Bücher Januar–März 2014

Meine Leseliste nimmt erschreckend kurze Formen an – das sah vor meinem Studium ganz anders aus. Aber seitdem steckt mein Hirn eben eher in Fachbüchern, Aufsätzen und Texten, die uns die Dozierenden als zentimeterdicken Reader vorlegen. Ich lese das alles sehr gerne, aber darüber kommt die Nebenbeilektüre anscheinend völlig unter die Räder. Aber hey: Für vier Bücher hat’s gereicht. Okay, eigentlich drei, das Geschichtsbuch habe ich an einem Tag als Klausurvorbereitung gelesen, aber sonst ist die Liste echt zu lächerlich für meine Verhältnisse.

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Irmgard Keun – Gilgi – eine von uns

Warum ich das Buch lesen wollte, habe ich schon mal beschrieben, und was ich mir erhofft hatte, ist eingetreten: Ich habe einen sehr persönlichen Einblick in eine zu dem Zeitpunkt neue weibliche Art der Lebensführung bekommen. Das Buch verwendet recht oft Zitate oder Liedtexte, so wie das heutige Popliteratur auch macht und bei der ich mich beim Lesen immer frage, ob man das in 20 Jahren per Fußnote erklären muss. Ähnlich ist es bei Gilgi: Ich konnte die wenigsten Schlager zuordnen, aber als atmosphärischer Hintergrund haben sie sehr gut funktioniert, vor allem als Kontrast zur sehr preußischen Arbeitsdisziplin, die Gilgi an den Tag legt, bevor ihr die Liebe und der Traum von einem anderen Leben, das vielleicht eine andere Gilgi erfordert, dazwischenfunken.

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Stefan Weinfurter – Das Reich im Mittelalter. Kleine deutsche Geschichte von 500 bis 1500

Streng genommen keine Vergnügungslektüre, wie ich oben erwähnte, aber das Buch lege ich euch trotzdem mal ans Herz. Wenn ihr einen schnellen Überblick über das Mittelalter haben wollt, wäre das ein Tipp. Liest sich sehr entspannt und unwissenschaftlich weg, bietet aber natürlich genug Wissenschaft, um es schön in einer Hausarbeit zitieren zu können. (Ja, ich achte inzwischen auf sowas.)

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Eduard von Keyserling – Bunte Herzen. Dumala. Fürstinnen.

Auf den Herrn von Keyserling bin ich lustigerweise in Kunstgeschichte gestoßen, als ich auf der Suche nach Raubkunst in den Regalen der kunsthistorischen Bibliothek ein Buch fand, das ihm gehört hatte. Daraufhin wollte ich dringend was von ihm lesen. Im obigen Band stehen drei Novellen, von denen ich erst zwei durchgelesen habe, aber ich bin mir sicher, die dritte ist genauso unaufgeregt, geradeaus und stimmungsvoll. Ein wunderschöner Stil, der gefühlt dafür sorgt, dass mein Blutdruck beim Lesen runtergeht und meine Mundwinkel sich zu einem Lächeln verziehen. Die alte Welt mit ihren alten Werten. Gut, dass ich nicht in ihr lebe, aber schön, dass ich über sie lesen darf.

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David Foster Wallace (Ulrich Blumenbach, Übers.) – Unendlicher Spaß

Das Beste zum Schluss. Über Unendlicher Spaß wurde, glaube ich, schon alles geschrieben – und das Tolle ist, ich hatte nichts davon gelesen, bevor ich das eBook öffnete. Deswegen hatte ich wirklich keine Ahnung, worum es in dem Brocken von Buch ging, und ich musste auch erstmal 600 Seiten lesen, bevor ich es herausfand. (Mein eBook hatte 1899 Seiten, davon waren 500 Seiten Fußnoten.) Aber selbst, als ich ahnte, was der rote Faden im Buch sein sollte, war der nicht mehr als dünner Zwirn, während sich um ihn herum ein riesiges Wollknäuel aus Personen, Orten, Zeiten und Geschichten wickelte. Das kann man total langweilig und zugequatscht finden (völlig okay) – oder sich darauf einlassen.

Ich habe es beim Lesen mit einem dieser reizvollen Filme verglichen, die einen die ersten 20 Minuten im Unklaren lassen, aber nach und nach ordnen sich die Einzelteile und zum Schluss erkennen wir ein riesiges Panorama, gehen glücklich aus dem Kino und diskutieren mit der Begleitung noch mal die einzelnen Stufen der Story durch. Das Buch ist im Prinzip genauso – aber weil es eben so dick ist, kommt der Moment der Erkenntnis erst nach einer längeren Zeitspanne. Aber spätestens dann möchte man ganz dringend mit jemandem reden. Ich habe das zwischendrin des Öfteren auf Twitter erledigt.

Das mag jetzt doof klingen, aber ich glaube, es hat mir geholfen, dass ich einen ähnlichen Brocken, nämlich die Recherche, schon hinter mir hatte. Ich kenne also das Gefühl, sich gerade mitten in einer Handlung zu befinden, von der man überhaupt nicht weiß, was sie da soll, die man aber trotzdem bockig weiterliest, denn irgendeinen Sinn muss sie ja haben, sonst hätten Proust oder Wallace sie nicht aufgeschrieben, so, bäh. Und ähnlich wie die Recherche entwickelt Spaß irgendwann einen unwiderstehlichen Sog. Ja, es macht Mühe, das Buch zu lesen, ja, manchmal habe ich mich ein winziges bisschen gelangweilt, wenn es um eine Person ging, die ich nicht so spannend fand, aber dafür haben mich andere Textstrecken wieder entschädigt. Das Buch strotzt nur so vor Figuren und Storys, und alle bringen sie weitere Figuren und Storys mit, und je mehr man sich auf sie einlässt, desto weniger kommt man von ihnen weg. Irgendwann haben sie dich halt – jedenfalls hatten sie mich – und dann liest man eben 1899 Seiten und 500 Fußnoten, die teilweise nur aus einem Wort bestehen und teilweise aus seitenlangen Nebensträngen, ohne deren Lektüre man den Hauptstrang nicht mehr kapiert. Oder etwas weniger.

Darüber kann man sicher auch streiten, ob es an dem Werk überhaupt was zu kapieren gibt oder ob es nur das ist, was es sagt: Kanada und die USA sind in einer nicht näher definierten Zukunft nicht mehr das, was sie heute sind; zwischen ihnen befindet sich die Große Konkavität (was das ist, muss man erst herausfinden), es gibt eine Terroristengruppe in Rollstühlen (warum das nur Männer sind und warum sie im Rollstuhl sitzen, kommt ungefähr 200 Seiten vor Schluss), es gibt eine Tennis-Akademie, eine Radiostation, eine Einrichtung für Drogenabhängige, es geht um einen verstorbenen Regisseur (wie er starb, erzählt eine 50 Seiten lange Fußnote), dessen drei Söhne Hauptfiguren im Buch sind, es gibt die Mutter, eine Radiomoderatorin, die gleichzeitig eine Geliebte ist, einen ehemals Drogenabhängigen, der nun als cleaner Betreuer arbeitet, und das sind nur einige der Charaktere, um die sich viele, viele, viele Geschichten ranken. Ich mochte die erwähnte, nicht näher definierte Zukunft, in der die Jahre keine Jahreszahlen mehr tragen, sondern von Firmen gesponsert werden, weswegen sie so schöne Namen tragen wie „Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche“ oder „Jahr der Milchprodukte aus dem Herzen Amerikas“. Ich mochte die vielen kleinen Sprachstückchen, die wie ein Wort klingen, das ich kenne, in Wirklichkeit aber knapp daneben liegen. (In diesem Zusammenhang: Hut ab vor dem Übersetzer.) Und ich mochte das Gefühl, dass man sich nie sicher sein konnte, irgendwas kapiert zu haben, denn die nächste Figur und die nächste Story könnten das alles wieder kippen.

