Gut Essen, Tag 4 – die 62%-Hormonsause
Heute ist Verkostungstag: erst Fisch, dann Wein.
Ich weiß nicht, ob es an meinem Sternzeichen liegt (ratet), aber ich habe mich noch nie wirklich an Fisch rangetraut. Seelachsfilet aus der Tiefkühltruhe, Schlemmerfilet Bordelaise, Fischmac bei McDonald’s und ein- oder zweimal Pangasiusfilet, weil ich das öfter im Perfekten Dinner gesehen habe – everything I ever needed to know in life I learned from watching TV. Not. – das war bisher meine kulinarische Reise in die Ozeane. Das sollte sich jetzt ändern, denn trotz Schwellenangst wurden der Kerl und ich ins Euro Vita geprügelt, einem netten Fischhändler um die Ecke. Im Laden lagen nicht nur diverse Fische auf Eis, es gab auch Salate, eine üppige Kästetheke und ne Menge Italozeug zum Einkaufen.
Erster Eindruck: Es riecht nicht nach Fisch. Gute Sache. Zweiter Eindruck: Lu erklärt wieder ne Viertelstunde anderer Leute Produkte, die drei freundlichen Mitarbeiter lassen sie gewähren, fragen ab und zu, ob sie was für uns tun können und lassen uns dann wieder in Ruhe. Der Kerl und ich gucken uns Fische an: wie sie uns gefallen, welche uns sympathisch sind, welche so aussehen, als würden wir sie gerne essen. Ich finde Fische wunderschön und gucke daher etwas unentschlossen. Trotzdem haben der Kerl und ich uns für die nächste Zeit eine Forelle vorgenommen (seine Wahl) oder einen Loup de Mer (meine). Für heute sollen es eher kleine Häppchen werden, damit wir uns einfach mal durch verschiedene frische Fische durchprobieren. Wir lassen Lu aussuchen, und die netten Menschen hinter der Theke packen uns Seelachsfilet ein, Lachssteak, Pangasiusfilet, Seeteufel und Viktoriabarsch. Dazu noch ein Stück geräucherten Aal und eine politisch völlig unkorrekte Schillerlocke. Im Kühlschrank zuhause liegt bereits geräucherter Lachs aus dem Supermarkt.
Zuhause nähern wir uns mal wieder dem Produkt. Zuerst riechen: Seelachsflet riecht für mich nach Nordsee-Filiale, Lachs metallisch-fein, Pangasius nach einer sehr zarten Meeresbrise, Viktoriabarsch nach Sylter Gischt und der Seeteufel nach einem souveränen Kerl, der kurz durch Salz gewatet ist.
Der Kerl und ich nehmen am Tisch Platz, während Lu eine Runde Frontcooking macht: „Nur Olivenöl und Salz, damit ihr erst den unverfälschten Geschmack kennenlernt. Zitrone und Gewürze rüberhauen kann man immer noch.“ Lu schwenkt den Fisch in der Pfanne, während der Kerl hinter ihrem Rücken rumkaspert. „Frau Lehrerin, Frau Lehrerin, Kerl macht obszöne Gesten!“ Ah, the apple of my eye.
Ich habe während des Verkostens einen Merkzettel neben mir liegen gehabt, den ich auch später bei der Weinprobe vollgeschrieben habe. Ich will mir einfach merken, was ich alles esse, wie der erste Eindruck war und ob ich das nochmal haben will. Vorweg: Ich würde alles nochmal essen, was wir von Neptun geschenkt bekommen haben, denn es hat alles geschmeckt. Hätte ich nicht gedacht. Vor allem vom Aal nicht, denn natürlich habe ich Die Blechtrommel gesehen.
