… in der Zeit von einer Welt, in der Sprache Gewicht hat und geschätzt wird und in der sich eher Menschen zu Wort melden, die das gerne und gut tun als die, die eher was anderes als Hauptbeschäftigung haben:
Ich lade die Fernsehintendanten ein, sie möchten anordnen, dass keuchenden Sportlern nie mehr ein Mikrofon entgegengestreckt werden darf. Das wäre mal ein Anfang und kein ganz kleiner, bei der Beschaffenheit der damit verhinderten Sprachprodukte – und bei der Millionenschar derer, denen sie dann vorenthalten würden.
Was geschieht auf den Sportstätten? Ein gedemütigter Torwart, der früher zwischen ein paar Umstehenden einfach „Scheiße“ geschrien hätte, sieht sich jetzt genötigt, dieses allein sinnstiftende Wort zu einem Geschwafel aufzublasen, das er für Hochdeutsch und für fernsehkompatibel hält – ein Graus; und Millionen hören zu. Und da die meisten von denen keine Bücher lesen, ist das Torwart-Gestammel für sie ein Sprachmodell geworden.
Alle Sportler in ihrer Atemnot in Ruhe lassen, Herr Intendant! Haben die denn jemals etwas zu sagen? Entweder sie freuen sich, oder sie haben wenigstens ihr Bestes gegeben. Auch hat der liebe Gott seine Gaben nicht so ungerecht über die Menschen ausgeschüttet, dass eine Meisterin im Biathlon, die ohnehin schon zweierlei können muss, nämlich laufen und schießen, auch noch ein Drittes beherrschte: halbwegs schlüssig zu erzählen – wie umgekehrt solche Leute, die im Reden glänzen, sich nur selten im Hammerwerfen hervortun.
Ich nehme an, dass so ziemlich jeder, der sich beruflich mit Sprache auseinandergesetzt hat oder es immer noch tut, irgendwann einmal Wolf Schneider gelesen hat. Ich persönlich finde ihn manchmal sehr zeigefingerig; er kommt mir ab und zu vor wie ein Sprachrentner, der sein Kissen auf der Fensterbank liegen hat und nun aus dem Fenster schimpft, wie schnell die Sprache zugrunde geht. Das klingt auch ein wenig im Zeit-Artikel an, wenn er sich über „junge Leute“ aufregt, die ganz eklige Sprachgebilde beim Chatten schaffen (chatten dabei schön kursiv geschrieben). Bei der *ganzdollliebhab*-Invasion kann ich ihm sogar ein bisschen zustimmen, aber trotzdem bin ich ganz froh darüber, dass Sprache sich entwickelt und nicht irgendwo bei Thomas Mann oder Goethe oder Gryphius oder Gottfried von Straßburg stehen geblieben ist.
Natürlich blutet auch mir das Herz, wenn ich in Foren herumlese und feststelle, dass manchmal nicht einmal mehr Rudimente von Grammatik vorhanden sind, oder wenn ich Leuten in der U-Bahn zuhöre und kaum verstehe, wovon sie reden, weil der Satzbau extrem fantasievoll gestaltet wird. Trotzdem glaube ich nicht, dass wir als eine der ersten Generationen, die mit regelmäßigem Fernsehkonsum aufgewachsen ist, dümmer sind als unsere Vorfahren. Und ich glaube auch nicht, dass die heutige Generation, die mit Videospielen und dem Internet groß geworden ist, dümmer ist als wir. Ich denke, es kostet heute vielleicht etwas mehr Mühe, Kinder und Jugendliche (und wahrscheinlich auch Erwachsene) davon zu überzeugen, dass Lesen eine ziemlich gute Sache ist und dass eine halbwegs regelkonforme Rechtschreibung einen nicht automatisch zum bebrillten Spießer stempelt (und selbst wenn – what the heck). Aber ich bin mir sicher, dass es heute wie auch in vergangenen Zeiten immer Menschen gegeben hat, die sich ein Leben ohne Bücher, ohne Worte, ohne Schreiben und Lesen nicht vorstellen können. Und solange es sie gibt, wird auch die Sprache bzw. deren Schönheit bewahrt und weitergegeben werden. Vielleicht wird ihr Fanclub etwas kleiner, je mehr visuellen Reizen wir ausgesetzt sind. Aber wir als Menschen und als zivilisierte Kultur können nicht ohne Kommunikation, also Sprache, auskommen. Sie hat sich über Jahrtausende entwickelt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr auch Smileys und *knuddeldich*-Formulierungen nichts anhaben können.