Zurück zum Anfang des letzten Absatzes: Man kann das Ding sicherlich als überbordende Zukunftsmusik lesen. Man kann aber auch nach Motiven gucken, nach Themen, die mitschwingen, und dann wird aus dem Schmöker plötzlich das Suchtmittel, um das es geht: Es wird selbst zum unendlichen Spaß. Es ist selbst sein roter Faden und alles, worum es geht.

Spaß ist nicht ganz so plüschig wie die Recherche. Proust deckt einen gefühlt mit 3.500 Seiten zu und gibt einem einen Gute-Nacht-Kuss, während Wallace einem eher zwei Kilo Literatur auf den Hinterkopf haut und einen dann im Rinnstein liegenlässt. Ich habe das Buch nicht ganz so verliebt zugeklappt wie die Recherche, aber das Gefühl dabei war das gleiche wie bei Proust: das Wissen darum, etwas ganz Besonderes gelesen zu haben.


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Couscous-Kichererbsen-Salat mit Ofentomaten

Eigentlich steht schon alles in der Überschrift. Kthxbai.

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Für recht hungrige zwei bis drei Personen. Ich hatte gestern für den Kerl und mich die Hälfte gemacht und wir waren beide danach so „Ist noch was da?“ Aber vielleicht sind wir auch nur sehr verfressen.

12 kleine Tomaten halbieren, auf ein Backblech legen, mit
Olivenöl beträufeln und mit
Meersalz und
Pfeffer würzen. Für ungefähr 20 Minuten in den auf 180° vorgeheizten Backofen schieben, bis die Tomaten weich sind.

Währenddessen
125 g Couscous mit
500 ml kochender Gemüsebrühe übergießen und für circa zehn Minuten ziehen lassen. Oder wie auch immer ihr euren Couscous zubereitet – ich glaube, auf jeder Packung steht was anderes. Ich mache den so wie beschrieben: übergießen – durchrühren – rumstehen lassen.

In einer Pfanne
Olivenöl erhitzen und bei milder Hitze darin
1 Zwiebel (ich mag Ringe) glasig dünsten.
400 g Kichererbsen (vulgo: eine kleine Dose), abgegossen und abgespült, dazugeben plus
2 EL gemahlenen Kreuzkümmel,
2 EL gemahlenen Koriander und
1 TL gemahlenen Ingwer. Alles für ein paar Minuten mitbraten.

In einer Schüssel den Couscous mit dem Pfanneninhalt vermischen,
frische Petersilie dazu, wer mag, noch
frischen Koriander (habe ich weggelassen) und alles mit Salz, Pfeffer und
dem Saft von 1/2 Zitrone würzen. Zum Schluss die Ofentomaten vorsichtig unterheben. Ich habe die Flüssigkeit vom Backblech auch in den Salat gekippt.

Und dann habe ich gefühlt 20 Fotos mit dem iPhone gemacht in meinem Lieblingsschüsselchen und mit einer hindrapierten Kichererbse und alles, aber ehrlich gesagt mochte ich den Schnappschuss in der weißen Plastikschüssel am liebsten, den ich für Instagram gemacht habe, und deswegen steht der da oben.

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Wie auch immer: blitzschnelles Glücklichmachfutter. Wir haben den Salat warm gegessen (heißt er dann überhaupt noch Salat? Ist ein Salat immer kalt?), aber ich bin mir sicher, dass der ausgekühlt auch ein Supermitbringsel für die bald anstehende Grillsaison ist.

Geschichte und Journalismus – ein Annäherungsversuch

Eines meiner Seminare im letzten Semester hatte den obenstehenden Titel und es war nicht nur äußerst unterhaltsam, sondern auch sehr lehrreich. Kollegen des Dozenten erzählten uns von ihrer Arbeit – so hörten wir unter anderem einem Rundfunkredakteur zu, der bis zu einstündige Radiofeatures zu geschichtlichen Themen erstellt, oder einem Herrn, der historische Magazinbeiträge für den BR produzierte. Die Referatsthemen für uns Studierende waren ähnlich gelagert: Wie bringt man Geschichte an den Mann oder die Frau, ohne zu langweilen? Wir sprachen über Guido Knopp (natürlich) und seine Art der Geschichtsaufbereitung, wir surften durch das Internet und guckten, was da so los ist (diese Seite habe ich mir gemerkt und wünsche sie mir für Deutschland), wir diskutierten über Hitlertitelbilder des Spiegel – dabei wurde Herr Niggemeier wohlwollend zitiert – und generell die gefühlte Besessenheit der Medien mit dem Thema Nationalsozialismus, wobei wir immer zu hören bekamen: Die LeserInnen wollen das so. Angeblich verkaufen sich Hitlers Hunde besser als das Reich Karls des Großen. Ich nehme das mal so hin.

Neben den Referaten gab es für uns noch andere Möglichkeiten, an die ECTS-Punkte zu kommen. Die erste: Der Münchner Merkur – der Dozent ist bei dieser Zeitung angestellt – räumte uns eine komplette Seite frei, auf der wir Biografien zu Willy Brandt besprachen, die im letzten Jahr zuhauf neu erschienen. Die zweite, und das war die, die ich wahrnahm, war: einen Zeitungsartikel zu einer bayerischen Persönlichkeit schreiben. Das Thema „Der letzte bayerische Scharfrichter“ schnappte sich leider jemand anders, und deswegen schrieb ich über Georg Ratzinger.

Die Literatursuche war etwas schwierig, denn der gute Mann trägt blöderweise den gleichen Namen wie der Bruder des ehemaligen Papstes, und deswegen stieß ich auf bergeweise Literatur zu einem Ratzinger, über den ich momentan gar nichts wissen wollte, und auf so gut wie keine zu dem Ratzinger, der mich interessierte. Dieses Buch war dann aber eine Fundgrube, und ich bin sehr dankbar, dass es nicht nur in der Bayerischen Staatsbibliothek vorhanden war, sondern auch in der Hamburger. Dort lieh ich es mir über die Weihnachtsferien aus, denn das Münchner Exemplar musste ich blöderweise vorher zurückgeben.

