Bücher Juli 2011
Johann Wolfgang von Goethe – Italienische Reise
Über Klassiker zu schreiben, ist immer ein bisschen müßig, weil jede_r sich die Wikipedia dazu durchlesen kann oder Königs Erläuterungen. Ich persönlich fand die Italienische Reise perfekt für mich und den jetzigen Zeitpunkt, weil sie meine eigene Romreise so schön verlängert hat. Anscheinend hat sich in den letzten 250 Jahren nicht so wahnsinnig viel in Rom geändert; daher konnte ich viele von Goethes Wegen nachvollziehen bzw. war an einigen Orten, an denen er auch war. Es war faszinierend zu lesen, dass ich anscheinend nicht die einzige bin, die völlig überfordert von so viel Schönheit vor Michelangelo und Raffael steht, auch wenn der Herr Geheimrat seine Überforderung in eindeutig bessere Formulierungen gießen kann als ich es je könnte.
Goethe schreibt aber nicht nur über die (laut ihm) viel zu schnelle Reise von Karlsbad nach Italien – diese neumodischen Kutschen machen das Reisen aber auch echt stressig –, sondern auch über simple Alltagsbeobachtungen. Er beschreibt, was die Pferde zu fressen bekommen, das Wetter, seine Gesteinsproben, wie die Arbeit an Iphigenie, Tasso und Egmont voranschreitet, dass Tischbein manchmal nervt, wie Pompeji so aussieht und wie die 117. Kirche sich von der 116. unterscheidet, die er anguckt. Also genau mein Ding. Wundervoll, zeitlos, atmosphärisch.
Die oben verlinkte, sogenannte Hamburger Ausgabe hat einen hervorragenden Anhang, der so ziemlich jede Anspielung, Person und jedes Gebäude und Kunstwerk erklärt, über derdiedas Goethe schreibt, aber: Seine zahlreichen Zitate oder Anmerkungen auf italienisch, französisch oder lateinisch werden fieserweise nicht übersetzt. Die kriegt man aber mit einem Mittelmaß an Bildung auch so hin. (Oder ignoriert sie einfach.)
(Vollständiger Text beim Gutenberg-Projekt)
Ed Brubaker/Greg Rucka – Gotham Central 5: Dead Robin
Es ist zwar eine blöde Idee, mit einer Comicserie im fünften Band anzufangen, aber nach ein paar Seiten konnte ich das Ding leider nicht mehr weglegen. Was steht das auch so prominent beim Kerl im Regal. Gotham Central nutzt die üblichen Superhelden eher als Tapete und beschäftigt sich mit „normaler“ Polizeiarbeit, die eben zufällig dort stattfindet, wo Batman und der Joker und Two-Face rumlaufen. In Dead Robin wird die Leiche eines Jungen gefunden, der Robin sein könnte – oder auch nicht. Gute Zeichnungen, leider etwas klischeeige Dialoge mit dem üblichen brummigen Cop-Slang, und das Ende war dann auch ein bisschen faul, aber es hat locker gereicht, um mich den nächsten Band vom Kerl klauen zu lassen:
Ed Brubaker/Greg Rucka – Gotham Central 2: Half a Life
Der gefiel mir schon weitaus besser. Auch hier fehlt mir zwar der Anfang der großen Story, die sich über 50 Hefte zieht und blöderweise in zwei verschieden gestaffelten Sammlungen erhältlich ist, aber so schlimm war’s nicht. Dass Two-Face ein ungesundes Interesse an Lieutenant Montoya entwickelt und sie so in ein Verbrechen zieht, treibt die Story auch ohne Vorwissen prima voran. In den ersten Heften haben mir die Zeichnungen überhaupt nicht gefallen, der Rest des Bandes war aber gut. Die Serie muss ich dann wohl oder übel ganz lesen. (Aber jetzt muss ich dafür bezahlen, denn mehr als die beiden Bücher besitzt der Kerl nicht. Mist.)
