Bücher 2009, August

Jiro Taniguchi – Vertraute Fremde

Als ich den Comic zum ersten Mal aufschlug, habe ich gedacht, huch, das sieht ja aus wie Hergé in Japan – und habe mich dann eitlerweise ein bisschen gefreut, als ich im Vorwort las, dass sich Taniguchi sehr von der frankobelgischen Comicszene hat inspirieren lassen. Die Geschichte von Vertraute Fremde kommt einem in Grundzügen ein bisschen bekannt vor – der erwachsene Hiroshi wacht eines Tages als 14jähriger Junge in seinem Elternhaus wieder auf und erlebt seine Jugend ein zweites Mal, allerdings mit dem Wissen eines 40jährigen –, aber das Buch kann doch überraschen. Erstens weil es eine mir persönlich fremde Welt beschreibt, nämlich die des Japan in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Zweitens, weil ganz langsam eine Familie sichtbar wird, die an der Oberfläche total normal ist, aber in ihrer Tiefe natürlich ganz anders. Mir hat Vertraute Fremde sehr gut gefallen; der Comic hat sich fast meditativ angefühlt, so spärlich und doch detailreich sind die Zeichnungen (fast alle schwarzweiß), das Tempo ist gemächlich, die Sprache sehr klar und präzise (Übersetzung von Claudia Peter), und die Figuren bekommen genug Platz, um weitaus mehr zu sein als Strichmännchen auf Papier.

flix – Da war mal was

Eine Sammlung von Geschichten über die DDR, die BRD (obwohl „wir im Westen“ das ja nie sagen sollten, weil das Ostslang war) und wie wir die andere Seite gesehen bzw. kennengelernt haben. Die einzelnen Storys sind autobiografisch und werden von verschiedenen Personen erzählt, weshalb die Bandbreite von „rührend“ über *facepalm* zu „erschreckend“ geht. Wie immer bei Flix: Empfehlung.

flix – Der Swimming-Pool des kleines Mannes

Eine Sammlung seiner täglichen Tagebuchcomics. Machen auf Papier genauso viel Spaß wie in diesem Interweb. Und man muss nicht 63 Mal klicken, um zu einem seiner Lieblinge zu kommen: den Skepsis.

Audrey Niffenegger – The Time Traveller’s Wife

Beim zweiten Lesen fallen einem die Ungereimtheiten der Story noch mehr auf als beim ersten, wo man einfach nur wissen will, wie das Buch ausgeht, aber auch diesmal hat die Unlogik von Zeitreisen mich nicht davon abhalten können, die Geschichte immer noch spannend und unterhaltsam zu finden. Diesmal habe ich mich allerdings schon des Öfteren gefragt, wie Henry jemals durch die Schulzeit gekommen ist, ohne unfreiwillig zeitzureisen (der Stress vor Prüfungen!), warum niemand der Eingeweihten RTL 2 was erzählt hat und wie groß die Liebe von Clare gewesen sein muss, jahrelang auf ihren Schatz zu warten. Hat ja schon was seeeehr altmodisches. Männe macht die Welt klar, und Mäuschen sitzt zu Hause und hofft, dass er vom Zigarettenholen wiederkommt.

Alan Moore/Eddie Campbell – From Hell

Ein 600 Seiten dicker Comic, in dem Autor Alan Moore und Zeichner Eddie Campbell alle Legenden und Fakten zusammentragen, die es über Jack the Ripper je gegeben hat. Die vermischen sie dann mit eigenen Ideen und Hintergrundstorys, und daraus ergibt sich ein sehr dichtes und sehr verstörendes Bild des viktorianischen Englands. From Hell liest sich, wie der Titel vermuten lässt, eher anstrengend; man muss sich schon ein bisschen Zeit nehmen für Zeitsprünge, Freimaurertheorien, eine Menge Biografien, die zusammenlaufen, manchmal sehr detailreiche Metzeleien und leider meiner Meinung teilweise schwer entzifferbare Sprechblasen. Wenn man sich erstmal in das düstere Werk reingekämpft hat, belohnt es mit den üblichen Moore’schen Überraschungen wie plötzliche Sprünge in die Gegenwart, die dem Ganzen eine spannende Zeitlosigkeit verleihen. Ich fand es sehr bemerkenswert, dass ich 600 Seiten gelesen habe, ohne einmal zu denken, hach, schönes Buch, sondern die ganze Zeit nur darauf gewartet habe, dass die fiese Geschichte endlich zu Ende ist. Nicht nur weil es anstrengend zu lesen war, sondern weil man auf jeder Seite die absolut pessimistische Grundhaltung „Menschen? Alles Arschlöcher“ so richtig schön in die Fresse kriegt.

PS: Das Besondere an From Hell ist übrigens sein Anhang, in dem Moore so ziemlich zu jeder Seite erzählt, woher er diesen und jenen Fakt hat, was ausgedacht ist, warum es ausgedacht ist und wie gut das Buch ist, aus dem er den Fakt zitiert. Den Anhang zu lesen dauert ungefähr genauso lange wie das eigentliche Werk, und danach braucht man nochmal was zu trinken.

Nick Abadzis – Laika

Ein Tipp von Nerdcore, der mir schon in der Empfehlungsmail geschrieben hat, dass der Comic „heartbraking“ sei (und der selber auch mit den Tränen zu kämpfen hatte). Ihr ahnt, was kommt: Wenn schon ein Kerl einen Kloß im Hals hat, sieht das bei mir gleich doppelt so schlimm aus. Ich habe die letzten 40 Seiten des Comics nur unter Schniefen und mit erhöhtem Taschentuchverbrauch durchgehalten, so fies geht einem die Geschichte von Laika, dem ersten Lebewesen im All, ans Herz. Eigentlich doof, denn natürlich weiß man, wie die Story endet. Und genau das ist für mich ein Zeichen dafür, wie gut und intelligent dieser Comic ist: Gerade weil man weiß, was passiert, müsste man ja eigentlich auf alles vorbereitet sein. Ist man aber so gar nicht. Laika verwebt die Geschichte des leitenden Raketenentwicklers, der eine Gulag-Vergangenheit mit sich rumschleppt, mit der der Hundetrainerin und ihres Vorgesetzten und natürlich der fiktiven von Laika, einer Streunerin, die auf Moskaus Straßen eingefangen wird. Ganz vorsichtig und nie mit dem Holzhammer streut Abadzis Motive von Freiheit, Träumen, Schicksal und Loyalität, sei es dem eigenen Staat oder einer Person gegenüber, in die Geschichte. Die Zeichnungen sind relativ schlicht, was ich aber ganz angenehm fand, da ich mit dem Inhalt schon genug zu kämpfen hatte. Große Empfehlung.

Stevan Paul – Monsieur, der Hummer und ich

Den Herrn Paul kenne ich eher als den Herrn Paulsen, nämlich aus diesem Blog und seinem Foodblog Nutriculinary. Daher kenne ich auch seine Art, über Essen zu schreiben und habe mich daher sehr auf das Buch gefreut, auf die vielen Adjektive, die genauso lecker sind wie das zu beschreibende Objekt und über diese seltsame begeisterte Neugierde, die in jeder Zeile mitschwingt. Das Buch ist dann auch genau so, wie ich es mir vorgestellt habe: lauter kleine Geschichten aus der Küche, aus Sicht eines Gastes oder völlig andere Vignetten, in denen Essen eine Rolle spielt. Und Franz Josef Strauß. Und Opa Paulsen. Und Paul Bocuse. Ich habe jede einzelne geliebt und werde sofort den Kartoffelsalat nachkochen, denn netterweise gibt es zu jeder Geschichte das passende Rezept. Etwas zu nörgeln habe ich allerdings schon: Das Buch ist mit knapp 180 Seiten viel zu dünn! Herr Paulsen, ich erwarte dringend eine Fortsetzung.