Zusätzlich wühlte ich noch in einem Kirchenlexikon und der Allgemeinen Deutschen Biographie herum, schickte dem Dozenten den Text, überarbeitete ihn nach seinen Anweisungen leicht, und bis auf einen einzigen Satz – und mit einer für meinen Geschmack nicht ganz so tollen Subline – ist er dann im Merkur erschienen.

Und eine gute Note gab’s dafür auch noch.

geschichteWS

PS: Die beiden Vorlesungen, deren „BE“ für „bestanden“ ihr im Bildschirmfoto nicht mehr sehen könnt, hätten den schönen Notenspiegel wahrscheinlich ziemlich ruiniert. Bei denen war ich direkt nach der Abgabe wirklich nicht sicher, ob meine gefühlt sehr fusselige Leistung überhaupt gereicht hat (hat sie offensichtlich). Ich hole mir beide im Sommersemester im Sekretariat ab und werde die Noten vermutlich innerlich entsetzt zur Kenntnis nehmen – und sie euch selbstverständlich auf ewig verschweigen. Das Image, Sie wissen schon.

Über den weiblichen Akt

„Der so genannte „klassische“ weibliche Akt wurde nicht vor der postklassischen Zeit in der griechischen Kunst geschaffen. Er wurde von dem Bildhauer Praxiteles im vierten Jahrhundert v. Chr. erfunden, dessen lebensgroße Statue der Aphrodite, aufgrund ihres antiken Standortes die Knidische Aphrodite genannt, uns nur durch römische Kopien bekannt ist. Diese Skulptur ist die Quelle einer großen Anzahl von Werken, die in der westlichen Kunstwelt Aphrodite oder Venus darstellen. Und sie wird nicht nur als der erste monumentale weibliche Akt häufig nachgebildet, sondern auch und zuvorderst, weil sie die Erste ist, die ihre Scham bedeckt. Dieser Gestus wird immer wieder aus Ausdruck von Bescheidenheit angesehen, den die Alten „pudica“ nannten. Trotz seiner Bezeichnung bedeutet der Gestus weit mehr als Bescheidenheit. Er wurde in unserer Kultur als „natürlich“ internalisiert, d.h. wir verbinden mit ihm nicht mehr die Geschichte von Furcht, die eine Frau ausdrückt, die ihre Scham vor einem gewalttätigen Angriff zu schützen sucht. Die Pose der „Pudica“ ist für uns zum Inbegriff von Ästhetik und Kunstfertigkeit geworden. Trotzdem, wenn wir die naturalistisch geformte Skulptur einer Frau betrachten, die nicht gesehen werden will, spüren wir ein Kribbeln, selbst wenn wir unbewusst reagieren. Der Gestus mit all seinen Konnotationen ist auch mehr als ein Bild von Furcht und Zurückweisung. Nur durch das Setzen der Hand einer Frau über ihre „Pubis“ bewirkt Praxiteles – und mit ihm alle anderen, die dieses Mittel benutzt haben – ein Gefühl von Begehren im Betrachter und konstruiert die Reaktion eines Voyeurs. Sie wird in allen Betrachtern hervorgerufen, in Männern und Frauen, Hetero- und Homosexuellen. Dennoch sind es eindeutig männliche Heterosexuelle, die aufgefordert werden, ihr Begehren in sozial sanktionierte Handlung umzusetzen. Diese Handlung, die nicht mit privatem sexuellen Verhalten verwechselt werden darf, ist eher der öffentlich zur Schau gestellte Genuss an einer völlig sexualisierten weiblichen Form. Als hohe Kultur ist dieser Genuss synonym mit dem Gefallen an einem Kunstwerk, das von einem weiblichen Akt repräsentiert wird; als niedere Kultur ist dieses Gefallen synonym mit lüsternen Bemerkungen, die Männergruppen auf der Straße an Frauen richten. Schließlich schaffen die hohen und die niederen Kulturen des Gefallens, die von der „Pudica“ geprägt sind, spezielle Gelegenheiten für das gemeinsame Erleben männlicher Sexualität ohne offene homosexuelle Anklänge. Der weibliche Akt ist der Ort und das öffentliche Zur-Schau-Stellen von heterosexuellem Begehren ist das Mittel für Rituale männlicher Zusammengehörigkeit.“

Salomon, Nanette: „Der kunsthistorische Kanon – Unterlassungssünden“, in: Zimmermann, Anja: Kunstgeschichte und Gender. Eine Einführung,* Berlin 2006, S. 37–52, hier S. 48/49.

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Käsestangen

Seit dem Foodcoaching (auch schon viereinhalb Jahre her, ts) und meinem neu gewonnenen Vertrauen in mich, meinen Körper und dem, was er mir sagen will, wenn er „Süß!“ oder „Salzig!“ brüllt, habe ich alles im Haus, auf das ich Lust habe. Auch die früher so bösen verbotenen Dinge wie bergeweise Schokolade oder die großen Eispackungen. Ich weiß inzwischen, dass ich alles essen darf, was ich will, und mit diesem einfachen Satz hat sich bekanntermaßen bei mir sehr viel verändert. Weil ich alles essen darf, ist der Reiz des selbst auferlegten Verbotenen dahin – ich kann entspannt einen Riegel Schokolade essen und sie dann wieder in die Speisekammer legen. Das hätte mir mal jemand vor 25 Jahren erklären soll, aber egal. Live and learn.

Es gibt allerdings eine Ausnahme von der Alles-im-Haus-Regel: Chips. Bei denen weiß ich wirklich nicht, wie man es schafft, nur eine Handvoll zu essen. Wenn die Tüte auf ist, ist sie alle, immer. Also kaufe ich die nur, wenn ich spontan Lust darauf habe, schlemme sie genussvoll und warte darauf, dass mein Körper das nächste Mal Lust hat, was seit dieser Regel deutlich seltener vorkommt als ich dachte.

Gestern war so ein Tag, aber ich verspürte keine richtige Chipslust, sondern mehr so ein niggeliges „Will irgendwas knusprig-salziges, Maaaaann“-Gefühl. Wie gut, wenn man Tiefkühlblätterteig im Haus hat.

kaesestangen

Erste Variante:
Tiefkühlblätterteigplatte auftauen lassen und von beiden Seiten mit einer Mischung aus
Eigelb und
Wasser bestreichen. Nach Herzenslust mit Zeug bewerfen, bei mir war’s
Sesam und
Meersalz. Alternativen wären Mohn, Kümmel, Kräuter, Knoblauchpulver (das könnte man theoretisch auch gleich zum Eigelb geben), Piment d’Espelette …

Die Platte in schmale Streifen schneiden. Die richtige Breite der Streifen habe ich auch noch nicht rausgefunden, die oben abgebildeten waren knapp einen Zentimeter breit; beim nächsten Versuch werde ich sie etwas schmaler machen. Die Streifen zu Locken drehen – das muss nicht perfekt symmetrisch werden – und auf ein mit Backpapier ausgelegtes Backblech umsiedeln.

