlich endet da jeder Absatz mit „Die weisen Männer aus Detroit in ihren fahrenden Kisten. Bis zur Unendlichkeit und noch viel weiter.“

Außerdem – aber das ist wirklich persönliches Erbsenzählen – hätte ich mir ein paar mehr Bilder gewünscht. Ich beschäftige mich von Berufs wegen jeden Tag mit Autos und behaupte auch, die europäische Modellpalette der letzten zehn Jahre halbwegs auf dem Schirm zu haben, aber was die Amerikaner alles gebaut haben, kenne ich längst nicht so gut. Wenn man schon über GM und seine gefühlt 700 Untermarken und ihre gefühlt 7.000 Modelle der letzten 20 Jahre schreibt, die sich laut Autor auch alle total ähnlich sehen, wären ein paar winzige Bilder ganz nett. Denn: Wie Edsel und der Ford Mustang aussehen, weiß ich dann doch. Davon hätte ich kein Foto gebraucht.

(Leseprobe bei amazon.de)

Mike Mignola/Troy Nixon, Farel Dalrymple – Jenny Finn: Doom Messiah

Kleines Büchlein mit einer ebenso kleinen Story: Der tumbe Joe läuft im viktorianischen England der kleinen Jenny Finn hinterher, die so unschuldig aussieht, aber – natürlich – ein düsteres Geheimnis mit sich herumträgt. Prostituierte werden ermordert, Freier sterben, verwandeln sich und sind plötzlich mit Tentakeln, Saugnäpfen und Fischmündern übersät, der Premierminister versteckt sein Gesicht hinter einer eisernen Maske, und an den Bildrändern schwappen gerne kleine Fische ins Bild, die “doom” flüstern. Das Buch versetzt einen in eine Stimmung von From Hell, Oliver Twist und dem fliegenden Holländer gleichzeitig, hat aber leider nicht wirklich eine sinvolle Geschichte zu erzählen. Aber die Atmosphäre hat mich durchaus in ihren Bann gezogen.

Bill Willingham/Lan Medina – Fables 1: Legends in Exile

Hübsche Idee, einen Haufen bekannter Märchenfiguren wie Schneewittchen, Rotkäppchen und König Blaubart nach New York in die Realität zu verfrachten, wo sie versuchen, ein „normales“ Leben zu führen. Legends ist eine klassische Wer-war’s-Geschichte, wo der böse Wolf (in Menschengestalt) als Privatdetektiv das Verschwinden von Rosenrot aufklären muss. Klingt erstmal bescheuert, klappt aber überraschend gut, weil die Kriminalgeschichte stets charmant unterbrochen wird von Problemen, die eben nur Märchenfiguren haben können. So nölt Pinocchio rum, dass er zwar gerne ein echter Junge werden wollte, aber dann doch irgendwann auch mal erwachsen, und die Schöne und das Biest haben nach 1000 Jahren erste Eheprobleme, um die sich Schneewittchen als Council kümmern muss – und: don’t mention the dwarves!

Die Zeichnung fand ich sehr konservativ, wenn das das richtige Wort ist: Die Frauen alle mit D-Cups, die Männer mit Brustumfängen wie Litfasssäulen; sieht alles wie Superhelden in den 50er Jahren aus und war daher eher überraschungsarm. Da hätte ich mir auch ein bisschen mehr Idee gewünscht, aber trotzdem fand ich Legends recht unterhaltsam.

(Leseprobe bei amazon.de)

Michael Pollan – In Defense of Food

Pollan verrät die Pointe seines Buchs gleich am Anfang – „Eat food. Not too much. Mostly plants.“ und nutzt die verbleibenden 200 Seiten dazu, diesen wunderbaren Merksatz für ein normales, gesundes Essverhalten aufzudröseln. Er beginnt damit, „food“ zu erklären, denn was wir heute im Supermarkt kaufen, seien eher „food-like substances“ als Nahrung. Er schreibt über den Terror der nutrinionists, die sich nur mit den chemischen Komponenten einzelner Nahrungsmittel befassen und daraus wilde Leitsätze bilden (Omega-3-Fettsäuren retten die Welt), anstatt zu beachten, dass viele Lebensmittel erst im Zusammenspiel mit anderen ihre Wirkung entfalten. Er beleuchtet zwar eher das amerikanische Essverhalten als das europäische (wenn es das gibt), aber die Grundzüge der Western Diet dürften auch in Deutschland schon ziemlich weit vorherrschen.

Da ich mich seit einiger Zeit ein bisschen mehr mit Essen beschäftige und ich versuche, aus meinem alten Essverhalten rauszukommen, um Nahrung wieder als etwas Normales anzunehmen, war ich 200 Seiten lang mit Nicken beschäftigt. Vor allem bei der Stelle, als es um gelernte wissenschaftliche Erkenntnisse ging (die auch gerne deshalb enstehen, weil die Nahrungsmittelindustrie überhaupt in der Richtung forschen lässt – auch dazu führt Pollan Studien an), die wir verinnerlicht haben – zum Beispiel zum Thema Fett:

“In one experiment, he (psychologist Paul Rozin) showed the words “chocolate cake” to a group of Americans and recorded their word association. “Guilt” was the top response. If that strikes you as unexceptional, consider the response of the French eaters to the same prompt: “celebration”. Oh, yeah.”