Aber zuerst wurde mal der erste Wein entkorkt. Die vielen Post-Its im Weinbuch hat Lu geordnet, mir ein bisschen was zu meinen offensichtlichen Vorlieben erzählt, und daraufhin haben wir uns ein paar Weine ausgesucht, die wir dann im Basic und im Lieblings-Spar eingekauft haben. Es war nicht nötig, zu einem Weinhändler zu gehen, denn wir wussten, was wir haben wollten. Und wenn ich demnächst mal zum Profi gehe, habe ich eine prima Grundausstattung an Geschmäckern und Noten, mit denen der Händler was anfangen kann.
Zum Fisch gab es meinen bisherigen Lieblingswein, der einzige, dessen Namen ich mir irgendwann mal gemerkt hatte: Muscadet.
(Französischer Muscadet von Michel Armand, Val de Loire, 2007, 12%)
Das Verkosten geht so: Erstmal einschenken. (Ach was.) Dann das Glas gegen etwas Weißes halten, um die Farbe zu beurteilen. Dann die Beschaffenheit des Weines zur Kenntnis nehmen: klar, trüb, moussierend … Dann die erste Nase. Wein noch nicht schwenken, Nase reinhalten und ersten Einruck mitnehmen. Der Muscadet roch für mich nach Atlantikbrise. Dann kommt die zweite Nase: den Wein schwenken und nochmal riechen. Auf einmal war ein Hauch von Zitrone zu spüren. Und dann geht der Spaß los: einen Schluck nehmen, ihn im Mund verteilen und von außen ein bisschen Luft einsaugen. Da wir seit Montag jeden Abend Wein getrunken haben, kann ich inzwischen Luft in den Mund holen, ohne zu sabbern, worauf ich sehr stolz bin. Die Geräusche sind zwar alles andere als damenhaft, aber das Luftreinholen ist kein doofes Schischi, sondern verändert den Geschmack wirklich. Aus dem Zitronenhauch wurde eine schöne, saftiggelbe Zitrone, die aber nur ganz kurz im Mund blieb, um dann mit der Brise im Rachen zu verschwinden. Keine Sekunde später war alles weg, wie bei Ebbe das Meer.
Zum Fisch passt der Muscadet angeblich hervorragend. Ich sag da mal „ja“ zu, weil ich mich in der nächsten Zeit erstmal mehr auf das Meeresgetier konzentriert habe und weniger auf den Wein. Das Pangasiusfilet hatte einen sehr unaufdringlichen, sanften Geschmack mit einer winzigen Eiernote, die aber verflog, sobald Zitronensaft dazu kam. Der Seelachs schmeckte fischiger, hatte eine mir zu weiche Konsistenz und war von allen Fischen, die wir probiert haben, der banalste. Das Lachssteak hat mich umgehauen. Ich hatte einen Heidenrespekt vor den Gräten, die aber netterweise so riesig sind, dass ich sie vorher gesehen habe. Und dann kam ein ganz anderer Geschmack als der Lachs, den ich von Sushi kannte. Fantastisch. Der Seeteufel hat mir noch besser gefallen; er war sehr markant, ohne anstrengend zu sein.
Den Viktoriabarsch bereitete Lu mit unserem selbst hergestellten Würzsalz zu, während nebenbei eine Runde mediterranes Gemüse mit Rosmarin und Meersalz zu einem Ratatouille einköchelte. Wir waren aber alle nach dem Fisch schon so satt, dass das Gemüse erst morgen mittag zum Einsatz kommt. Den Barsch mochte ich auch, aber ich glaube, ich würde am ehesten den Seeteufel und das Lachssteak nochmal essen wollen.
An den geräucherten Fisch habe ich mich zunächst nicht rangetraut, obwohl das Raucharoma natürlich toll riecht. Aber nachdem Lu und der Kerl die Haut vom Aal abgezogen und das weiße, weiche Fleisch auf ein Stück Graubrot gelegt hatten, wollte ich auch probieren – und war angenehm überrascht. Würzig, fettig, aber nicht zu fettig, rauchig, lecker. Die Schillerlocke hatte einen etwas edleren Geschmack als der Aal, war aber noch fetter. Die werden wir sowieso nicht mehr kaufen, denn der Dornhai soll gefälligst seine Bauchlappen behalten. Der Supermarkt-Räucherlachs war okay, stank aber nach dem ganzen Frischfisch total ab.