Zweite Variante:

Zwei Platten nehmen und dünn ausrollen. Mit der Eigelbmischung bestreichen. Auf die eine Platte
geriebenen Hartkäse (bei mir Grana Padano) streuen und mit der zweiten Platte belegen. Nochmal drüberrollen – ich lege dazu Backpapier auf den Teig, damit er nicht klebt – und dann wie oben: in Streifen schnellen, zu Locken drehen, aufs Backblech damit.

Bei einigen Stangen habe ich den Käse mit dem Sesam und dem Salz zusammen draufgestreut; das war geschmacklich nicht ganz so intensiv wie die „Doppelplatte“, hat aber auch käsig geschmeckt.

Die Stangen im auf 200° vorgeheizten Backofen für zehn bis 20 Minuten backen.

Mein Körper will jetzt Blätterteig, der Irre.

Nochmal zehn Fragen und zehn Antworten

Facebook, ey. Nachrichten, die ich von Menschen bekomme, mit denen ich nicht befreundet bin, kriege ich nie mit – so auch die von Peter, der mich auf ein Blogstöckchen hinwies, das er in meine Richtung geschmissen hat. Und seltsamerweise tauchte auch sein Link nicht in meinen Referrern auf. Daher beantworte ich seine Fragen mit fieser Verspätung. Entschuldigung.

1. Nach welchen Kriterien suchst du morgens dein Outfit aus?

Ich gucke auf meinen Uni-Stundenplan. Inzwischen weiß ich, welche Hörsäle klimatisiert sind und welche nicht, in welchen anscheinend keine Heizung eingebaut ist und in welchen sie dauerläuft. Ein Beispiel: Im Wintersemester hatte ich morgens um 8 meine Mittelaltervorlesung. Ich also mit Winterjacke und Schal fröstelnd aufs Rad, in der Uni Jacke und Schal wieder ausgezogen, weil mir vom Radeln warm war, nach einer halben Stunde hatte ich den Schal wieder um, weil es zog, und nach einer Stunde trug ich auch die Jacke wieder, weil es in diesem Saal wirklich nie warm wurde. Aber ich wette, im Sommer ist der super.

Anderes Beispiel: Einer meiner Lieblingshörsäle hat eine anständige Klimaanlage, die im Winter für angenehme Temperaturen sorgt, einen im Sommer aber an den Rand von Erfrierungen bringt. Ich habe dort in der ersten Sitzung einer Vorlesung im Sommersemester die kühlsten 90 Minuten meines Unilebens verbracht, war dann aber in den folgenden Wochen so schlau, im Sommer, bei 30 Grad Außentemperatur, einen Pulli im Rucksack zu haben, damit mir nicht die Zähne klappern, während ich was über französische Gartenanlagen lerne.

2. Was ist deine Lieblingsspeise?

Jeden Tag eine andere. Was immer geht, ist Schokolade, Käse, Gurke, Pasta, Sekt.

3. Welche erste Schallplatte, Kassette oder CD hast du dir von deinem Taschengeld gekauft?

Meine erste Kassette hat mir meine Omi geschenkt, die sich im Fachgeschäft hat beraten lassen, was man zehnjährigen Mädchen wohl so schenken könnte. Ergebnis: Dynasty von Kiss.

Meine ersten CDs habe ich mir selbst gekauft – damals, als CDs das neue heiße Ding waren, Sie erinnern sich. Das waren in meinem Fall Laurie Andersons Home of the Brave und Tschaikowskys Schwanensee in einer Aufnahme des Boston Symphony Orchestra unter der Leitung von Seiji Ozawa.

4. Hast du Angst, du könntest eines Tages wegen irgendwas abgemahnt werden, was du in deinem Blog tust oder unterlässt?

Nein. Ich pampe niemanden an, ich habe ein Impressum … okay, ich klaue Bilder von Filmplakaten, um meine wenigen neuen Filmkritiken zu bebildern. Da könnte was kommen. Kam aber in fast zwölf Jahren Rumgeblogge noch nie was.

5. Woher kamst du, als du das letzte Mal aus einem Flugzeug geklettert bist?

Aus München. Wie immer.

6. Welche Musik hörst du, wenn du an deinem Blog schreibst? Oder hörst du gar keine?

Zu 99 Prozent höre ich keine Musik. Ich genieße die Stille zuhause sehr, wo ich die allermeisten Blogeinträge schreibe. Draußen ist es laut genug; ich mag das sehr, dass in meinem Zimmer meistens Ruhe herrscht, wenn ich nicht gerade eine Serie gucke. Da unterscheide ich mich sehr vom Kerl, der per Fernseher, Podcast oder Musik quasi dauerbeschallt wird. Wer genau wo bei uns wohnt, sieht man nicht nur an Deko/keine Deko – man hört es auch.

7. Welches Produkt steht schon am längsten in deinem Kühlschrank? Und wie lange wird es noch dort stehen?

Das müsste der Rest vom Kokosfett sein, das ich mal für den Carrot Cake gekauft habe. Ich nehme an, das liegt da noch, bis ich mal wieder Kokosfett brauche, es mir angucke, es für nicht mehr verwendungsfähig befinde und es verklappe. Aber bis dahin habe ich die Gewissheit, Kokosfett im Hause zu haben. Man weiß ja nie.

8. Was war für dich das Buch in den letzten 12 Monaten?

In meinem Jahresrückblick habe ich mehrere Bücher erwähnt. Am meisten Eindruck hinterlassen hat der uralte Klassiker Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit von Walter Benjamin.

9. Fotografiere deine Socken, die du JETZT trägst und füge das Bild zu den anderen Antworten.

Meine derzeitigen Socken sind mittelblau und ich fotografiere ungern Körperteile auf Bestellung.

10. Was ist der höchste Betrag (für eine Person), den du jemals für ein Menü im Restaurant ausgegeben hast – und war es das wert?

275 Euro im reinstoff – und ja, aus tiefstem Herzen, jeden Cent wert. Wenn mich irgendwas nervt an meinem derzeitigen Lebenswandel aus viel studieren und wenig arbeiten, dann ist es das Bedauern darüber, dass ich mir derartige Ausgaben im Moment verkneife. Ich war seit mindestens einem Jahr nicht mehr in der Oper, ich gehe deutlich seltener in die Allianz-Arena als früher, obwohl ich sie jetzt direkt vor der Nase habe, ich kaufe im Theater nicht mehr die oberste Preisklasse und Sterne- bzw. höherpreisige Restaurants sind leider fast völlig raus. Das bedauere ich mehr, als ich vorher dachte.

Food for thought

Omi hat uns früher immer Kalten Hund/Kalte Schnauze/Kalten Arsch zum Geburtstag gebacken. Ich backe lieber Käsekuchen.