Die ersten beiden Teile des Buchs befassen sich ein bisschen mit der Geschichte der Nahrungsmittelproduktion und wie wir überhaupt dorthin gekommen sind, wo wir uns jetzt befinden. Im dritten gibt Pollan dann ganz simple Tipps, wie wir unser Essverhalten wieder normalisieren können. Das ist für viele von euch vielleicht überflüssiger Quatsch, aber ich fand es doch ganz nett, schlichte Merksätze aufgezählt zu bekommen, die ich persönlich mir ab und zu aufsagen kann.

Beispiel: “Don’t eat anything your great-grandmother wouldn’t recognize as food.” Darunter fällt dann auch das Brot vom Kettenbäcker, das aus 35 Zutaten besteht, wo doch eigentlich nur Mehl, Hefe, Wasser und Salz reinmüssten. Oder “Avoid food products that make health claims.“ Klar, dass in der Milchschnitte mehr Zucker als „das Beste aus einem Viertel Liter Milch“ drin ist (wobei ich nicht weiß, was das Beste aus einem Viertel Liter Milch ist). Pollan:

“As I write, the FDA has just signed off on a new health claim for Frito-Lay chips on the ground that eating chips fried in polyunsaturated fats can help you reduce your consumption of saturated fats, thereby conferring blessings on your cardiovascular system. So can a notorious junk food pass through the needle eye of nutritionist logic and come out the other side looking like a health food.”

Weitere Tipps, auch logisch: mehr auf dem Markt kaufen, Gemüsekisten abonnieren (“shake the hand that feeds you”), wenn möglich, selbst etwas anbauen, weniger Fleisch essen und wenn ja, dann bitte von Tieren, die in Freiheit mit Gras aufgewachsen sind und nicht in Massentierhaltung und mit Getreide. Und zum Abschluss: Iss wieder so wie früher. Nicht im Auto, nicht im Meeting, sondern am Esstisch in Ruhe und wenn möglich in Gesellschaft. Nimm dir Zeit zum Einkaufen, zum Kochen und zum Genießen. Und Wein zum Essen ist ein Kulturgut.

Wie gesagt, 200 Seiten lang genickt.

(Leseprobe (pdf) von Pollans Webseite)

Mike Mignola/Richard Corben, P. Craig Russell – Hellboy 7: The Troll Witch and Others

Ich bin ja meist etwas nölig, wenn von mir geliebte Zeichner (MIGNOLA!) von mir geliebte Figuren (HELLBOY!) an andere Zeichner abgeben. Im siebten Band vom Höllenjungen passiert bei einigen Geschichten genau das – aber netterweise hat sich Herr Mignola gute Kerle ausgesucht, die den Charakter der Hauptfigur sehr schön und eigenständig einfangen, ohne aus ihr etwas ganz Neues zu machen. Ich habe trotzdem den einzigartigen Mignola-Stil vermisst, den ich über sechs Bände liebgewonnen habe, denn er hat für mich die Figur zu der gemacht, die sie ist. Sobald ihre Kantigkeit sich zu einem leicht veränderten, eher menschlichen Körper ändert, hat sie ihre Identität ein winziges bisschen verloren. Dafür retten die Geschichten in diesem Band wie immer den hohen Standard von Hellboy: Gerade Makoma, die Hellboy nach Afrika führt, hat mich sehr beeindruckt.

(Leseprobe bei amazon.de)

Mike Mignola/Duncan Fegredo – Hellboy 8: Darkness Calls

Der erste Band, der komplett von einem anderen Zeichner erstellt wurde. Dafür wird endlich der große Bogen der Lebensgeschichte Hellboys weitergeführt. Und zwar wie immer mit vielen Bösewichtern, alten und neuen Bekannten und vielen Sagengestalten aus aller Herren Länder. Hier liegt der Schwerpunkt auf russischer Folklore, was mir sehr gut gefallen hat. Leider ist der achte Band der bisher letzte in der Reihe. Wir warten aufs Christkind – und auf Band 9 und 10, die im März bzw. Juni erscheinen werden. Leider beide nicht von Mignola gezeichnet.

(Leseprobe bei amazon.de)

Siri Hustvedt – What I Loved

Ein wunderbares, präzises Buch über Liebe, Trauer, Freundschaft und nochmal Liebe und Freundschaft. What I Loved beschreibt in sehr klaren Worten einen großen Teil der Lebensgeschichte von Bill und Violet und Leo und Erica. Bill ist Künstler, Violet Soziologin, Leo Professor für Kunstgeschichte und Erica Literaturwissenschaftlerin. Die großen Themen sind damit vorgegeben: die verschiedenen Ausprägungen von menschlichem Dasein und das Erstellen bzw. die Rezeption von Kunst und Literatur. Sie bilden den Nährboden, auf dem sich die Geschichte der vier und ihrer Kinder abspielt; das Leben, das sie leben, findet immer Widerhall in den Dingen, mit denen sie sich beschäftigen und umgekehrt. Und auch wenn sich das jetzt wie eine intellektuelle Fingerübung anhört, habe ich selten ein Buch gelesen, das mich so berührt hat. Vielleicht weil der intellektuelle Geist dauernd mit dem wilden Herz zusammenstößt, das sich nicht überdenken oder malen oder aufschreiben lässt. Weil es immer noch hofft, wo der Geist schon aufgegeben hat, und weil es immer noch liebt, was längst nicht mehr da ist.

(Leseprobe bei amazon.com)

Weggelegt: Der Mann ohne Eigenschaften von Musil, Lord of the Barnyard von Egolf.