
The Aviator (Aviator, USA/D/JP 2004, 170 min)
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Cate Blanchett, Kate Beckinsale, John C. Reilly, Alec Baldwin, Ian Holm, Alan Alda, Danny Huston, Matt Ross, Jude Law, Gwen Stefani, Willem Dafoe
Musik: Howard Shore
Kamera: Robert Richardson
Drehbuch: John Logan
Regie: Martin Scorsese
Trailer
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Die Schönheit von The Aviator ist mir nicht sofort aufgefallen. Aber ungefähr nach einer halben Stunde gab es eine Szene, in der Leonardo DiCaprio als Howard Hughes sich von der Kamera wegdreht. In den Minuten zuvor haben wir Flugzeuge gesehen, en masse, sie hören gar nicht mehr auf, glitzernd über der Wüste, quer durch den blauen Himmel, majestätisch, unübersehbar, ein Film wird gedreht, Hell’s Angels, der bis dahin teuerste Film aller Zeiten, eine Filmpremiere findet statt, Blitzlichter, Jean Harlow, schon wieder Flugzeuge, diesmal aus Pappe, die den roten Teppich säumen, Fans, Autogramme, ein unglaublicher Lärm, ein Meer aus verbrannten Glühbirnen, durch das DiCaprio von unten gefilmt schreitet. Alles ist laut und groß und schnell, es passiert, viel passiert, vorwärts, größer, mehr.
Und dann kommt diese eine Szene, ich weiß nicht mal mehr, in welchem Zusammenhang sich DiCaprio von der Kamera wegdreht, die bis dato so vieles eingefangen hat. Und nun gönnt sie uns einen kurzen, aber überdeutlichen Blick auf den Nacken und die Schultern von DiCaprio, ein weißes Hemd, helle Haut, eine fließende Bewegung. Und die dunklen Haare, die kurz die Bewegung mitgehen und dann einfach an den Ohren entlang liegenbleiben. Diese Haare sind mit dem Rasiermesser geschnitten worden, so exakt ist die Kante, die sie beschreiben. Ein perfektes Bild: das weiße, gestärkte Hemd, die glatte, helle Haut, die schlichte, fließende Bewegung, die zu einem kurzen, aber gewollten Stillstand führt. Perfekte Detailgenauigkeit. Perfekte Inszenierung. Ein Bild, das ganz schlicht, aber absolut stimmig wirkt, und dadurch so sehr in Erinnerung bleibt. In diesem Moment ist mir die Gegensätzlichkeit in The Aviator aufgefallen. Das Große, Laute im Vergleich zu den kleinen Details. Und plötzlich passte alles zusammen, hatte mich in seinen Bann gezogen und ließ mich nicht mehr los.
The Aviator erzählt das Leben von Howard Hughes: Flugpionier, Filmregisseur, Playboy, Multimillionär. Aber er erzählt auch vom anderen, versteckten Teil seines Lebens: das eines neurotischen, obsessiven, verängstigten, einsamen Mannes, der aus Furcht vor Bakterien ständig ein Stück schwarze Seife mit sich herumträgt und aus Furcht vor Vertrauensbruch seine Geliebten abhorchen lässt. Das Komische an diesem Film ist, dass einem die Story ziemlich bald ziemlich egal ist. Sie läuft fast nebenher ab; was wichtig ist, ist Howard Hughes selbst. Beziehungsweise Leonardo DiCaprio, der hier einfach großartig ist. Seine schlichte Präsenz füllt die gesamte Leinwand, jede Geste stimmt, jede gerunzelte Braue sieht nicht wie ein Schauspielertrick aus, um Nachdenken zu spielen, sondern man kann DiCaprio wirklich kaum noch erkennen hinter dem, was Hughes sagt, tut, stammelt. Und er ist nicht allein mit seiner Glanzleistung: Cate Blanchett haucht Katherine Hepburn wieder Leben ein, Alec Baldwin als PanAm-Chef nimmt sich sehr zurück und ist deshalb doppelt überzeugend, und John C. Reilly spielt Hughes’ finanziellen Berater so unauffällig, dass wir immer wieder froh sind, ihn plötzlich zu sehen – genau wie Hughes, dessen einziger Freund er zu sein scheint. Ian Holm, Alan Alda, Kate Beckinsale als Ava Gardner und Jude Law in einem Kurzauftritt als Errol Flynn machen die Besetzung perfekt.