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Sieben Eier. Das gibt Ärger mit der VeganerInnenfraktion. Food – you’re doing it wrong. Geht mir ja schon auf den Zeiger, diese ewige Futterdiskussion. Andererseits denkt man so über Dinge nach, über die man sonst eben nicht nachdenkt. Irgendwer muss einem ja etwas sagen, damit man sein eigenes Handeln reflektiert. Vielleicht doch nicht so doof. Aber das geht neuerdings gefühlt immer gleich von Null auf Hundertachtzig. Nie wieder Fleisch versus Jetzt erst recht. Nie wieder Industriefutter versus Ei-Ersatz und Sojasahne. Auch gerne bei anderen Themen, zum Beispiel, was jetzt der richtige oder der falsche Feminismus ist. Beine rasieren, ja oder nein? Binnen-I oder Gender-Gap? (Das finde ich übrigens auch immer putzig – Leet Speak ist cool oder hier, Wahnsinn, Alter, „Erster und letzter Buchstabe des Wortes reichen, den Rest schafft der Kopf alleine“, toll, wa, aber sobald irgendwo ein großes I auftaucht, sind alle angeblich völlig überfordert.) Beruflich Karriere machen oder Vollzeitmutter sein? Lippenstift oder Latzhose oder womöglich, OMG, beides? Being a woman – you’re doing it wrong. Oder nie wieder Nespresso trinken, immer den Müll trennen, nur noch Öffis fahren oder Fahrrad, die richtige (?) Partei wählen, lieber die falsche Partei wählen als gar nicht, Fußball ist was für Idioten (IdiotInnen, Idiot_innen), Impfen macht autistisch, Stillen ist super, am besten ganz flach atmen und nicht aufs Gras treten, alle anderen sind doof, Pep knows best. Being human – you’re doing it wrong. Immer.

kuchen_teig

Ich liebe es, mit Händen im Essen rumzuwühlen. Teig kneten ist großartig. Der Mürbeteig wird leider nicht richtig geknetet; ich hacke die Zutaten kurz mit meinem Lieblingsriesenmesser durch, quetsche das Häufchen aus Butter- und Zuckerkrümeln, Eigelbmatsch und Mehl zu einer Kugel zusammen und walke sie kurz durch, damit der Teig nicht zu klebrig wird. Hefeteig ist toll, den könnte ich ewig kneten, der vermittelt so ein seltsam ambivalentes Gefühl an die Hände, er ist warm, aber durch seine Glätte irgendwie kühl, er ist gleichzeitig zart und zäh, ich spüre fast die Oberflächenspannung, wenn ich ihn verarbeite. Beim Ausrollen zuckt er bockig in seine ursprüngliche Form zurück und ich muss an die beknackten Schönheitstipps in Frauenzeitschriften denken, die einem sagen, wenn man die Haut zwischen zwei Finger nimmt, kurz hochzieht und wieder fallenlässt, soll die wieder so aussehen wie vorher, sonst müsse man dringend viel trinken oder am besten 20 Jahre jünger werden. Ich frage mich bei derartigem Quatsch erstens, wer sich so was ausdenkt und zweitens, wieso ich mir so was merke. Und ich denke an meinen Lieblings-Calvin-und-Hobbes, wo Calvin Hobbes fragt: Wer hat eigentlich als erstes Kuheuter angeguckt und sich gedacht, egal was da rauskommt, ich trink’ das jetzt?

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Ich wollte noch googeln, woher das Wort „blindbacken“ kommt. In unserer Speisekammer steht ein Weckglas mit einem Pfund Linsen drin und mit denen backe ich seit Jahren blind. Jedesmal, wenn ich sie benutze, denke ich, ich müsste mal etwas Schwereres finden, trockene Bohnen vielleicht, die sehen auch niedlicher aus als die banalen Linsen, aber dann ist der Teig fertig, ich fülle die Linsen zurück ins Glas und vergesse es wieder. Ach ja, und ich wollte noch googeln, woher das Wort „blindbacken“ kommt.

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Ich habe zwei orange- und zwei beigefarbene Schüsseln zum Backen. In der einen hohen orangefarbenen schlage ich immer Eiweiß oder püriere Zeug, die anderen drei haben verschiedene Größen und stehen ineinandergestapelt in einer Schublade. Ich weiß nicht, ob meine Mutter schon mit diesen Schüsseln gebacken hat, ich erinnere mich nicht an das Handwerkszeug, nur noch, dass wir viel gebacken haben und dass immer Margarine in die Teige kam statt Butter. Aber zum Auszug habe ich diese Schüsseln mitnehmen dürfen und seitdem benutze ich sie. Das ist, glaube ich, das erste Mal, dass ich sie im Blog herzeige, denn kein einziges Nahrungsmittel sieht in orangefarbenem oder beigem Plastik gut aus, nicht mal so leuchtende Wunder wie Quark und Zitronenschale. Aber die Schüsseln sind von Mama, sie gehören seit 25 Jahren zu mir und sie werden erst durch weiße oder Metallschüsseln ersetzt, wenn sie von selbst auseinanderfallen.

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Ich muss endlich daran denken, meinen Münchner Mixer zur Reparatur zu bringen. Als ich meine kleine Studentinnenbutze einrichtete, kaufte ich so günstig wie möglich, also auch einen preiswerten Mixer und eine Billokopie meiner geliebten Microplanereibe. An der Reibe habe ich mir fünfmal irgendwelche Finger blutig gerieben, bevor ich sie entsorgte und mir wieder das Original kaufte (seitdem kein Blut mehr im Essen). Wenn ich meine Haushalte wieder zusammenlege, habe ich den Luxus von zwei Reiben – die mit dem grünen Griff aus München werde ich dann nur noch für Zitrusfrüchte nutzen, die mit dem schwarzen Griff aus Hamburg für Käse. Auch den Mixer werde ich doppelt haben, denn auch da habe ich den Billigscheiß nach nur zwei oder dreimal nöligem, weil unkomfortablem Benutzen verschenkt und mir genau den gleichen gekauft, den ich auch schon in Hamburg habe. Aber wo mir der Hamburger seit Jahren treue Dienste leistet, hat der Münchner jetzt leider eine Macke: Er kann nur noch eine Geschwindigkeit, nämlich die höchste, was zwar besser ist als keine Geschwindigkeit, aber beim größeren Mengen Mehl so ziemlich alles einsaut, was in Mixernähe ist. (Meaning: me.)

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Ich liebe Zitronen. Schale, Saft, Kuchen, Limo, Alsterwasser/Radler, meine Güte, gehen mir diese zwei Sprachen auf den Keks. Manchmal rutscht mir in Hamburg ein „SERVUS“ raus, was selten gut ankommt, denn gefühlt mag niemand im Norden die BayerInnen. Das „MOIN“ in München wird eher unbeeindruckt zur Kenntnis genommen, aber man identifiziert mich sofort als Nicht-Einheimische, weswegen ich bei meiner Metzgerin immer doof nachfragen darf, wenn ich ihr tiefes Bairisch nicht verstehe. Ich glaube, sie spricht auch extra langsam für mich. Gut, dass „Zitrone“ überall gleich heißt. Die kann ich nur dann nicht ab, wenn sie in meiner Coke light rumlungert, die ich ab und zu noch in Cafés bestelle – dann landet sie sofort in der Serviette.

kuchen_schaber

Irgendwann werde ich eine Ode an den Teigschaber dichten.

Festgeschmaddert in der Schüssel
klebt der Teig, aus Mehl und Schmand.
Heute muss der Kuchen werden,
frisch, GesellInnen, seid zur Hand.
Von der Stirne heiß
rinnen muss der Schweiß,
soll das Werk die MeisterIn loben;
doch der Segen … ist der Teigschaber.