Gut Essen, Tag 5 – das nachdenkliche Finale

Lu kennt mich seit Jahren. Sie kennt meine Essgewohnheiten seit Jahren. Und sie kennt mein Gefühl, dass Essen mein Feind ist, mit dem ich manchmal Waffenstillstand schließe, den ich aber eher bekämpfe, indem ich ihn totesse. Meistens erwischt es die Soldaten aus Schokolade, Chips und Fertigfrass, die kann man schnell erledigen, ohne sich Gedanken um sie machen zu müssen. Den Rest der Armee, die Jungs mit den Vitaminen und Nährstoffen, die so lecker in den Märkten rumliegen, die tun mir nicht weh, die kommen mir gar nicht erst ins Haus, die bleiben schön auf Distanz.

Ich will jetzt gar nicht zu sehr in die Tiefe meiner Essbehinderung gehen, aber ich habe schon mit mir gerungen, als Lus Angebot kam, mich und den Kerl mal ein paar Tage zu begleiten. Um mir die Angst vor dem Feind zu nehmen und mir vielleicht sogar zu zeigen, dass das alles ganz friedliche Kerle sind, mit denen man prima um die Häuser ziehen kann. Mein erster Gedanke war, och nee, ich mach lieber weiter kiloweise Schokolade platt. Ich kann mich seltsamerweise nicht an den zweiten Gedanken erinnern, nur dass ich schnell getippt habe: „Ja, klar, komm vorbei, du bist hiermit gebucht“ und dann auf „Absenden“ geklickt habe, bevor mein Gehirn meine Finger eingeholt hat.

In den zwei Wochen, die zwischen der Mail und Lus Ankunft lagen, habe ich extra viel Energie darauf verschwendet, die Armeen aus Gummibärchen (Entschuldigung) und Ben & Jerry’s und Lindt zu verkloppen, denn ich wusste, bald darf ich das nicht mehr. Überraschung: Ich darf das immer noch. Aber nach ein paar Tagen gutem Essen ist wenigstens der Wunsch da, ihnen mal ne lange, lange Pause zu gönnen.

Ich habe nicht nur mit Lus Angebot gerungen, sondern auch mit der Frage, ob ich darüber bloggen sollte. In den letzten Jahren ist dieses Blog immer weniger privat geworden, weil es einfach zu viele Menschen gibt, die zu viel Zeit für bescheuerte Mails haben. Deswegen sind auch die Kommentare zu, und ich gebe nicht mehr ganz so viel von mir preis. Sicher immer noch genug, um ne prima Angriffsfläche zu bieten für diejenigen, die eine suchen, aber weniger als früher.

Essen ist für mich etwas sehr Privates, weil ich es nie als etwas Normales empfunden habe. Ich habe nie gelernt, normal zu essen, auch wenn sich meine Familie damit genug Mühe gegeben hat. Anfangs wollte ich nicht, und irgendwann konnte ich nicht mehr. Ich habe kein Maß mehr gekannt, kein Gefühl mehr für mich und meinen Körper gehabt, habe mich zu dick gefühlt, als ich normalgewichtig war und normal, als ich schon längst alle Normen hinter mir gelassen habe.

Auch über mein Übergewicht schreibe ich sehr selten, denn das ist die simpelste Angriffsfläche von allen. Als ich es doch einmal getan habe, kamen sehr, sehr viele Mails – und keine einzige davon enthielt ein Schimpfwort. Was mich sehr gefreut hat und, das muss ich zugeben, auch freudig überrascht. Deswegen habe ich euch an meinen letzten Tagen teilhaben lassen. Einfach weil ich hoffe, dass es auch diesmal vielleicht ein paar Leute gibt, die sich etwas weniger alleine und doof und überfordert fühlen.

Ich weiß, dass mein Generve mit dem Futter nicht nach vier Tagen erledigt ist, dafür habe ich schon zu viele vergebliche Versuche hinter mir. Aber ich habe das Gefühl, dass ich diesmal weitaus mehr Input und Hilfestellung bekommen habe als sonst. Durch einen ganz einfachen und doch so schwierigen „Trick“: Ich habe gelernt, Freude am Essen zu empfinden. Ich habe gelernt, wie einfach ich glücklich zu machen bin, indem ich etwas Gutes kaufe, es ohne viel Firlefanz und 28 Zutaten zubereite und dann: esse. Genieße. In mich reinhorche, was ich gerade alles schmecke und rieche, wie es sich auf der Zunge anfühlt und wie lange ich danach satt bin.

Einige Mails sind schon angekommen, einige Blogs haben die Reihe verlinkt, und auch auf Twitter kamen ein paar Anmerkungen. Die beste Reaktion kam allerdings von Paulsens Schwester. Lu, Paulsen, seine Frau und ich saßen gestern in einem sehr netten Weinlokal zusammen, um die Woche ausklingen zu lassen, als Paulsens Telefon klingelte: „Schwester! Ich sitze hier mit Anke und Lu.“ Kleine Pause, dann fing er an zu lachen und meinte zu uns: „Meine Schwester meinte, wie lustig, ich hab gerade vor zehn Minuten Ankes Blog gelesen, die Story mit der Weinprobe. Ich wollte mir grad ne Runde Wein kaufen gehen.“

In diesem Sinne: geht essen. Und genießt es. Ich lerne das gerade.

Gut Essen, Tag 4 – die 62%-Hormonsause

Heute ist Verkostungstag: erst Fisch, dann Wein.

Ich weiß nicht, ob es an meinem Sternzeichen liegt (ratet), aber ich habe mich noch nie wirklich an Fisch rangetraut. Seelachsfilet aus der Tiefkühltruhe, Schlemmerfilet Bordelaise, Fischmac bei McDonald’s und ein- oder zweimal Pangasiusfilet, weil ich das öfter im Perfekten Dinner gesehen habe – everything I ever needed to know in life I learned from watching TV. Not. – das war bisher meine kulinarische Reise in die Ozeane. Das sollte sich jetzt ändern, denn trotz Schwellenangst wurden der Kerl und ich ins Euro Vita geprügelt, einem netten Fischhändler um die Ecke. Im Laden lagen nicht nur diverse Fische auf Eis, es gab auch Salate, eine üppige Kästetheke und ne Menge Italozeug zum Einkaufen.

Erster Eindruck: Es riecht nicht nach Fisch. Gute Sache. Zweiter Eindruck: Lu erklärt wieder ne Viertelstunde anderer Leute Produkte, die drei freundlichen Mitarbeiter lassen sie gewähren, fragen ab und zu, ob sie was für uns tun können und lassen uns dann wieder in Ruhe. Der Kerl und ich gucken uns Fische an: wie sie uns gefallen, welche uns sympathisch sind, welche so aussehen, als würden wir sie gerne essen. Ich finde Fische wunderschön und gucke daher etwas unentschlossen. Trotzdem haben der Kerl und ich uns für die nächste Zeit eine Forelle vorgenommen (seine Wahl) oder einen Loup de Mer (meine). Für heute sollen es eher kleine Häppchen werden, damit wir uns einfach mal durch verschiedene frische Fische durchprobieren. Wir lassen Lu aussuchen, und die netten Menschen hinter der Theke packen uns Seelachsfilet ein, Lachssteak, Pangasiusfilet, Seeteufel und Viktoriabarsch. Dazu noch ein Stück geräucherten Aal und eine politisch völlig unkorrekte Schillerlocke. Im Kühlschrank zuhause liegt bereits geräucherter Lachs aus dem Supermarkt.

Zuhause nähern wir uns mal wieder dem Produkt. Zuerst riechen: Seelachsflet riecht für mich nach Nordsee-Filiale, Lachs metallisch-fein, Pangasius nach einer sehr zarten Meeresbrise, Viktoriabarsch nach Sylter Gischt und der Seeteufel nach einem souveränen Kerl, der kurz durch Salz gewatet ist.

Der Kerl und ich nehmen am Tisch Platz, während Lu eine Runde Frontcooking macht: „Nur Olivenöl und Salz, damit ihr erst den unverfälschten Geschmack kennenlernt. Zitrone und Gewürze rüberhauen kann man immer noch.“ Lu schwenkt den Fisch in der Pfanne, während der Kerl hinter ihrem Rücken rumkaspert. „Frau Lehrerin, Frau Lehrerin, Kerl macht obszöne Gesten!“ Ah, the apple of my eye.