(Einschub-Edit: Jörg weist mich daraufhin, dass man bitte nicht jeden Fisch kaufen sollte.)
Für den Kerl war der Abend beendet, für Lu und mich fing er an. Denn jetzt kamen die restlichen zwei Weißweine und ein roter, zu mehr waren wir dann doch nicht mehr fähig. Wir haben alle Weine mit jeweils Parmesan, Scamorza und Ziegenkäse probiert, dazu ein bisschen von dem mediterranen Gemüse. In die Mitte vom Tisch kam der Spucknapf (vulgo: meine liebste Kuchenrührschüssel), den wir aber nur dazu benutzt haben, die Restweine zu verklappen. Wenn man mehrere Weißweine hintereinander verkostet, muss man übrigens nicht dauernd ein neues Glas nehmen. Man kippt den alten Wein weg, gießt ein bisschen vom neuen ein, schwenkt das schwungvoll durch und kippt das dann auch weg. Jetzt ist eher der neue Wein im Glas. Da ging der Muscadet hin. Enter the Riesling.
(Deutscher Riesling vom Weingut Hammel & Cie, Pfalz, 2008, 12%)
Ein goldgelber Wein, klar. Erste Nase sagt Mango, Lus erste Nase sagt Birne. Zweite Nase bleibt bei Mango (Weinbuch sagt Aprikose). Beim Verkosten kommt ganz hinten im Rachen noch ein Stück Banane dazu. Und außerdem ein seliges Lächeln, denn meine Fresse ist dieser Wein großartig. Er bleibt für mehrere Sekunden im Mund, auch wenn der Schluck längst im Magen ist.
Mit Ziegenkäse: Die beiden umarmen sich hemmungslos. Man möchte ihnen zurufen, sich schnell ein Hotelzimmer zu nehmen und viele Kinder zu zeugen.
Mit Parmesan: Der Wein erschlägt den Käse, und die Memme wehrt sich nicht mal. Langweilig.
Mit Scamorza: Der Wein holt das Raucharoma des Käses so sehr in den Mund, dass es sich anfühlt, als würde man einen Kamin auslecken. Sehr unangenehm. Nicht nachmachen.
Mit Bündnerfleisch: Der Wein schleppt mit aller Kraft das Salzfass aus dem Keller. Die Mango hat keine Chance. Auch nicht so toll.
Mit Ratatouille: angenehm unaufgeregt. Allerdings schon fast so unaufgeregt wie Steuererklärung machen.
Mir blutet das Herz, den Rest in den Napf zu schütten, denn den Wein werde ich mir auf alle Fälle nochmal holen. Er ist sehr fruchtig, sehr vollmundig und steht anscheinend auf Ziegen.
(Portugiesischer Vinho Verde von Aveleda, Peñafiel, 2008, 10%)
Nächster Kandidat: ein Vinho Verde.
Ein äußerst junger Wein, sehr hell, fast silbern im Glas, er moussiert leicht. Erste Nase sagt: Wasser. Zweite Nase sagt: Wasser mit nem bisschen Himmel drüber. Erst im Mund entfaltet sich ein hauchfeines Aroma, eine ganz kleine Zitrone, eine Dame, die sich nicht so breit macht wie der Riesling.
Mit Ziegenkäse: wie beim ersten Date. Man guckt sich an, schleicht umeinander rum, verspricht sich gegenseitig „Ich meld mich“ und vergisst im Weggehen schon, wie der andere ausgesehen hat.
Mit Weintraube: Die süße grüne Traube gewinnt das Duell haushoch, aber der Wein perlt mutig dagegen an. Jedenfalls mehr als vorher.
Mit Parmesan: sehr angenehm. Der Käse schmeckt salziger, der Wein fruchtiger.