Könnte man eventuell noch mal beigehen.

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Die linke Tür im Hintergrund führt in unsere Abstellkammer (eine Mindestanforderung an jede meiner Wohnungen, die in München hat auch eine), die zweite in die Speisekammer. Die Speisekammer ist im Winter gefühlt kälter als der Kühlschrank, aber im Sommer heizt sie kaum auf. Man kann selbst bei 30 Grad Außentemperatur Gemüse in ihr rumliegen lassen, was mich jedesmal verzückt. Direkt nach dem Foodcoaching standen in ihr zwei Schüsseln mit Tomaten und ein paar Nudelpackungen. Nach und nach wurde sie immer voller, ich musste zusätzliche Regalbretter anbringen für die ganzen Köstlichkeiten, dann kamen irgendwann auch noch zwei Weinregale dazu, die quellen auch schon über, Weinregale sind die neuen Bücherregale, kommt, wir machen noch ein paar klassistische Shelfies mit 800 Jahre altem Whisky und Mammutfleisch und Eiswürfeln aus der Antarktis, die besonders knusprig im Kristallglas knistern. Internet. You’re doing it wrong.

Kann endlich mal jemand googeln, woher „blindbacken“ kommt?

kuchen_fertig

(Edit: Frau Esskultur erklärt mir auf Facebook das Blindbacken, und ich bin noch mehr verliebt: „blindbacken: wie blindtext. also mit einem ersatz für die echte fülle vorbacken, damit [der teig] flach und knusprig bleibt. die blindfülle ist platzhalter für die eigentliche fülle, wie blindtext eben. blindbacken ist quasi das lorem ipsum der küche.“)

Kunst gucken: „Mondrian. Farbe“, Bucerius-Kunst-Forum Hamburg

(Dieser Eintrag steht auch in meinem Zweitblog, in dem die Bilder etwas größer sind.)

Piet Mondrian (1872–1944) dient bei Quengelnden über abstrakte Kunst gerne als Beispiel für „kann ich auch“ oder „was solln das“. Genauer gesagt, sind es seine Kompositionen aus Linien und Farbflächen, die gerne für deppige Bemerkungen herhalten müssen. (Ich quengele lieber über dusselige Produktverpackungen, mag aber das Mondrian-Dress von Yves Saint Laurent sehr gerne.) Auch deswegen fand ich die Ausstellung Mondrian. Farbe im Bucerius-Kunst-Forum sehr gut, weil sie den Weg von Mondrians Landschaften im 19. Jahrhundert zu seinen Gitterbildern ganz einfach nachvollziehbar macht.

Mondrian-Ausstellung

Ausstellungsansicht „Mondrian. Farbe“, Foto: Ulrich Perrey.

In den ersten Räumen sehen wir eben diese Landschaften: Breite Pinselstriche und erdige, unverklärte Farbtöne werden langsam zu leicht abstrahierenden Flächen und Farben. Auch die Szenerie ändert sich fast unmerklich: Wo anfangs noch ein Hauch von Genremalerei zu spüren war, verzichtet Mondrian bald darauf, eine Geschichte erzählen zu wollen, eine Szene zu etablieren: Er schaut, malt, geht weiter. Es geht ihm scheinbar nicht mehr um die reine Abbildung, wenn auch durch seine Augen, sondern um einen flüchtigen Eindruck, der rasch festgehalten werden soll. Licht, Schatten, Nebel, Stimmungen werden wichtiger als das Motiv selber. Die Striche werden flächiger, die Szenerie abstrakter, aber dadurch auch – jedenfalls für mich – stimmungsvoller.

Ich gebe zu, ich bin (noch?) nicht der größte Fan von Landschaftsmalerei; vor Bildern mit Bäumen und Wolken und Seen stehe ich meist etwas ratlos. Das ist alles hübsch, und ich weiß auch um die Entwicklung von Fantasielandschaften in Bildern zu besonders schön angelegten echten, die gemalt wurden, weil sie eben so schön waren, bis hin zu Bildern im 19. Jahrhundert, wo das Zufällige in der Natur plötzlich Motiv war, aber irgendwas will da nicht zu mir sprechen. Ich gucke mir das an, finde es hübsch und habe es zwei Meter weiter wieder vergessen. Deswegen mag ich wahrscheinlich die Landschaften von van Gogh so gerne, weil sie nicht pur abbilden, sondern mir zeigen, was der Maler in ihnen gesehen hat – und das ist deutlich unvergesslicher. Mein Liebling ist der Blick auf Arles (1889), der praktischerweise in der Neuen Pinakothek hängt und vor Farbe, aber auch vor innerem Schmerz nur so strotzt. Das sieht man bei Mondrian nicht; in seinen Bildern spüre ich keine innere Spannung, die sich in Baum- und Himmelsdarstellungen ausdrückt, aber stattdessen ein intuitives Gefühl dafür, was gerade das Besondere in diesem Moment, an diesem Ort ist.

In den Nuller- und Zehnerjahren des 20. Jahrhunderts begann Mondrian, seine Farbpalette zu erweitern: Aus den erdigen, weichen Tönen wurden kräftige Grundfarben, die seine Landschaften völlig veränderten. Das kann man hervorragend in der Ausstellung nachvollziehen, bei der man nicht mal einen Audioguide braucht. An den Wänden und an den Werken selbst stehen knappe, sehr informative Texte, die einem das nötige kunsthistorische Rüstzeug mitgeben. Und selbst wenn man sie nicht durchliest – die Hängung erklärt es genauso nachdrücklich.

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Piet Mondrian: „Zeeuws(ch)e Kerktoren (Kirchturm in Zeeland)“, 1911,
Öl auf Leinwand, 114 x 75 cm, Gemeentemuseum Den Haag.
© 2014 Mondrian/Holtzman Trust
c/o HCR International USA

Mein Liebling war Die rote Mühle (1911) und das obenstehende Werk, der Kirchturm in Zeeland (1911). Bei der Mühle mochte ich den Bildausschnitt; das Motiv muss nicht mehr ganz gezeigt werden, um zu wirken, gerade die Beschneidung macht es so spannend. Und beim Kirchturm gefiel mir die Farbe, die natürlich am Bildschirm nicht annähernd so wirken kann wie im Original. Das ganze Gebäude scheint nur noch aus Farbflächen zu bestehen, die Dreidimensionalität wird nur noch angedeutet; das Objekt ist nicht mehr wichtig, die Farbe ist es. Sonnenuntergangsrosa trifft auf Dämmerungsviolett, das Licht, das durch das Blätterdach fällt, schafft grüne und blaue Flächen, die Fenster der Kirche leuchten türkis, der Boden versinkt schon fast in Nachtblau. Vor dem Bild stand ich mindestens zehn Minuten und wollte es am liebsten mitnehmen.