Ich habe während des Verkostens einen Merkzettel neben mir liegen gehabt, den ich auch später bei der Weinprobe vollgeschrieben habe. Ich will mir einfach merken, was ich alles esse, wie der erste Eindruck war und ob ich das nochmal haben will. Vorweg: Ich würde alles nochmal essen, was wir von Neptun geschenkt bekommen haben, denn es hat alles geschmeckt. Hätte ich nicht gedacht. Vor allem vom Aal nicht, denn natürlich habe ich Die Blechtrommel gesehen.

Aber zuerst wurde mal der erste Wein entkorkt. Die vielen Post-Its im Weinbuch hat Lu geordnet, mir ein bisschen was zu meinen offensichtlichen Vorlieben erzählt, und daraufhin haben wir uns ein paar Weine ausgesucht, die wir dann im Basic und im Lieblings-Spar eingekauft haben. Es war nicht nötig, zu einem Weinhändler zu gehen, denn wir wussten, was wir haben wollten. Und wenn ich demnächst mal zum Profi gehe, habe ich eine prima Grundausstattung an Geschmäckern und Noten, mit denen der Händler was anfangen kann.

Zum Fisch gab es meinen bisherigen Lieblingswein, der einzige, dessen Namen ich mir irgendwann mal gemerkt hatte: Muscadet.

(Französischer Muscadet von Michel Armand, Val de Loire, 2007, 12%)

Das Verkosten geht so: Erstmal einschenken. (Ach was.) Dann das Glas gegen etwas Weißes halten, um die Farbe zu beurteilen. Dann die Beschaffenheit des Weines zur Kenntnis nehmen: klar, trüb, moussierend … Dann die erste Nase. Wein noch nicht schwenken, Nase reinhalten und ersten Einruck mitnehmen. Der Muscadet roch für mich nach Atlantikbrise. Dann kommt die zweite Nase: den Wein schwenken und nochmal riechen. Auf einmal war ein Hauch von Zitrone zu spüren. Und dann geht der Spaß los: einen Schluck nehmen, ihn im Mund verteilen und von außen ein bisschen Luft einsaugen. Da wir seit Montag jeden Abend Wein getrunken haben, kann ich inzwischen Luft in den Mund holen, ohne zu sabbern, worauf ich sehr stolz bin. Die Geräusche sind zwar alles andere als damenhaft, aber das Luftreinholen ist kein doofes Schischi, sondern verändert den Geschmack wirklich. Aus dem Zitronenhauch wurde eine schöne, saftiggelbe Zitrone, die aber nur ganz kurz im Mund blieb, um dann mit der Brise im Rachen zu verschwinden. Keine Sekunde später war alles weg, wie bei Ebbe das Meer.

Zum Fisch passt der Muscadet angeblich hervorragend. Ich sag da mal „ja“ zu, weil ich mich in der nächsten Zeit erstmal mehr auf das Meeresgetier konzentriert habe und weniger auf den Wein. Das Pangasiusfilet hatte einen sehr unaufdringlichen, sanften Geschmack mit einer winzigen Eiernote, die aber verflog, sobald Zitronensaft dazu kam. Der Seelachs schmeckte fischiger, hatte eine mir zu weiche Konsistenz und war von allen Fischen, die wir probiert haben, der banalste. Das Lachssteak hat mich umgehauen. Ich hatte einen Heidenrespekt vor den Gräten, die aber netterweise so riesig sind, dass ich sie vorher gesehen habe. Und dann kam ein ganz anderer Geschmack als der Lachs, den ich von Sushi kannte. Fantastisch. Der Seeteufel hat mir noch besser gefallen; er war sehr markant, ohne anstrengend zu sein.

Den Viktoriabarsch bereitete Lu mit unserem selbst hergestellten Würzsalz zu, während nebenbei eine Runde mediterranes Gemüse mit Rosmarin und Meersalz zu einem Ratatouille einköchelte. Wir waren aber alle nach dem Fisch schon so satt, dass das Gemüse erst morgen mittag zum Einsatz kommt. Den Barsch mochte ich auch, aber ich glaube, ich würde am ehesten den Seeteufel und das Lachssteak nochmal essen wollen.

An den geräucherten Fisch habe ich mich zunächst nicht rangetraut, obwohl das Raucharoma natürlich toll riecht. Aber nachdem Lu und der Kerl die Haut vom Aal abgezogen und das weiße, weiche Fleisch auf ein Stück Graubrot gelegt hatten, wollte ich auch probieren – und war angenehm überrascht. Würzig, fettig, aber nicht zu fettig, rauchig, lecker. Die Schillerlocke hatte einen etwas edleren Geschmack als der Aal, war aber noch fetter. Die werden wir sowieso nicht mehr kaufen, denn der Dornhai soll gefälligst seine Bauchlappen behalten. Der Supermarkt-Räucherlachs war okay, stank aber nach dem ganzen Frischfisch total ab.

(Einschub-Edit: Jörg weist mich daraufhin, dass man bitte nicht jeden Fisch kaufen sollte.)

Für den Kerl war der Abend beendet, für Lu und mich fing er an. Denn jetzt kamen die restlichen zwei Weißweine und ein roter, zu mehr waren wir dann doch nicht mehr fähig. Wir haben alle Weine mit jeweils Parmesan, Scamorza und Ziegenkäse probiert, dazu ein bisschen von dem mediterranen Gemüse. In die Mitte vom Tisch kam der Spucknapf (vulgo: meine liebste Kuchenrührschüssel), den wir aber nur dazu benutzt haben, die Restweine zu verklappen. Wenn man mehrere Weißweine hintereinander verkostet, muss man übrigens nicht dauernd ein neues Glas nehmen. Man kippt den alten Wein weg, gießt ein bisschen vom neuen ein, schwenkt das schwungvoll durch und kippt das dann auch weg. Jetzt ist eher der neue Wein im Glas. Da ging der Muscadet hin. Enter the Riesling.

(Deutscher Riesling vom Weingut Hammel & Cie, Pfalz, 2008, 12%)

Ein goldgelber Wein, klar. Erste Nase sagt Mango, Lus erste Nase sagt Birne. Zweite Nase bleibt bei Mango (Weinbuch sagt Aprikose). Beim Verkosten kommt ganz hinten im Rachen noch ein Stück Banane dazu. Und außerdem ein seliges Lächeln, denn meine Fresse ist dieser Wein großartig. Er bleibt für mehrere Sekunden im Mund, auch wenn der Schluck längst im Magen ist.

Mit Ziegenkäse: Die beiden umarmen sich hemmungslos. Man möchte ihnen zurufen, sich schnell ein Hotelzimmer zu nehmen und viele Kinder zu zeugen.

Mit Parmesan: Der Wein erschlägt den Käse, und die Memme wehrt sich nicht mal. Langweilig.

Mit Scamorza: Der Wein holt das Raucharoma des Käses so sehr in den Mund, dass es sich anfühlt, als würde man einen Kamin auslecken. Sehr unangenehm. Nicht nachmachen.

Mit Bündnerfleisch: Der Wein schleppt mit aller Kraft das Salzfass aus dem Keller. Die Mango hat keine Chance. Auch nicht so toll.

Mit Ratatouille: angenehm unaufgeregt. Allerdings schon fast so unaufgeregt wie Steuererklärung machen.

Mir blutet das Herz, den Rest in den Napf zu schütten, denn den Wein werde ich mir auf alle Fälle nochmal holen. Er ist sehr fruchtig, sehr vollmundig und steht anscheinend auf Ziegen.

(Portugiesischer Vinho Verde von Aveleda, Peñafiel, 2008, 10%)

Nächster Kandidat: ein Vinho Verde.

Ein äußerst junger Wein, sehr hell, fast silbern im Glas, er moussiert leicht. Erste Nase sagt: Wasser. Zweite Nase sagt: Wasser mit nem bisschen Himmel drüber. Erst im Mund entfaltet sich ein hauchfeines Aroma, eine ganz kleine Zitrone, eine Dame, die sich nicht so breit macht wie der Riesling.

Mit Ziegenkäse: wie beim ersten Date. Man guckt sich an, schleicht umeinander rum, verspricht sich gegenseitig „Ich meld mich“ und vergisst im Weggehen schon, wie der andere ausgesehen hat.

Mit Weintraube: Die süße grüne Traube gewinnt das Duell haushoch, aber der Wein perlt mutig dagegen an. Jedenfalls mehr als vorher.