Katharina Greve – Ein Mann geht an die Decke
Schön, schön, SCHÖN. Das war wieder einer von den Comics, die ich gerne jedem aufdrängen will, der oder die im Bus neben mir sitzt, hinter mir in der Kassenschlange steht oder mit mir ein Büro teilt. Es geht nicht um Superhelden oder den Weltuntergang, sondern um einen Fahrstuhlführer im Berliner Fernsehturm, dessen Frau die gemeinsame Wohnung mit Kisten vollstellt und mit der er abends Kreuzworträtsel löst. Ja, genau. Eat this, Alan Moore. Natürlich geht es noch um viel mehr, um innere Sehnsucht, neue Perspektiven und der Besinnung auf die Dinge, die uns eben glücklich machen, aber das spielt sich fast alles im Fernsehturm ab, in dem anscheinend mehr schlummert als wir alle wissen. Die Zeichnungen sind schlicht und fein, über die leichten und perfekt formulierten Dialoge habe ich mich in jedem Panel gefreut, und als ich das Büchlein durchgelesen hatte, habe ich sofort nochmal von vorne angefangen. Solltet ihr auch tun.
(Leseprobe auf der offiziellen Webseite zum Buch)
Grant Morrison/John J. Muth – The Mystery Play
Noch ein schöner Comic, allerdings eine ganz andere Ecke. Fast fotografisch anmutende Bilder, sehr viel Farbigkeit und Hintergrund und Dialoge, die eher Pamphlete sind als Sätze. In einer englischen Kleinstadt wird ein Theaterstück aufgeführt, das auf der Bibel beruht. Mitten in der Vorstellung wird der Darsteller des Gott ermordet, was so schöne Sätze wie „Who killed God“ nach sich zieht. Eine Journalistin befasst sich mit dem Fall, ein Kriminalbeamter aus einem anderen Ort ebenfalls, und beide entdecken während der Recherche mehr als sie vielleicht ahnten und wollten.
Ich fand den Comic sehr stimmungsvoll, und gerade weil er eher andeutet als auflöst, sehr spannend und anregend.
Hanns-Josef Ortheil – Faustinas Küsse
Und noch ein Rom-Buch (das hört anscheinend so schnell nicht wieder auf, sorry). Von Ortheil habe ich in den letzten beiden Monaten zwei Bücher gelesen und gerade den Wunschzettel mit drei, vier weiteren seiner Werke bestückt. Mir gefällt sein Stil sehr, sehr gut; vielleicht ein bisschen spröde, die Dialoge komplett „geschrieben“ und nicht gesprochen, aber genau das fand ich – für mich selbst überraschend – ganz wunderbar. Faustinas Küsse bezieht sich auf Goethes Italienische Reise, aber man muss das Ding nicht gelesen haben, um an Faustina Gefallen zu finden. Hier wird Goethes Romaufenthalt aus der Perspektive von Giovanni Beri erzählt, einem Handlanger, der sich selbst den Auftrag gibt, Goethe hinterher zu spionieren, um von der Kirche dafür Geld zu bekommen. Ohne dass er weiß, wen er vor sich hat, beginnt er, Goethe und seine Begleitung zu beobachten. Wenn man die Italienische Reise gelesen hat, findet man viele Dinge wieder, und das macht das Buch sehr charmant, aber wie gesagt, die Story um Beri, der den Schriftsteller zunächst für völlig bescheuert hält und erst sehr spät merkt, wie sehr er ihm inzwischen persönlich bedeutet, funktioniert auch ohne jede Sekundärliteratur.