Schließlich trennte ich mich doch und ging in den ersten Stock, wo genau die Bilder hängen, bei denen man so schön „kann ich auch“ sagen kann (wenn man doof ist). Die chronologische Hängung macht es auch hier ganz einfach, die Entwicklung nachzuvollziehen: von der Komposition im Oval mit Farbfeldern (1914), die noch die Pastelltöne der Landschaften mitzunehmen scheint über die Komposition mit Gitter 8 (1919, ebenfalls im letzten Link zu sehen), die erstmals in der Kunstgeschichte konsequent ein Raster nutzt, um das Bild zu unterteilen – bis hin zu den Kompositionen aus Linien und den drei Grundfarben. Anfangs nutzte Mondrian noch Schattierungen von Grau; es lässt erahnen, dass man Farben modellieren kann, um aus ihnen Körper entstehen zu lassen. Zum Schluss verzichtet Mondrian auch darauf – er konzentriert sich auf die Grundfarben, Weiß und Schwarz. Die einzige „Körperlichkeit“, die noch zu ahnen ist, sind die verschiedenen Richtungen, in die der Pinselstrich geht, der so eine kleine Dynamik in der Strenge erzeugt.

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Piet Mondrian: „Komposition mit Blau und Gelb“, 1932, Öl auf Leinwand, 45,4 x 45,4 cm, Denver Art Museum.
© 2014 Mondrian/Holtzman Trust
c/o HCR International USA

Leider nicht in der Pressedatenbank: die Komposition mit Linien und Farben III (1937), die ich persönlich am liebsten mochte. Auch vor diesem Bild stand ich gefühlt ewig rum, während hinter mir die BesucherInnen kurz anhielten, guckten, innerlicher Monolog wahrscheinlich: „Linien, blaues Rechteck, alles klar, hab ich, weiter“ und zum nächsten Bild gingen. Klar kann man so auf abstrakte Bilder gucken und ich gebe zu, auf die meisten neuen Richter-Bilder gucke ich inzwischen so. (Mein derzeitiges Lieblingsspiel in jedem zeitgenössischen Museum: Spot the Gerhard Richter. Funktioniert immer. Kurz den Blick schweifen lassen, ah, da hinten hängt er, alles klar, hab ich, weiter.) Man kann aber eben auch gefühlt ewig davor stehen. Mir ist bei diesem Bild zum ersten Mal aufgefallen, dass ich abstrakte Bilder genauso angucken kann wie nicht-abstrakte. Bei einem Raffael gucke ich immer nach der Feinheit des Heiligenscheins, nach den Augen und Lippen. Bei van der Weyden achte ich auf Hautgestaltung, Handhaltung, Faltenwurf der Kleidung. Bei einem van Gogh vertiefe ich mich in Pinselstrich und Farbauftrag. Und bei diesem Mondrian war ich damit beschäftigt, die Linienstärke zu betrachten, die nicht überall gleich ist. Ich habe geschaut, ob alle Linien bis an den Bildrand gehen (gehen sie nicht). Wie dicht sie aneinander liegen bzw. wie weit auseinander. Wo kreuzen sich Linien, wo stoßen sie nur aufeinander? Das Bild hat mir durch die intensive Betrachtung die gleiche innere Ruhe bzw. Transzendenz vermittelt wie die angesprochenen Raffaels und van der Weydens, vor denen ich ähnlich lange stehe und mich schlicht in ihnen und ihren Details verliere. Das habe ich selten vor einem abstrakten Gemälde, und daher war ich freudig überrascht, als ich entdeckte, dass das auch möglich ist.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 11. Mai, ist täglich von 11 bis 19 Uhr (Donnerstags bis 21 Uhr) geöffnet und kostet 8 Euro Eintritt (ermäßigt 5, für Kunstgeschichtsstudis und alle unter 18 frei). Auch den Katalog kann ich empfehlen; die Bilder sind nicht ganz so toll, wie ich sie gerne hätte, aber die Texte fand ich sehr aufschlussreich und lesenswert. Den Audioguide kann man sich übrigens schon vor dem Besuch runterladen.

Zur Malware-Anzeige der letzten Tage

Seit Mittwoch stand hier eine Warnung von Google vor Malware auf meiner Site. ankegroener.de hat nie Malware gehostet, und wir hatten bereits am Donnerstag die Seite von allem kritischen Zeug gereinigt. Falls ihr also seitdem die Warnung von Google ignoriert habt, war das völlig in Ordnung, und ich habe auch auf Twitter bereits seit Freitag wieder ein Okay gegeben.

Wir haben trotzdem noch zwei Tage gewartet, um die Situation zu beobachten und erst am Samstag an Google die Anfrage gestellt, die Seite nicht mehr als infiziert zu melden. Das ist im Laufe des gestrigen Abends dann geschehen.

Willkommen zurück.

Let it go

Was mir meine Gesangslehrerin seit langem versucht abzugewöhnen, ist mimisches Quengeln. Ich neige dazu, nach jedem Lied den Mund zu verziehen, denn besser geht’s immer und Frau Gröner, die Streberin aller Streberinnen, will es gefälligst perfekt hinkriegen. Neben „Mund verziehen“ kann ich noch „nölig ausatmen“, „verächtliche Handbewegung machen“ oder alles zusammen. Martina meinte irgendwann nach jedem Stück: „Nein, du machst jetzt nichts. Du stehst da jetzt gefälligst einfach mal rum, atmest normal und machst gar nichts. Wenigstens für ein paar Sekunden. Das war nämlich gut, auch wenn du das nicht glaubst.“ Nicht sie ist es, die mich dafür anpault, wenn ein Ton nicht klang wie einer von der Callas, sondern ich. Ich und mein völlig überzogener Anspruch an meine Leistung, die nicht mal eine sein muss, denn ich bin zum Spaß hier und nicht, weil ich damit Geld verdienen muss. Nach dem Kommando „Hab Spaß“ kann ich übrigens auch prima den Mund verziehen, nölig ausatmen und verächtliche Handbewegungen machen.

Das mache ich seit ein paar Monaten nicht mehr – oder wenigstens deutlich weniger. Was ich stattdessen mache, ist loszulassen (ich schrieb schon mal darüber) und mir und meinem Körper zu vertrauen. Der weiß nämlich, wie das geht mit dem Singen, und wenn ich ihn lasse, dann klingt es ziemlich okay. Oder gut. Oder toll, weiß ich nicht, ich bin eventuell mit verächtlichen Handbewegungen beschäftigt. Aber es wird wirklich weniger. Inzwischen kann ich mich breit grinsend freuen, wenn ich Oper gesungen habe. Denn gerade die wirft mich in ein Dutzend Gefühle auf einmal, und ich glaube, mein innerer Mechanismus, der alles schlecht machen will, kommt einfach nicht mehr hinterher damit, wie er sich jetzt gefälligst zu fühlen habe. Zuerst habe ich Angst, denn es ist schließlich PucciniMozartBizet. Dann kommen die ersten Töne, da taste ich meistens noch etwas rum, bin noch nicht richtig da, werde quengelig, es ist schließlich PucciniMozartBizet, dann geht’s das erste Mal richtig nach oben, das wackelt gerne etwas und ich werde vor Ehrfurcht atemlos, ES IST SCHLIESSLICH PUCCINIMOZARTBIZET, aber interessanterweise stürzen keine Wände ein, wenn ich einen hohen Ton singe, keine Nachbarn klingeln, meine Lehrerin bekommt keinen Herzinfarkt und es sterben keine Katzenbabys. Ich kann hier stehen und singen, und alles, was passiert, ist, dass ich hier stehe und singe. Aber das musste ich erst hundertmal machen, bevor ich es geglaubt habe.