Der Film lebt, wie schon angesprochen, nicht von seiner Geschichte, obwohl die ihn natürlich trägt und vorwärts bringt. Der Film lebt von seinen Gesichtern und Charakteren, die viel wichtiger sind als ihre Handlungen. Wenn Hughes das größte Flugzeug der Welt bauen will, dann nicht, weil er als Flugpionier in die Geschichte eingehen möchte, sondern weil er eben einfach das größte Flugzeug der Welt bauen will. Die Motivation für sein Tun kommt nicht von außen, niemand sagt ihm, was er zu tun hat. Sie kommt auch nicht aus dem Bemühen, unbedingt ins Rampenlicht zu wollen. Die Motivation entspringt seinen ureigenen, inneren, unsichtbaren Ängsten, wie uns eine kurze Szene zu Anfang und zum Ende des Film erzählt. Wahrscheinlich erscheint uns Hughes deshalb auch nicht als größenwahnsinniger Irrer, der noch mehr Geld und noch mehr Frauen und noch mehr Flugzeuge haben will. Sondern er erscheint uns ganz im Gegenteil als ein kleiner, von sich selbst gehetzter Mensch.
Auch diese Gegensätzlichkeit im Charakter macht einen besonderen Reiz des Film aus. Die Größe und Macht, die Hughes äußerlich hat, wird zunichte gemacht durch seine eigenen Neurosen. Er kann, ohne mit der Wimper zu zucken, die größte Privatluftflotte der Welt zusammenkaufen, aber der Türgriff einer öffentlichen Toilette stellt für ihn ein unüberwindbares Hindernis dar. Und diese Gegensätzlichkeit bringt den Film meiner Meinung nach eher voran als die eigentliche Story. Immer, wenn wir teilhaben dürfen an einem Erfolgserlebnis, machen die psychischen Probleme Hughes’ alles wieder zunichte. Man wird ständig mitgenommen in ein Leben mit unglaublichen Höhen und viel zu dunklen Tiefen.
Und dieses Leben wird bebildert in schlicht wunderschönen Aufnahmen. Die Flugsequenzen lassen ahnen, warum Hughes so begeistert vom Fliegen war. Die fast tanzende Kamera fängt das atemlose Staunen ein, das wir wahrscheinlich schon verlernt haben, weil Fliegen eine alltägliche Fortbewegungsart geworden ist. Die Schwenks durch Montagehallen, Nachtclubs und Villen zeichnen ein üppiges, farbenprächtiges Bild von einer Zeit, die uns schon so fürchterlich lang vergangen erscheint, die aber doch erst 60 Jahre her ist. Und die Großaufnahmen der Darsteller erwecken den alten Zauber von Hollywood, wo Schauspieler noch vergöttert wurden.
Regisseur Martin Scorsese nimmt sich ungewohnterweise sehr zurück. In vielen seiner Filme habe ich das Gefühl, dass er sehr verliebt ist in bestimmte Einstellungen, Manierismen, Gesten. In The Aviator ist seine manchmal zu deutliche Handschrift kaum zu spüren, und das tut dem Film sehr gut. Die Bilder scheinen einfach losgelassen worden zu sein, die Figuren agieren, ohne dass man eine Absicht dahinter vermutet, alles fühlt sich sehr wahrhaftig an und nicht wie ein Stück Fiktion. Denn obwohl der Film eine wahre Geschichte erzählt, ist er eben nicht diese Geschichte, sondern nur deren Erzählung. Und gerade so fühlt sich The Aviator nicht an. Er fühlt sich wie die ursprüngliche, eindringliche, mitreißende Geschichte an.
The Aviator ist in seiner Erzählweise ein angenehm altmodischer Film: Der Mensch steht im Vordergrund, keine Special Effects, kein überlautes Dolby Digital, nicht mal ein reißerisches Drehbuch. The Aviator will uns einfach an einem Leben teilhaben lassen, das zufällig außergewöhnlich war. Dieses Leben hätte jeden von uns treffen können. Wer weiß, wie wir damit umgegangen wären. Wer weiß, ob wir nicht auch daran zerbrochen wären wie Howard Hughes. Vielleicht wären dann Filme über uns gedreht worden. Wenn, dann würde ich mir ebenfalls Martin Scorsese als Regisseur wünschen und hoffen, dass er ein genauso menschliches und anteilnehmendes Bild von uns zeichnet. Mit allen Höhen und Tiefen. Und mit der gleichen respektvollen Faszination und dem perfekten Auge, mit denen er den Aviator Howard Hughes porträtiert hat, in einem respektvollen, perfekten Film.