Mit Parmesan: sehr angenehm. Der Käse schmeckt salziger, der Wein fruchtiger.

Mit Scamorza: geht genauso wenig wie mit Riesling. Schmeckt nur nach Rauch, und aus der Zitrone wird wieder Wasser. Ohne Himmel drüber.

Mit Ratatouille: angenehm, aber langweilig. Lieber ne Folge Lost gucken.

Wir sind inzwischen pappsatt, aber absolut nicht betrunken. Ich finde es unglaublich faszinierend, konzentriert an Wein heranzugehen anstatt ihn einfach wegzusüppeln. Und es geht wirklich: Schon nach ein paar Tagen fängt man an, Aromen wahrzunehmen, die vorher nicht da waren bzw. wo man vorher nur gesagt hat „schwerer Weißer“ oder „fruchtiger Roter“. Und man kann es auf einmal in Worte fassen, die über „lecker“ hinausgehen. Außerdem bekommt man auf einmal einen Heidenrespekt vor dem Produkt, das offensichtlich so viele Facetten hat, die man ihm aber erstmal entlocken muss. (Wer f*cken will, muss freundlich sein.)

(Italienischer Primitivo von Botter, Apulien, 2007, 13%)

Auf zum letzten Wein: ein Primitivo. Eigentlich wollten wir auch noch einen kalifornischen Zinfandel verkosten, denn die beiden Weine teilen sich die gleiche Rebsorte, heißen nur anders und kommen aus verschiedenen Teilen der Welt, aber unsere Nasen sind schon ziemlich durch. Und ich kann allmählich keinen Scamorza mehr sehen, obwohl ich den gestern so toll fand.

Erste Nase sagt: Mon-Cheri-Kirschen, die schon lange im Keller liegen. Zweite Nase sagt: Wow, da sind durchs Schwenken mal eben zehn Prozent mehr Alkohol dazugekommen. Der Wein ist tiefrot, schon fast braunrot, und ich kann nicht durch ihn hindurchsehen.

Mit Scamorza: Der Käse raucht Signore Primitivo die Hütte voll, woraufhin ihm dieser in die Stiefel pinkelt. Geht gar nicht und macht schlechte Laune.

Mit Parmesan: sehr lustig – wenn man erst den Wein trinkt und dann den Parmesan isst, knacken auf einmal die Salzkristalle im Käse, der nussige Geschmack tritt zutage, großartig. Wenn man allerdings erst den Käse isst und dann den Wein trinkt, haut ihm dieser die Hucke blau. Guck, da liegt der kleine Käse. Er war mal lecker.

Mit Ziegenkäse: Die Ziege wehrt sich lange und hartnäckig, aber spätestens im Rachen wird sie plattgemacht. Auch sie hat keine Chance gegen den Primitivo.

Eigentlich sollte die Ziege der Höhepunkt sein. Aber Lu hatte noch einen Schatz parat: dunkle Schokolade mit 62% Kakaogehalt und – Fleur de Sel. Ich gucke skeptisch, mache ja aber gerade alles, was Lu sagt, nehme also ein Stück Schokolade und lasse es auf der Zunge zergehen. Ganz. Langsam. Zuerst schmecke ich Kakao, tiefen, dunkelbraunen, gutschweren Kakao. Und dann plötzlich eine salzige Spitze, die aber nicht alles versalzt, sondern sich mit dem Kakao verbindet und mit ihm zusammen ein fantastisches Aroma im Mund ergibt, rund, voll, als ob man eine ganze Sommernacht auf dem Balkon gesessen und alle Probleme dieser Welt gelöst hat. Ich greife zum Rotweinglas und nehme einen Schluck Primitivo, während die Schokolade weiter mit den Salzkristallen vor sich hinschmilzt. Der Rotwein umarmt die Schokolade, die Salze tanzen auf der Zunge, und meine Hormone feiern auf einmal im ganzen Körper eine Riesenparty. Hallo, Singles dieser Welt: Ihr braucht keine Männer, keine Frauen und keine wasauchimmer. Ihr braucht nur diese Schokolade und einen guten Rotwein. Ganz, ganz ehrlich.

Gut essen, Tag 3 – der Käseigel ohne Igel

Nie wieder Bionade. Denn ich weiß jetzt, wie man Ingwerlimonade herstellt.

Unser Tagesausflug heute ging ins Mercado in Altona. Lu hatte mich gefragt, ob ich Läden habe, die mich inspirieren, auch wenn ich meist nur nichtskaufend durch die Gegend irre. Also Orte, an denen ich Essen optisch und olfaktorisch toll dargeboten kriege. Meine Antwort: Mercado. Mal abgesehen davon, dass ich dort immer im Bodyshop für Nachschub an Bodylotions und Shampoos sorge oder im Buchladen nur mal rumgucke und nie was kaufe *hust*, mag ich das Mercado, weil da nicht nur mein Lieblingsblumenladen ist, sondern weil es dort immer unglaublich gut riecht und alles wahnwitzig lecker aussieht. So bummelten wir (ICH BIN WIRKLICH EIN BUMMLER! ES GEHT NICHT MEHR WEG!) zunächst zur Käsetheke, um zu gucken, dann zum Bioladen, um zu gucken, zum Türken, um zu gucken, zum Italiener, um zu gucken, zum Gemüsestand, um zu gucken, zum Weinhändler, um zu gucken und zum Blumenstand, um zu gucken. Gekauft haben wir überall was, bis auf den armen Blumenstand, obwohl ich dort am liebsten zugeschlagen hätte. Aber in unserer Küche steht ja bereits ein Armvoll Sommerblumen, daher habe ich die übliche „Was Buntes mit viel Rot für um die 20 Euro“-Ansage auf nächste Woche verschoben.

Einkaufen geht zurzeit so: Lu fragt mich, was ich mag, was ich mir vorstellen könnte zu probieren, welche Geschmacksrichtungen mir liegen und erzählt mir dann, was es da noch außerhalb meines schmalen Esshorizonts gibt. Im Mercado haben wir vor so ziemlich jedem Stand rumgelungert und Lu hat mir die komplette Auslage erklärt: welches Lebensmittel ist gut, welches weniger. Wobei „gut“ nicht bedeutet „keine Kalorien“, sondern „gut für mich, gut für meinen Körper, gut für meine Seele“. Und „weniger gut“ bedeutet nicht „niemals essen“, sondern „in Maßen ist alles gut“. Die Verkäufer an den Ständen haben sich sicherlich gewundert, warum da eine Frau eine andere eine Viertelstunde lang bequatscht und auf die Waren deutet, weswegen ich gerade das Gefühl habe, ich müsste ein Schild um den Hals hängen haben: „Ich lerne gerade essen. Bitte haben Sie etwas Geduld, während mein Coach mir Ihre Produkte erklärt. Wir melden uns schon, wenn wir wirklich etwas kaufen wollen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und guten Appetit.“

In unseren Tüten landeten Paprika, Gurken, Tomaten, ein Topf Rosmarin, ein Topf Basilikum, theoretisch ein Topf Schnittlauch und Petersilie, wenn wir uns eine Liste gemacht hätten, aber nein, ich sollte mich ja inspirieren lassen, das hab ich jetzt davon, KEINEN SCHNITTLAUCH UND KEINE PETERSILIE, aber dafür dreierlei Oliven, Schafskäse, Ziegenkäse, Parmesan, Scamorza, Feta mit roten Zwiebeln, Feta mit Paprika, Feta mit Jogurt und Basilikum, Milch, Rotwein, Cidre (pour le Kerl), Bündnerfleisch, ein leeres Portemonnaie und ein Zentner Vorfreude.

Aber bevor wir diese ganzen Schätze in ein Abendessen verwandelt haben, gab’s erstmal Mittag. Dafür habe ich zum ersten Mal den Mörser benutzt, und zwar, um aus Olivenöl, Basilikumblättern, Meersalz, buntem Pfeffer, Parmesan, Knoblauch und Pinienkernen das leckerste Pesto der Welt zuzubereiten. Ich habe den Teller ausgeleckt, so großartig war das Pesto. Was ich so spannend fand: Ich konnte jede einzelne Komponente rausschmecken und gleichzeitig das Gesamtwerk genießen. Unser bisheriges Fertigpesto hat mir auch geschmeckt, aber da hätte ich beim besten Willen nicht sagen können, was drin ist. (Und wenn man auf die Packung guckt und sieht, was drin ist, will man auch gar nicht mehr die Einzelteile schmecken.)

