Was schön war, Freitag/Samstag, 9./10. März 2018 – Doktorand*innen-Kolloquium
Die Betreuung von Doktorand*innen an der LMU oder sogar nur am kunsthistorischen Institut ist unterschiedlich, was schon bei der Form der Promotion beginnt: Wenn man sich für eine Promotion am Institut entscheidet, ist man in den Lehrstuhl eingebunden, lehrt meist in geringem Umfang und ist halt wissenschaftliche Angestellte. Der andere Weg ist die klassische Individualpromotion, bei der man nicht an der Uni lehrt oder forscht, sondern irgendwo anders; die meisten meiner Mitstreiter*innen, die ich Freitag erstmals alle in einem Raum kennenlernen konnte, arbeiten bei Museen, Archiven oder kunsthistorischen Einrichtungen wie dem ZI. Einige wenige so wie ich machen etwas ganz anderes und promovieren gezwungenermaßen nebenbei, was dazu führt, dass wir ziemlich raus sind, was fachliche Diskussionen angeht oder auch nur den Austausch mit anderen Menschen, die ein ähnliches Projekt betreuen. Damit auch wir eine Art Anlaufstelle haben, hat mein Doktorvater einfach mal ein Kolloquium ins Leben gerufen, in dem alle seine Schützlinge ihr Thema kurz vortragen und wir dann darüber diskutieren. Nicht jede*r musste vortragen – ich hätte auch noch gar nichts sagen können –, aber es war trotzdem spannend, den anderen zuzuhören. Die Wahl des Doktorvaters bedingte auch eine gewisse thematische und/oder zeitliche Eingrenzung, denn der Mann hat natürlich seine Spezial- und Interessensgebiete, weswegen wir mit ihm arbeiten wollen. Daher hatte ich bei vielen Vorträgen das Gefühl, schon zu wissen, worum es ging, was ziemlich toll war.
Ich kann natürlich die meisten Themen jetzt nicht genauer ausplaudern, aber mir hat jeder Vortrag etwas gebracht. Ich muss gestehen, dass ich sowohl Freitag als auch Samstag den jeweils letzten Vortrag (oder sogar die zwei letzten) geschwänzt habe (Hunger, Arbeit), aber dafür ist man ja erwachsen. Hat das wenigstens einen Vorteil.
Was ich aus den diversen Themen und Methodikdiskussionen für mich mitgenommen habe und hoffentlich nicht wieder vergessen werde: Ich muss keine Enzyklopädie schreiben. Das glaube ich natürlich bei jeder Hausarbeit und meine, versagt zu haben, wenn ich genau das eben nicht erledigt habe, und natürlich weiß ich auch, dass das Quatsch ist, aber ich habe bei mir schon wieder die ungute Tendenz festgestellt, Themen gleich zu verwerfen, weil ich weiß, dass ich sie nicht komplett (was auch immer das heißt) behandeln werde können. Mir haben viele der Vorträge mal wieder vor Augen geführt, dass das auch nicht mein Job ist. Ich muss ein Thema schlaglichtartig beleuchten, kann ein paar lustige Exkurse machen und einiges vertiefend abhandeln, aber ich muss nicht jeden Fetzen Papier oder Leinwand behandeln, der zu diesem Thema existiert. Das soll eine Diss werden und kein zwanzigbändiges Lexikon.
Ebenfalls spannend waren für mich die Diskussionen zur Datenerhebung. Ich meine zwar, davor gefeit zu sein, stapelweise Archivgut digitalisieren oder sogar verschlagworten zu müssen, aber ich fand es trotzdem interessant zu sehen, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt, Daten zu erheben und zu klassifizieren. Ich habe lustige Programme kennengelernt, die ich vermutlich nie brauche, aber ich weiß jetzt, dass es sie gibt. Was vielleicht interessant für mich wird, wenn ich vor meinem Datenberg sitze und mir selbst überlegen muss, nach was ich den Kram denn überhaupt ordnen will. Bisher hat das ernsthaft mit diversen Word-Dokumenten bei mir funktioniert, weil ich durch meine Arbeit als Katalogtexterin gewöhnt bin, den Überblick über lange Texte zu behalten. Ich ahne aber auch, dass eine Masterarbeit etwas anderes ist als eine Diss und daher sollte ich mir vielleicht jetzt schon Gedanken darüber machen, ob es noch etwas Sinnvolleres gibt als meine Word-Sammlungen.
Ein kleiner Nebenaspekt wurde in diesem Zusammenhang auch angesprochen: die össeligen Lizenzierungsmodelle von Software. Wenn man Glück hat, übernimmt eine Institution wie Uni oder Forschungsstelle die Gebühr für ein Programm, mit dem man dann ewig arbeiten kann. Wenn man Pech hat, beginnt man mit einem Programm zu arbeiten, das mittendrin sein Lizensierungsmodell ändert und nur noch Lizenzen auf Zeit verkauft. Dann tippt man lustig zwei Jahre Daten ein – und kann sich danach eventuell das Programm nicht mehr leisten, weil es plötzlich irre teuer geworden ist. Das ist netterweise niemandem von uns passiert, aber darüber habe ich auch noch nie nachgedacht.