Laura Hillenbrand – Unbroken: A World War II Story of Survival, Resilience, and Redemption
Totales Kontrastprogramm zum restlichen Kuschelmonat. Unbroken ist eine ziemlich gelungene Biografie über Louis Zamperini, ein Teilnehmer der Olympischen Spiele von 1936, der beim Kriegseintritt der USA als Bombardier im Pazifik stationiert wird. Bei einem Einsatz stürzt seine Maschine ins Meer, er rettet sich mit Kameraden in ein Boot, und gemeinsam treiben sie über 40 Tage im Meer, nur um direkt in japanischer Kriegsgefangenschaft zu landen, die sich als noch schlimmer heraustellen sollte als gegen Haie, Hitze, Hunger und Durst zu kämpfen.
So anstrengend ich den Inhalt fand, so begeistert war ich vom Schreibstil Hillenbrands, die mich sehr plastisch an Bord einer B-29 nahm, ins Kalifornien der 20er und 30 Jahre, auf eine Aschenbahn in Berlin und leider auch ins kriegsgeschüttelte Japan. Die Beschreibungen der vielfältigen Grausamkeiten sind manchmal nur schwer zu ertragen, und das Wissen, dass Louis das alles überlebt – der Mann feierte dieses Jahr seinen 94. Geburtstag –, macht es leider auch nicht besser. Außerdem bleibt Louis seltsamerweise fast ein bisschen konturlos – ja, ich habe verstanden, wie leidensfähig der Mann ist, aber trotzdem habe ich von seinen vielen Mitgefangenen und Folterknechten fast ein besseres Bild bekommen.
(Leseprobe bei amazon.de)
Jacob Burckhardt – Die Kultur der Renaissance in Italien
Ich zitiere mal den Klappentext: „Jacob Burckhardts Kultur der Renaissance in Italien ist ein klassisches Beispiel großer kulturhistorischer Literatur; ihr Thema ist eine Epoche, die als das leuchtendste Kapitel europäischer Kulturgeschichte gelten darf. In sechs Abschnitten entwirft Burckhardt anhand der originalen lateinischen und italienischen Quellen die Konturen und Gestaltungsformen des uomo universale. Zu den zentralen Aspekten gehören dabei die Ausbildung des modernen Individuums, die neuartige Entdeckung der Welt und des Menschen in Reisen, in Naturforschung und Landschaftswahrnehmung, aber auch die Formen der höheren Geselligkeit, die Burckhardt am Beispiel des Höflings und der Stellung der gebildeten Frau plastisch verdeutlicht.“
Klingt super. Hatte ich mir deswegen auch gekauft, auch wenn das Buch schon von 1860 ist. Das war auch gar nicht mein Problem damit, sondern das Vorwissen bzw. das manchmal nicht vorhandene. Kultur ist kein Geschichtsbuch, was ich eigentlich hätte haben wollen, sondern eher ein sehr, sehr langer Gedankenfluss, in dem Namen, Daten und Ereignisse aus zwei Jahrhunderten lustig eingeflochten wurden. Ich muss im Nachhinein die Michelangelo-Romanbiografie noch etwas höher loben als ich das letzten Monat getan habe, denn anscheinend ist da doch ne Menge hängengeblieben bzw. wurde mir in dem Buch schon viel mehr über die politischen und kulturellen Verhältnisse in Italien um 1500 erzählt als mir bewusst war. Vieles kannte ich jedenfalls aus jenem Buch, aber trotzdem war die Wikipedia so ziemlich dauernd geöffnet, ganz gleich in welchem Kapitel ich mich in Kultur gerade befand. Außerdem war mir das Verhältnis einiger Themen zu anderen ein bisschen rätselhaft – so wird, wie oben erwähnt, zwar die Stellung der gebildeten Frau beschrieben, aber der Abschnitt über Festwägen und Prunkzüge zum Karneval ist ungefähr dreimal so lang. Nichts gegen Festwägen, aber: äh. Nun ja. Ich habe mich durch dieses Buch eher pflichtschuldig durchgewühlt und nach 350 von 450 Seiten aufgegeben.
(Vollständiger Text beim Gutenberg-Projekt)