Zum Nachtisch gab’s frische Ananas, für die ich den Zitronenmelissetopf geplündert habe. Die Kombination von süßestem Ananas und spritzig-zitronigem Grünzeug ist umwerfend. (Ich brauche neue Fressadjektive. Ich kann nur Autoadjektive.)

Nachdem ich schwungvoll das Fertigpesto aus dem Kühlschrank in den Mülleimer umgesiedelt hatte, haben wir dieses Thema noch vertieft: in unserer Speisekammer. Der Kerl und ich wohnen seit knapp drei Jahren zusammen, aber wir haben es nie geschafft, unsere Vorräte zu vereinheitlichen. Das liegt zum Teil an unseren kruden und sehr voneinander abweichenden Essvorlieben, das liegt aber auch daran, dass wir manchmal beknackterweise an unseren „eigenen“ Sachen hängen. So stehen bei uns zwei Sets Geschirr im Schrank, weil ich meins lieber mag und der Kerl seins, wir haben zwei Sorten Besteck, und irgendwie haben sich im Laufe der Zeit zwei Lager in der Speisekammer gebildet. Ihre Stunde hatte gestern geschlagen, denn nun ist alles fein säuberlich sortiert in „Geht immer“ (Hülsenfrüchte, Obst, Gemüse), „Geht nur, wenn’s schnell gehen, aber immer noch gesund sein soll“ (Gemüse im Glas), „Geht bitte nicht abends und generell eher in Maßen“ (Nudeln, Kartoffeln, Reis, Brot) und „Geht ausnahmsweise, ehe wir verhungern, uns gegenseitig essen oder einen Kiosk überfallen“ (Schokolade, Fertigprodukte). Dazu noch ein paar Gewürze, eine Ecke für Wein und genug Platz für kistenweise Wasser. Die böse Coke und Sprite Zero stehen jetzt im Flur und werden demnächst von unserem Getränkelieferanten gegen Wasserkisten getauscht.

Nach einer Runde Wii Sports (I rule!) hat Lu aus unserer Fensterbank einen Kräutergarten gemacht. Da stehen jetzt Rosmarin, Liebstöckel, Basilikum, Oregano, Salbei und Zitronenmelisse. Und demnächst noch Schnittlauch und Petersilie. Dafür musste mein wild wuchernder Kaktus, den mir der Kerl zu irgendeinem Valentinstag geschenkt hat (he, Kaktus ist besser als Slime. Ja, das hat er mir auch schon geschenkt), umziehen, denn für ihn war einfach kein Platz mehr. Didier (he, Kakteen haben auch ein Recht auf Namen. Ja, er ist nach Didier Drogba benannt) wohnt jetzt im Schlafzimmer.

Abends gab’s dann für Kerl und mich die Riesenprobierplatte (siehe unten; auf dem Foto fehlen die drei Feta-Cremes und kurz angebratene, gelbe Zucchini), während Lu sich mal von uns Freizeit gönnte. Unsere Anweisung: Zeit nehmen, alles alleine probieren, alles in allen Kombinationen probieren, mal nen Schluck Wein oder Cidre dazu, dann wieder Wasser, Wein mit allen Kombinationen probieren und vor allem: genießen. Hat wunderbar funktioniert. Käse und Wein geht ja immer, sowohl der 30 Monate gereifte Parmesan als auch der rauchige, milchige Scamorza haben aus dem Erdbeerrosé einen Wilderdbeerbusch gemacht. Der Ziegenkäse hat die Paprika mehr veredelt als die Tomaten, die gelben Zucchini haben einen Hauch von Hühnchennachgeschmack, die grünen Oliven haben im Vergleich zu den schwarzen fast industriell geschmeckt. Auf meinem Teller vermischten sich Feta mit Olivenöl und unserem selbstgemachten Rosmarinsalz, die Kräuter der schwarzen Oliven mit dem Innenleben einer aufgeschnittenen Strauchtomate. Ich habe mich wie im Urlaub gefühlt, nur dass unser Buffett drei Millionen weniger Kalorien hatte und nach Mittelmeer duftete ohne nach Hund zu stinken.

Und jetzt sitze ich gerade satt und zufrieden auf dem Sofa und klebe massenweise Post-Its in Lus Weinbuch, weil ich mal durchgucken sollte, welche Aromen mir denn gefallen könnten. Morgen steht die Weinprobe an. Und die Mutprobe: der Fischhändler.

Gut Essen, Tag 2 – das Erdbeerhuhn

Bisher bin ich Wochenmärkten stets großräumig ausgewichen. Erstens mag ich keine Menschenmengen und zweitens keine, die sich nur im Schritttempo fortbewegen. Ich bin eher der Listeneinkäufer; ich überlege mir vorher, was ich essen will, überschlage im Kopf, was noch zuhause ist (oder was weg muss) und schreibe mir dann auf, was ich noch brauche. Mit dem Zettel bewaffnet gehe ich in den nächstgelegenen Supermarkt und kaufe relativ stur nur den Kram, den ich mir notiert habe. Ich kenne es überhaupt nicht, mich von Obst- und Gemüseauslagen inspirieren zu lassen. Auch deshalb, weil ich nicht wüsste, was ich mit dem ganzen Kram anfangen sollte, aber eher, weil ich Esstrottel mich wohler fühle, kontrolliert eine Liste abzuarbeiten.

Über den Schatten musste ich jetzt aber springen, denn Lu zerrte mich gnadenlos in Richtung Isemarkt. Schon im Bus bemerkte ich ein erhöhtes Menschenaufkommen, von denen die meisten auch mit Körben und Taschen bewaffnet waren. Ich hatte aber keine lange Zeit zu jammern, denn schon vom ersten Stand an habe ich nur noch geguckt, gestaunt, gerochen – und GEBUMMELT. ICH BIN EIN BUMMLER GEWORDEN. Gut, die Gemüsestände sahen für mich auf den ersten Blick nicht anders aus als der Türke um die Ecke, aber Lu sorgte dafür, dass ich nicht ganz so saumselig durch die Gegend schlich, sondern bewusst Ausschau hielt. Nach verschiedenen Tomaten, die der Kerl so gerne isst, nach Angeboten, die vielleicht inspirieren, nach Gemüse, das ich noch nie probiert habe, es aber gerne mal machen würde, nach den Weinbergpfirsichen (die Nektarinen sind, wie ich jetzt weiß – „Ich will die ohne Haare“), die mir gestern so gut geschmeckt hatten. „Merk dir mal, wie viel die hier für ein Kilo haben wollen.“ Ich habe ehrlich gesagt noch nie auf Preise von Lebensmitteln geachtet (musste ich netterweise noch nie), habe aber ziemlich schnell daran Gefallen gefunden, von einem Stand zum nächsten zu gehen und vor mich hinzumurmeln: „5,40? Da geht noch was.“

Beim schönsten Tomatenstand haben wir fünf verschiedene Sorten erstanden und von der Verkäuferin den Tipp bekommen, beim Draußensitzen eine Zitrone mit Nelken zu spicken, das hielte die Wespen ab. Beim hamburgisch gefärbten Italiener haben wir die Nektarinen gekauft, die der Mann auf Anhieb aufs Gramm genau abgewogen hat. Trinkgeld galore. Am Fischstand (noch ein unbeschriebenes Blatt bis auf Fischstäbchen, Pangasiusfilet und Fischmac) habe ich gelernt, wie man frischen Fisch erkennt: Augen sollten klar sein, die Kiemen rosig, beim Druck mit dem Finger sollte das Fleisch wieder in die Ausgangsposition zurückkehren, und nicht zuletzt sollte es nicht so fies nach Fisch riechen. Ist mir sehr recht.