Mit Scamorza: geht genauso wenig wie mit Riesling. Schmeckt nur nach Rauch, und aus der Zitrone wird wieder Wasser. Ohne Himmel drüber.
Mit Ratatouille: angenehm, aber langweilig. Lieber ne Folge Lost gucken.
Wir sind inzwischen pappsatt, aber absolut nicht betrunken. Ich finde es unglaublich faszinierend, konzentriert an Wein heranzugehen anstatt ihn einfach wegzusüppeln. Und es geht wirklich: Schon nach ein paar Tagen fängt man an, Aromen wahrzunehmen, die vorher nicht da waren bzw. wo man vorher nur gesagt hat „schwerer Weißer“ oder „fruchtiger Roter“. Und man kann es auf einmal in Worte fassen, die über „lecker“ hinausgehen. Außerdem bekommt man auf einmal einen Heidenrespekt vor dem Produkt, das offensichtlich so viele Facetten hat, die man ihm aber erstmal entlocken muss. (Wer f*cken will, muss freundlich sein.)
(Italienischer Primitivo von Botter, Apulien, 2007, 13%)
Auf zum letzten Wein: ein Primitivo. Eigentlich wollten wir auch noch einen kalifornischen Zinfandel verkosten, denn die beiden Weine teilen sich die gleiche Rebsorte, heißen nur anders und kommen aus verschiedenen Teilen der Welt, aber unsere Nasen sind schon ziemlich durch. Und ich kann allmählich keinen Scamorza mehr sehen, obwohl ich den gestern so toll fand.
Erste Nase sagt: Mon-Cheri-Kirschen, die schon lange im Keller liegen. Zweite Nase sagt: Wow, da sind durchs Schwenken mal eben zehn Prozent mehr Alkohol dazugekommen. Der Wein ist tiefrot, schon fast braunrot, und ich kann nicht durch ihn hindurchsehen.
Mit Scamorza: Der Käse raucht Signore Primitivo die Hütte voll, woraufhin ihm dieser in die Stiefel pinkelt. Geht gar nicht und macht schlechte Laune.
Mit Parmesan: sehr lustig – wenn man erst den Wein trinkt und dann den Parmesan isst, knacken auf einmal die Salzkristalle im Käse, der nussige Geschmack tritt zutage, großartig. Wenn man allerdings erst den Käse isst und dann den Wein trinkt, haut ihm dieser die Hucke blau. Guck, da liegt der kleine Käse. Er war mal lecker.
Mit Ziegenkäse: Die Ziege wehrt sich lange und hartnäckig, aber spätestens im Rachen wird sie plattgemacht. Auch sie hat keine Chance gegen den Primitivo.
Eigentlich sollte die Ziege der Höhepunkt sein. Aber Lu hatte noch einen Schatz parat: dunkle Schokolade mit 62% Kakaogehalt und – Fleur de Sel. Ich gucke skeptisch, mache ja aber gerade alles, was Lu sagt, nehme also ein Stück Schokolade und lasse es auf der Zunge zergehen. Ganz. Langsam. Zuerst schmecke ich Kakao, tiefen, dunkelbraunen, gutschweren Kakao. Und dann plötzlich eine salzige Spitze, die aber nicht alles versalzt, sondern sich mit dem Kakao verbindet und mit ihm zusammen ein fantastisches Aroma im Mund ergibt, rund, voll, als ob man eine ganze Sommernacht auf dem Balkon gesessen und alle Probleme dieser Welt gelöst hat. Ich greife zum Rotweinglas und nehme einen Schluck Primitivo, während die Schokolade weiter mit den Salzkristallen vor sich hinschmilzt. Der Rotwein umarmt die Schokolade, die Salze tanzen auf der Zunge, und meine Hormone feiern auf einmal im ganzen Körper eine Riesenparty. Hallo, Singles dieser Welt: Ihr braucht keine Männer, keine Frauen und keine wasauchimmer. Ihr braucht nur diese Schokolade und einen guten Rotwein. Ganz, ganz ehrlich.