Ich fand es auch mal wieder gut für mich und meine eigene wimmerige Konstitution zu hören, dass eben noch nicht alles ausgeforscht ist. Ich glaube auch nach zehn Semestern, die mir das Gegenteil bewiesen haben, dass alle guten Themen schon weg sind und immer, wenn ich über eins nachdenke, haben schon tausend andere das auch gemacht. Ich weiß, dass das Quatsch ist, aber manchmal falle ich doch wieder in dieses Loch. Am Freitag wurden zwei Dissertationen vorgetragen zu Themen, bei denen ich mir sicher war, dass dazu schon alles gesagt wurde. Ich glaube nicht, dass ich hier Geheimnisse verrate, daher: Sie gingen um Heinrich Hoffmann und den US-Kunstschutz während des Zweiten Weltkriegs. Da hätte ich Wetten angenommen, dass da schon alle Archive leergelesen sind, aber die Wette hätte ich sehr deutlich verloren, wie ich jetzt weiß. Zu hören, dass ein Doktorand im Kunstarchiv Nürnberg noch Kisten öffnen konnte, in die nie jemand reingeguckt hatte, nachdem der Nachlassverwalter den Deckel draufgemacht hatte, fand ich sehr spannend.
Auch wieder wichtig für mich und meinen Hinterkopf: vielleicht mal nicht mit einer festen Frage in die Archive gehen, sondern die Quellen entscheiden lassen, wo es hingehen soll. Das habe ich ja eigentlich bei meiner Arbeit zu Leo von Welden schon gelernt, dass es sehr aufschlussreich sein kann, einfach mal alles durchzuwühlen, was einem freundliche Archiv-Mitarbeiterinnen oder Heimatmuseumsmenschen vor die Nase legen. und dann zu gucken, was man daraus machen kann. Im Kolloquium berichtete eine Doktorandin, dass es ihr bei ihrem Thema genauso ging: Eine Stadtarchiv-Mitarbeiterin aus (Stadt behalte ich mal für mich) meinte so nebenbei zu ihr, dass da ein großes Aktenkonvolut wäre, das sich vielleicht für sie lohnen würde. Und dann stellte die Dame fest, dass dieses Konvolut eine ziemliche Rarität war, was NS-Unterlagen angeht, denn genau diese Art von Akten hatte die betreffende NS-Organisation sehr großflächig vernichtet – bis auf diesen Berg und noch ein paar kleine weitere in sehr wenigen anderen Städten. Aber sowas erfährt man natürlich nicht, wenn man mit einer festen Frage ins Archiv kommt.
Dann ging es auch um Begrifflichkeiten und Definitionen. Was mich an vielen Diskussionen, gerade online und auf Twitter, inzwischen wahnsinig macht, ist, dass kaum noch definiert wird, worüber eigentlich gesprochen wird. Jeder hat einen schwammigen Begriff im Kopf, aber anstatt erstmal klar zu fassen, worum es geht, pöbeln alle auf unterschiedlichen Ebenen herum und kommen so natürlich nie auf einen Nenner. In unserem Fall ging es um eine Diss, die sich mit, auch das ist kein Geheimnis, die Diss kannte ich schon von der Herbsttagung des Arbeitskreises Provenienzforschung, sogenannten (hier werde ich schon vorsichtig) jüdischen Kunsthandlungen in München befasst, die zur NS-Zeit „arisiert“ wurden. Wir sprachen darüber, dass schon diese Klassifizierung – jüdische Kunsthandlung – ein Unding ist, denn damit machen wir uns die NS-Vorgabe zu eigen. Man kann davon ausgehen, dass viele oder sogar alle Kunsthändler*innen jüdischen Glaubens diese Tatsache – ihre Religionszugehörigkeit – nicht als ihren Hauptcharakterzug wahrgenommen haben, vor allem nicht in Bezug auf ihre berufliche Tätigkeit (außer sie handelten exklusiv mit Judaica, aber ich meine mich daran zu erinnern, dass es so ein Geschäft nicht gab). Wir übernehmen hier also als Grundlage der Forschung eine Einteilung aus rassistischen Gründen. Das muss in der Arbeit natürlich dargelegt werden, warum man ausgerechnet eine derartige Abgrenzung nun weiterführt. Unser Doktorvater erinnerte an Ernst Gombrich, der 1996 auf einem Kongress genau zu diesem Thema streitbar sagte: „[]ch bin der Meinung, dass der Begriff der jüdischen Kultur von Hitler und seinen Vor- und Nachläufern erfunden wurde.“ (Quelle)
Insgesamt mochte ich es sehr, mal wieder mit Menschen in einem Raum zu sitzen, die über ähnliche Dinge wie ich nachdenken, wenn auch nicht genau in der gleichen Ecke wie ich. Es war schön, sich mal wieder mit Themen zu beschäftigen, die an meines angrenzen, und es war sehr befriedigend zu merken, wieviel ich dann doch in den letzten Jahren gelernt und gelesen und erfahren habe, wenn es um das Betriebssystem Kunst im Nationalsozialismus geht. Es hat mich sehr motiviert, mich wieder in die Arbeit zu schmeißen, die in den letzten Monaten sehr kurz gekommen ist, weil ich schlicht mit Geldverdienen beschäftigt war. Ich freue mich schon auf unseren nächsten Termin, der vermutlich im Herbst stattfinden wird. Vielleicht kann ich dann immerhin schon grob sagen, was ich eigentlich so mache.