Eine Verkäuferin hatte statt eines meterbreiten Standes nur einen kleinen Tisch vor sich, auf dem sie zwei Sorten Olivenöl aus dem italienischen Familienbetrieb verkaufte. Ich habe zum ersten Mal auf einem Markt etwas probiert, nämlich Öl mit einem kleinen Weißbrotstückchen. Und ich habe zum ersten Mal gemerkt, wie unterschiedlich Öl schmecken kann. Ich entschied mich für die mildere Variante, die nicht ganz so scharf hinten im Rachen war, wir kauften noch zwei frisch geschlachtete Hühnchen, und so bepackt traten wir den Rückweg zur Homebase an – nur um zehn Minuten später wieder aufzubrechen. Diesmal in die Innenstadt, um uns einen Mörser zu kaufen.

Nachdem auch das erledigt war, kam wieder ein bisschen Theorie. Was machen Kohlehydrate, wieviel Eiweiß sollte ich essen, wieviele Mahlzeiten am Tag … und wann ich denn Zeit hätte, mal wieder vernünftig Sport zu machen. Nachdem wir auch das festgelegt hatten, erklärte ich Lu die Wii Fit, deren Aerobic-Stepprogramm jetzt zu meinem persönlichen Sportplan gehört. Zur Strafe habe ich Lu dafür im Tennis vermöbelt. Außerdem haben wir festgestellt, dass das Wii-Board eine fiese Stasikonsole ist. „Hallo Lu. Findest du, dass sich Anke verändert hat? Ist sie a) schlanker, b) dicker, c) gleichgeblieben …“ d) … keine Ahnung, ich war mit Aufplustern beschäftigt: „Was bilden sich dieses Board denn da bitte ein?!?“

Der Tag war fast schon rum, als wir endlich Zeit für das Abendessen hatten. Die zwei Hühnchen wurden aus der Folie gewickelt, ich entfernte das Gummi, das sie zusammenhielt und hatte das gleiche Gefühl wie gestern beim Lamm: Ich sehe das Tier und nicht mehr nur ein Stück Fleisch und ich kann mal kurz danke sagen. Jetzt weiß ich auch, warum eine Hühnerbrust so aussieht wie sie aussieht, weil ich jetzt weiß, wo sie sitzt. (Lus Mantra: Nähe zum Produkt. Nähe zum Produkt.) Die Vögel landen zum Anbraten in heißem Öl, werden mit Milch übergossen, eine Handvoll Salbeiblätter, abgeriebene Zitronenschale und gefühlte 20 Knoblauchzehen dazu, Deckel drauf, ab in den Ofen mit Omas Schmortopf.

Während das Huhn gar wird und mal wieder herrlichster Duft durch unsere Wohnung zieht, mixe ich aus verschiedensten Salzen und Kräutern eine Würzmischung, die in den nächsten Tagen auf irgendeinem Fisch landen soll. Dann verkosten Lu und ich mehrere Öle, darunter auch das neu erstandene; ein bisschen pur auf eine Untertasse gießen, dran riechen, kurz nippen und dann mit gespitztem Mund Luft reinsaugen, so dass sich alles verteilt und auch der Rachen noch was mitkriegt. Ich schmecke pures Olivenöl und finde es großartig, sich so ausführlich und liebevoll mit Essen zu beschäftigen – und kann es kaum fassen, welche Schätze ich in meiner Küche habe.

Der Kerl ist inzwischen auch zuhause und darf den Mörser einweihen; er produziert aus Meersalz und kleingeschnittenem Rosmarin ein Rosmarinsalz (ach was), das wir noch durch ein Sieb streichen, um es feiner und haltbarer zu machen. Währenddessen waschen wir noch eine Runde Kopfsalat und vermischen ihn mit ein bisschen Rucola und Radicchio. Das Dressing besteht aus Zitronensaft, einer Zwiebel, ein paar gelben Tomätchen aus Lus Garten, Olivenöl und – Ahornsirup. Den habe ich bisher nur über Pfannkuchen gekippt, lerne aber jetzt, dass er großartig mit Zitrone zusammenpasst. Trotzdem werden Salat und ich wahrscheinlich wirklich keine Freunde mehr, denn trotz der veschiedenen Geschmäcker, die mir grün und nussig und fein-bitter entgegenkommen, habe ich das Gefühl, einen Haufen Taschentücher zu essen. Ich vermisse Gurken, Tomaten und Paprika. Und überraschenderweise keine Schokolade.

Das Hähnchen ist gar, Lu zerteilt das erste, ich gucke zu und zerteile dann mit Omas Geflügelschere knackend das zweite. Das Fleisch ist buttrigzart, die Haut knusprig, und es duftet himmlisch. Zum Essen gibt es heute einen Tempranillo Rosé, der in seiner roten Form laut Weinbuch nach Brombeeren, Tabak und Schokolade schmecken soll. Ich schnuppere, finde keine Brombeere, kann aber auch nicht sagen, was es sonst sein soll, bis Lu meint: „Himbeere.“ Logisch. Himbeere. Klar. Ich finde es sehr spannend, Gerüche oder Geschmäcker in der Nase oder im Mund zu haben, sie zu kennen – und doch nicht benennen zu können. Lu vergleicht es mit dem Erlernen einer Fremdsprache, ich fühle mich an den Gesangsunterricht erinnert, wo ich mit meinen Händen einen imaginären Raum über mir beschrieben habe, um höher singen zu können. Einfach eine neue Art, sich mit etwas auseinanderzusetzen, eine Art, die ich noch lernen muss. Im Mund verwandelt sich die Himbeere in eine reife Erdbeere und erinnert an dicke Bowlegläser auf einer Terrasse mit bunten Lichtern. Das zarte Huhn macht die Erdbeere im Mund noch größer, das Zitronendressing bringt sie zum Hüpfen. Ich sitze wie gestern bräsig-beseelt am Tisch und freue mich auf morgen. Da gehen wir Käse kaufen. Und Wein. Und irgendwann diese Woche Fisch. Und dann krieg ich einen Crashkurs in Weinkunde. Und wir organisieren die Speisekammer um. Und irgendwann lese ich mal wieder ein Buch.

Gut Essen, Tag 1 (und ein halber Tag 0)

Sonntag Mittag. Ich stehe im Stau am Dammtor und hoffe, trotzdem noch rechtzeitig zum Bahnhof zu kommen, um Frau Lu abzuholen, die sich ein paar Tage beim Kerl und mir einnisten wird. Nicht nur, weil’s nett ist, sondern auch, weil wir ihr Geld dafür zahlen, damit sie uns ein bisschen besseres Essen beibringt. Wir sind sehr gespannt, haben brav eine Woche Ernährungstagebuch geführt und werden das wahrscheinlich im Laufe der Woche um die Ohren gehauen bekommen.

Sonntag Nachmittag. Erst bin ich dran, dann der Kerl. Ich werde nicht nur nach Größe und Gewicht gefragt, sondern auch nach Gewohnheiten, Bewegung, Vorlieben bei Essen, was mag ich gar nicht, woran könnte ich mich ranessen usw. Lu will uns nämlich – das war unser Wunsch – nicht nur vernünftiges Essen beibringen, sondern auch vielfältiges. Wir haben beide unsere fünf Grundrezepte, die wir seit 20 Jahren kochen, weil sie uns schmecken, trauen uns aber recht selten an Neues ran. Wenn ich ein neues Kochbuch kaufe, machen wir meist ein Rezept daraus und das war’s. Mal schmeichelt sich dieses Rezept an unsere fünf Grundrezepte ran und wird ein neuer Freund (wie bei Tim Mälzers Kartoffel-Gurken-Salat mit einem Dressing aus Weißweinessig, Schalotten und körnigem Senf), meist prügeln aber unsere fünf Grundrezepte den Fremdling mit Mistgabeln vom Hof (wie beim grandiosen Experiment Jakobsmuscheln, die ich ausprobieren wollte, weil die das dauernd im Perfekten Dinner essen).

Ich fühle mich manchmal wie ein Essenspraktikant, weil ich nicht wirklich viel nutze von dem, was mir so in Supermärkten entgegenlächelt. Dem Kerl geht’s ähnlich, und daher dachten wir uns: Fragen wir doch mal wen, der sich mit sowas auskennt, damit aus den Praktis endlich Junioren werden.