Was passiert, wenn ich mich machen lasse? Ich halte die Töne nicht fest, so dass sie am Ende irgendwie gequetscht klingen, sondern lasse sie frei. Ich musste mich daran gewöhnen, sehr laut zu sein, und ich muss mich immer noch daran gewöhnen, die Kontrolle abzugeben. Es fällt mir überhaupt nicht schwer, da oben im zweigestrichenen Bereich rumzuturnen, aber ich will das alles festhalten, was ich da mache, ich will es nicht hergeben, ich will es kontrollieren, denn vielleicht sterben doch Katzenbabys, wenn ich es nicht tue. Wahrscheinlich muss ich es erst tausendmal machen, bevor ich es WIRKLICH glaube. Ich arbeite daran.

Musicals sind wieder was anderes. Die klingen nicht nach Kopfstimme, wie ich sie in der Oper einsetze – die klingen nach viel Kraft. Hier kann ich noch weniger loslassen, denn die Bruststimme sitzt viel zu nahe an mir und meinem Herzen dran, als dass ich sie einfach machen lassen kann. Hier halte ich noch mehr fest und will noch mehr kontrollieren. Und was ich dagegen tue, widerstrebt mir komplett, aber es funktioniert blöderweise: Ich singe, so albern ich kann.

Ich HASSE es, auf Kommando albern zu sein. Ich nehme diesen Singkram viel zu ernst, als dass ich mal eben die großen Powerballaden wie Defying Gravity (oder auch die Klassik) veralbern könnte. Aber so geht’s immer, und so ging’s auch vorgestern. Ich erzähle meiner Lehrerin, wie mein Tag so war: „Something has changed within me / Something is not the same / I’m through with playing by / the rules of someone else’s game“ und ignoriere dabei, dass ich von „the“ zu „rules“ mehr als einen Oktavsprung nach oben mache. Und ich achte beim „me“ darauf, dass ich kein kleines I-Mündchen mache und „miii“ singe, sondern mehr so „meh“. Und bei „game“ hänge ich nicht auf dem blöden M rum, sondern schön auf dem A und halte das gefälligst nicht fest, sondern lasse es los. Und zwar, während ich die Arme ausgebreitet habe, als ob ich Obelix umarmen wollte, mit den Händen wackele wie Jim Knopf und mir vorstelle, dass mein Kopf an einer Schnur hängt, die mich kerzengerade hält. Wenn ich zum Playback singe, also nicht am Klavier begleitet werde, hat Martina Zeit, meine Gesprächspartnerin zu sein. Wenn ich ihr also albern rumzappelnd erzähle, dass something in mir gerade gechanged hat, kommt von ihr mittendrin ein „Ach was?!“, damit ich bloß nicht wieder anfange, das ernst zu nehmen, was ich da mache. „Echt? Erzähl mir mehr. Voll spannend!“ Und irgendwann fühlt es sich dann wirklich wie ein Frauenabend mit zu viel Rotwein an, wo man über die Jungs lästert, anstatt wie die große Ballade, die beschreibt, das ab jetzt alles verdammt noch mal anders wird, BIG TIME, BABY.

Vielleicht gerade, weil es mir fürchterlich gegen den Strich geht, hat mein Körper vorgestern einen guten Tag gehabt. Normalerweise gehe ich spätestens beim c” in die Kopfstimme – heute ging auch das e” noch mit der Bruststimme. Ohne dass ich es wollte, ohne dass ich es darauf angelegt hatte, es kam einfach so und zwar, weil ich rumgealbert habe und so damit beschäftigt war, über mich selbst zu lachen, dass ich keine Zeit mehr hatte, irgendwelche Töne festzuhalten, die anscheinend dringend von mir wegwollten.

Das war allerdings deutlich anstrengender als sonst. Ich hatte zum ersten Mal mitten im Lied das Gefühl, dass ich mich jetzt gerne setzen und einen Schnaps trinken wollte, aber ich habe mit Playback gesungen und das zieht mich immer irgendwie mit. Als der herrliche Kampfschrei zum Schluss durch war, war ich es auch, und obwohl sich meine Schultern zwei Meter breit anfühlten und die Energie meiner Endorphine wahrscheinlich eine durchschnittliche Großstadt hätten beleuchten können, war ich nicht so euphorisch wie sonst, sondern eher: „Ach, so kann sich das anfühlen. Cool!“

Als Rausschmeißer haben wir einen anderen Liebling von mir gesungen, Can’t help lovin’ that man of mine. Und wo ich eben noch unglaublich laut und kraftvoll war, war ich jetzt ganz klein und kuschelig, so klein und kuschelig war ich noch nie, und ich habe ungefähr fünfzehnmal mitten im Lied entweder „wow“ gesagt oder angefangen zu heulen, weil es so unfassbar gut klang. Ich habe alle Töne losgelassen, die noch da waren; ich war so fertig von Defying Gravity, dass ich keine Kraft mehr hatte, irgendwas machen zu wollen, irgendwie zu arbeiten, zu pushen, zu meckern, ich habe nur noch machen lassen und es war großartig. Als das Lied vorbei war, habe ich nicht nölig geatmet und keine verächtliche Handbewegung gemacht, weil ich zum ersten Mal in den zweieinhalb Jahren, in denen ich jetzt wieder singe, das Gefühl hatte: So soll’s sein. So soll sich’s anfühlen.

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HA „Jenseits von Geschlechternormen“

Passend zum heutigen Thementag „Stark. Kühn. Weiblich“ auf 3sat, von dem hoffentlich einiges in der Mediathek landen wird, kriegt ihr hier mal wieder eine Hausarbeit von mir zu lesen. Meine erste Geschichtshausarbeit! Also die erste seit 20 Jahren.

Die Arbeit befasst sich mit dem Frauenwahlrecht in England bzw. den verfassungskonformen und den militanten SuffragistInnen, und natürlich hätte ich ungefähr das zehnfache schreiben können (und wollen). Ich habe in der Arbeit ein paar formale Fehler gemacht, die ich hoffentlich alle korrigiert habe; ansonsten fehlten meiner Dozentin noch ein paar Namen von Historikern und Historikerinnen, deren Thesen ich zwar anführe, sie aber nicht benenne und dazu eine kleine Auseinandersetzung mit eben diesen Thesen. Äh … stimmt. Jetzt wo sie’s sagt, sehe ich’s auch. Mache ich beim nächsten Mal besser. Außerdem fehlten ihr ein paar winzige Belege. Ich freue mich trotzdem sehr über eine 1,3 und wünsche euch ebenso viel Spaß beim Lesen, wie ich beim Schreiben hatte.