Tag 1. Montag. Der Kerl eilt ins Büro, ich habe mir die Woche freigenommen. Erster Tagesordnungspunkt: Küchencheck. Lu guckt sich unsere Vorräte an und reicht einige Gewürzdosen an mich weiter, damit ich sie verklappe. Wie immer bei den kleinen Rackern tummeln sich da einige, die schon lange ihr Lebensende erreicht haben. Genau wie in unserer kleinen Speisekammer, wo ein paar Dosen ins Nirvana einziehen dürfen. Hält sich aber alles in Grenzen.

Dann geht’s ans Eingemachte: Fertigsuppen müssen nicht sein, Fertigbrühen schon gar nicht. Unsere geliebten Maggigläschen, mit denen wir gerne Kartoffeln oder Nudeln kochen, kommen weg und werden am Nachmittag durch ihre Biokumpels ersetzt, die mit weitaus weniger Chemie auskommen. Einige Sachen stehen bei uns nur noch rum, weil wir zu bräsig sind, sie wegzuschmeißen. „Seit wann hast du keinen Kakao mehr getrunken?“ — „Ein Jahr …?“ — „Nesquik kommt weg.“

Und dann kam mein persönliches Highlight des Tages. Beziehungsweise das erste: eine kleine Neuorganisation der Küche. Kennt wahrscheinlich auch jeder: Man zieht ein, organisiert das alles halbwegs durch, aber ein paar Ecken bleiben dann doch Baustellen. Bei uns ist es das Altpapier, was da lagert, wo man bequem rankommt, wo man aber auch gerne dazu neigt, es zu einem Berg werden zu lassen, weil man es prima ignorieren kann. Außerdem ist unsere Arbeitsplatte zu vollgestellt mit Zeug, bei dem ich nicht weiß, wo es besser hinpassen könnte. Durch Wegschmeißen von Dosen und Nesquik ist schon ein bisschen mehr Platz in den Regalen und Schränken geworden, und außerdem tummelt sich bei uns noch mein altes Ikea-Fernsehrolltischchen, das ich nicht wegschmeißen wollte, zu dem mir aber auch nicht Besseres eingefallen ist, als es in einer Ecke als Staubfänger und Ablageplatz für Grütz stehenzulassen. Aus ihm wird nun ein schicker Küchenrollwagen, auf dem sich Arbeitsutensilien und Gewürze stapeln, die man am Herd braucht. Denn da steht es jetzt. Und in seiner bisherigen Ecke lagert nun das Altpapier. Ich stehe fünf Minuten wie ein Idiot in der Küche und frage mich, warum ich da nicht selber draufgekommen bin. Lu tröstet mich mit dem üblichen Wald vor lauter Bäumen, aber ich habe das Gefühl, dass das Fangorn mit Mammutbäumen ist. Es kann so einfach sein.

Ohne zu sehr mit Details zu langweilen: Nach zwei Stunden ist unsere Küche besser organisiert, heller und bietet mehr Arbeitsfläche. Ich fange schon fast an zu heulen, aber es wird noch besser. Denn jetzt gehen wir einkaufen.

Wir treffen uns mit dem Kerl bei basic, das wir seit Jahren Basitsch aussprechen und das auch nicht mehr ändern werden. Geplant ist für heute abend ein Milchhühnchen. Ich habe bisher nur ein paar Weihnachtsgänse zubereitet, aber noch nie einen ganzen Vogel für alltags. basic nimmt es bei Fleisch von den Lebenden, und Lu entscheidet sich, das Huhn doch lieber von Wiesenhof und im Supermarkt zu kaufen. Wir lungern eine gute Dreiviertelstunde im Bioladen rum, lernen, dass Mangold quietschbunte Stängel hat (ich wähle den gelben und lasse die pinkfarbenen liegen) und wie gut frischer Ingwer riecht, wenn man ein Eckchen abbricht. Ich lasse mich bequatschen, doch einen Blattsalat mitzunehmen, den ich immer als toplangweilig of the langweilig empfunden habe. Lu behauptet, wenn man ein bisschen Rucola runtermischt, schmeckt das gleich ganz anders. Wir schnuppern an Broten, lassen uns Brotaufstriche erklären und den Vorteil von Biomilch: „Wenn du Muttermilch trinken würdest, dann doch auch lieber von einer Nichtraucherin, die sich gesund ernährt, oder?“ Ich möchte jetzt gar keine Milch mehr trinken, woraufhin Lu noch zwei Weine einpackt.

Nächste Station: Budni, die eine Alnatura-Ecke haben, die deutlich günstiger ist als Basitsch. Hier werden dann die Biobrühen gekauft, eine Menge Gewürze, Couscous für den Kerl, Dinkelnudeln für mich, Tomatensaucen und Frischkäse.

Schließlich unser Lieblingsspar, der nach der Umbenennung der Kette ein Edeka ist, aber für uns immer „unser Osterstraßen-Spar“ bleiben wird. Dort reiben wir an Liebstöckel und entdecken, dass es Kräuter gibt, die wie Maggi riechen, an Zitronenmelisse, die ich am liebsten sofort aufessen würde, so frisch duftet das Grünzeug, an Salbei, Majoran, Thymian und Oregano. Unser Einkaufswagen ist eine grüne Hölle. Das geplante Hühnchen wird zur Lammhaxe, als Beilage gibt es zum bereits erstandenen Mangold (den ich haben wollte, weil Herr Alphonso alle fünf Minuten seine Tarte erwähnt) Mohrrüben. Schwer bepackt treten Kerl und Lu den Rückweg an, während ich, ganz grande dame, mit Sonnenbrille lässig noch ein Körbchen Erdbeeren und einen Riesenstrauß bunter Blumen erstehe.

Der Kerl staunt über die neue Küche, wir packen aus und verstauen und können es kaum erwarten, die ganzen Schätze in eine Mahlzeit zu verwandeln. Ich schneide eine rote und eine Speisezwiebel klein, der Kerl eine gelbe Paprika, die in unserer Kammer lag, Lu wirft die Zwiebeln, frischen Knoblauch, zwei Lorbeerblätter und einen Zweig Rosmarin in einen Topf mit heißem Olivenöl. Darauf kommen die zwei Lammhaxen und die Lammschulter, ein ordentlicher Schuss Tempranillo, ein paar Kirschtomaten, köcheln lassen. Lu und ich testen den Wein; ich kann nur sagen „lecker“, während Lu mir geschmacksmäßig auf die Sprünge hilft: „Ganz dunkle, saftige Kirschen.“ Genau das habe ich natürlich gemeint und nehme noch einen Schluck.

Nach einer Stunde Pause Rumgeköchele geht es weiter. Ich wasche Mangold, Kerl schneidet Mohrrüben, Lu fischt das Lamm aus dem Topf und legt die drei Teile auf einen Teller. Das Fleisch hat sich zurückgezogen, die Beinknochen sind nun zur Hälfte sichtbar, genau wie die fünf Rippchen des Lamms. Lu schabt das Fleisch mühelos von den Knochen und rührt es wieder in den Topf, aus dem es seit einer Stunde unglaublich lecker duftet. Ich sehe zum ersten Mal bewusst die kleinen, dünnen Rippen, die mal ein Lämmchen getragen haben und habe das Bedürfnis, kurz „Danke, kleines Lamm“ sagen zu wollen. Dieses Gefühl hatte ich noch nie, denn bisher waren der Kerl und ich eher Filet- und Geflügelbrustkäufer, die kaum noch zeigen, dass sie mal Teil eines Lebewesens waren. Ich mache innerlich eine Notiz an das Lamm und gucke dann Lu zu, wie sie Mohrrüben mit einem Hauch Rosmarin in der Pfanne anbrät und mit Weißwein und Wasser ablöscht. Der Mangold wird kurz blanchiert, das Couscous ist auch innerhalb von wenigen Minuten fertig, ich decke den Tisch, und endlich gibt es was zu essen. Der Kerl trinkt Wasser, Lu und ich den Weißwein, der schon in die Möhrenpfanne gekommen ist, ein Pinot Bianco aus dem Friaul.

Während des Kochens haben der Kerl und ich dauernd probiert und wurden gefragt, ob noch was fehle und wenn ja, was. Ich finde alles lecker, Lu pfeffert beim Fleisch nochmal nach, und der Kerl stößt eine Diskussion darüber an, was eigentlich an Gewürzen wozu passt (Lu: „Reinwerfen und gucken“). Ich probiere zum ersten Mal Mangold und muss an Erde denken und Grünkohl. Die Möhren waren mir in der Pfanne einen Hauch zu rosmarinlastig – ich mag den Geschmack von Mohrrüben sehr gerne, da muss von mir aus gar nichts mehr dran –, stelle aber fest, dass sie im Zusammenspiel mit dem Lamm und der Sauce genau richtig sind. Ich spreche innerlich ein kleines Gebet für das Lamm und koste den Wein nacheinander mit den verschiedenen Komponenten auf dem Teller. Der Wein ist fruchtig, aber nicht süß. Zum Nachtisch teilen wir uns einen Bergpfirsich mit ganz weißem Fleisch, der so lecker ist, dass ich nöle, warum wir davon nur einen gekauft haben. Auf einmal schmeckt der Wein herber, aber immer noch köstlich. Anders köstlich. Lu holt ihr Weinbuch und schenkt mir ein kopiertes „Geschmacksrad“, auf dem ich blutiger Anfänger wenigstens ein paar Vokabeln stehen habe, die Wein beschreiben. Trotz des Rades kann ich nicht sagen, ob der Wein jetzt eher in Richtung Mango oder Zitrone neigt, aber inzwischen schmeckt eh alles nach Rosmarin. Ich fühle mich satt und glücklich und reich beschenkt.

Und morgen kaufen wir einen Mörser.

„Diese ganze Frauenkosmetik ist ja ein einziger Obstsalat.“

“Helen Thomas at 89, upon being asked if she would consider joining Twitter.” The look on her face alone answers that question.”

(Via The Daily What. Helen Thomas ist die dienstälteste White-House-Korrespondentin; ich erwähnte sie bzw. ihre Autobiografie bereits.

Familientreffenerprobte Argumentation gegen Internetsperren.

Spendenbitte

Moni bittet um Mithilfe, um eine Anzeige schalten zu können, die auf die unerträgliche Bildungs- und Betreuungssituation behinderter Kinder in Berlin aufmerksam macht. Ihr wisst schon, die Stadt, die arm, aber angeblich sexy ist, dringend ein Stadtschloss braucht und mit einer rot-roten Regierung eigentlich wahnwitzig sozial sein sollte.

„Vom „Elternzentrum Berlin“, dem Verein, den ich mitbegründet habe und bei dem ich im Vorstand bin, arbeiten wir seit über einem Jahr sehr effektiv am Protest. Wir konnten die Katastrophe bisher immer wieder abwenden – nur sieht es dieses Mal nicht mehr danach aus. Nun haben wir allerlei neue Ideen und Aktivitäten, die allerdings Geld kosten, welches wir noch nicht in der Vereinskasse haben (wir arbeiten gerade daran, über Stiftungen etc. ein finanzielles Polster zu bilden). Wir möchten gerne eine ganzseitige Anzeige in einer Berliner Tageszeitung schalten, und brauchen für dieses konkrete Projekt Geld. Wir haben eine Website zum Spenden eingerichtet:

Spenden für die Bildung schwerbehinderter Kinder

Wir haben ein PayPal-Konto eingerichtet, so dass das Spenden auf der Website auch sehr einfach geht, wenn man keine Lust hat, eine Überweisung zu tätigen. Da unser Verein anerkannt gemeinnützig ist, können wir selbstverständlich Spendenquittungen ausstellen, so dass die Spenden in der Steuererklärung problemlos absetzbar sind.

Über jede kleine Hilfe freuen wir uns. Unser Ziel ist es, bis zum 5. September 2.772 Euro zu bekommen, damit unsere Anzeige in der Wochenendausgabe erscheinen kann. Den Tarif für die Anzeige haben wir schon verhandelt, den Anzeigentext fertig geschrieben und eine Grafikerin hat uns das Layout gesponsert – es ist sehr schön geworden. Nun fehlt nur noch das Geld, um diese Anzeige zu schalten. Nähere Infos zur Problematik u.a. auf unserer Protest-Website, oder auch in zwei neuen Zeitungsartikeln:

Eltern kämpfen um Recht auf Bildung

Für behinderte Kinder fehlen die Schulhelfer

Lernerfolge bleiben aus

Bitte verbreitet den Aufruf in euren Blogs oder per Twitter. Danke.

Pepsi and Coca-Cola Logo Design Over the Past Hundred Years. Via Herrn Nickels Gezwitscher.

Großartige Sammlung von Zeug aus den 60ern: The Footnotes of Mad Men. Via InesGezwitscher.

„Leider verhält es sich mit dem Anfang einer Lüge unserer Geliebten wie mit den Anfängen unserer eigenen Liebe oder dem Anfang einer Berufung. Sie entstehen, sie wachsen, doch entgehen sie unserer Aufmerksamkeit. Will man sich erinnern, auf welche Weise man angefangen hat, eine Frau zu lieben, so liebt man sie bereits; von den vorangehenden Träumereien sagte man nicht: Das ist der Auftakt einer Liebe, Vorsicht; so rückten sie dann vor, überraschend und fast unbemerkt. Abgesehen von verhältnismäßig seltenen Fällen habe ich hier der bequemeren Darstellung wegen häufig eine lügenhafte Äußerung Albertines ihrer ersten Behauptung (über die gleiche Sache) gegenübergestellt. Diese erste Behauptung hatte sich, da ich ja nicht in der Zukunft lesen und bereits wissen konnte, welche entgegengesetzte Äußerung eines Tages ihr Pendant bilden werde, unbemerkt eingeschlichen, und ich hatte sie zwar mit eigenen Ohren angehört, doch ohne daß ich sie aus dem Zusammenhang der Reden Albertines herausgehalten hätte. Später, nachdem die Lüge an den Tag gekommen oder ich nachgerade von ärgsten Zweifeln heimgesucht war, hätte ich mich gern erinnert, aber vergebens; mein Gedächtnis war nicht rechtzeitig gewarnt worden und hatte es für überflüssig gehalten, eine Kopie aufzubewahren.“

Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit 5: Die Gefangene, Suhrkamp 3645, 2000, Seite 214/215, Übersetzung von Eva Rechel-Mertens.

„Il en est malheureusement des commencements d’un mensonge de notre maîtresse comme des commencements de notre propre amour, ou d’une vocation. Ils se forment, se conglomèrent, ils passent, inaperçus de notre propre attention. Quand on veut se rappeler de quelle façon on a commencé d’aimer une femme, on aime déjà ; les rêveries d’avant, on ne se disait pas : c’est le prélude d’un amour, faisons attention ; et elles avançaient par surprise, à peine remarquées de nous. De même, sauf des cas relativement assez rares, ce n’est guère que pour la commodité du récit que j’ai souvent opposé ici un dire mensonger d’Albertine à son assertion première sur le même sujet. Cette assertion première, souvent, ne lisant pas dans l’avenir et ne devinant pas quelle affirmation contradictoire lui ferait pendant, elle s’était glissée inaperçue, entendue certes de mes oreilles, mais sans que je l’isolasse de la continuité des paroles d’Albertine. Plus tard, devant le mensonge parlant, ou pris d’un doute anxieux, j’aurais voulu me rappeler ; c’était en vain ; ma mémoire n’avait pas été prévenue à temps ; elle avait cru inutile de garder copie.“

Marcel Proust, À la recherche du temps perdu 5: La Prisonnière, Quelle)

Die Longlist für den Deutschen Buchpreis ist da. Via Tutscheks Gezwitscher.

Heute morgen zwei Werbemails im elektronischen Briefkasten gehabt. Die eine wollte umsonst einen Claim von mir, kam inklusive einiger Rechtschreibfehler und linkte auf ein Blog mit sinnlos hergezeigten Brüsten im Header. Ratet, was ich mit dieser Mail gemacht habe.

Die andere hat meinen Namen richtig geschrieben, ist kurz auf mein Blog eingegangen und hat mir, ohne zu drängeln, ihre Webseite bzw. ihr Produkt nahegelegt. Ratet, was ich mit dieser Mail gemacht habe:

Books on Stage.