Walk the Line

Walk the Line (USA 2005, 136 min)

Darsteller: Joaquin Phoenix, Reese Witherspoon, Ginnifer Goodwin, Robert Patrick, Dallas Roberts, Dan John Miller, Shelby Lynne
Musik: T-Bone Burnett
Kamera: Phedon Papamichael
Drehbuch: Gill Dennis & James Mangold, nach „The Man in Black“ von Johnny Cash und „Cash: An Autobiography“ von Johnny Cash und Patrick Carr
Regie: James Mangold

Trailer

Offizielle Webseite

Als ich im Kino saß und der Film nach wenigen Minuten eine Rückblende startete, in der Klein-Johnny Cash mit seinem Bruder glücklich durch den heißen Süßen der USA stapft und man schon ahnt, dass das wohl nicht so bleiben wird, musste ich unwillkürlich an Ray denken, den Film, in dem Jamie Foxx Ray Charles dargestellt hat. Auch dieser Film zeigte Szenen aus der Kindheit, um einige Motive im Leben des älteren Ray zu verdeutlichen. Walk the Line macht es genauso: Neben dem Tod des Bruders muss Johnny Cash auch noch mit einem Vater fertigwerden, der ihm deutlich zu verstehen gibt, dass lieber John hätte dran glauben sollen. Viel Last für ein Paar Schultern, viel Stoff für schönes Kino. Bei Ray hat das meiner Meinung nach überhaupt nicht funktioniert, weil der Film ein bloßes Abspulen von Szenen aus Ray Charles’ Leben war. Bei Walk the Line dagegen funktioniert es hervorragend. Und zwar aus einem einzigen Grund: Hauptdarsteller Joaquin Phoenix singt selbst.

Der Film hat mich erst nach ungefähr 30 Minuten erwischt, aber dann richtig. Vorher sehen wir den Tod des Bruders, den ungerechten Vater, die ärmlichen Verhältnisse, in denen Johnny aufwächst, die ersten Versuche auf einer Gitarre während seiner Militärzeit in Deutschland, Frau, Kind, Brotberuf, der ihn nicht glücklich macht – und dann die Chance: Mit zwei Freunden (“my band”) traut er sich in ein Aufnahmestudio, um einem Plattenboss vorzusingen. Einen Gospel, nichts Aufregendes. Und genau das sagt ihm der Plattenboss auch. Und bittet ihn dann, ihm doch etwas anderes vorzusingen: Cash solle sich vorstellen, nach einem Unfall im Rinnstein zu liegen. Er habe noch eine Minute Zeit, der Welt einen letzten Song zu singen, einen Song, der eben nicht so klingt wie alles, was man schon gehört habe, so wie der Gospel, den er gerade singe, der von falschen Hoffnungen erzähle. Sondern einen Song, der wahr sei. Denn diese wahren Songs würden Menschen heilen.

Und so räuspert sich Phoenix, nimmt die Gitarre nochmal in die Hand, nuschelt was von “I wrote this song when I was in the Air Force” und beginnt zu singen. Den Folsom Prison Blues, der davon erzählt, gefangen zu sein. Er singt zuerst leise und suchend, dann sicherer, bis auch seine Band mitspielt. Und ich habe im Kino gesessen und mich kaum getraut zu atmen, so intensiv war das Gefühl, was da plötzlich von der Leinwand kam. Auf einmal war es kein Standard-Hollywood-Biopic mehr über eine Legende, sondern auf einmal war es eine neue, wahre Geschichte über jemanden, der Träumen und Hoffnungen nachhing und diese in Worte und Lieder verpacken konnte. Und diesen eine Stimme geben konnte, die auch deswegen so unverwechselbar war, weil sie glaubhaft war.

Jeder, der schonmal selber versucht hat zu singen anstatt vor dem Spiegel zum Playpack in eine Haarbürste zu mimen, weiß, wie schwierig es ist, einen Song so hinzukriegen, dass Emotionen spürbar werden, ohne dass es albern wird. Jedes Liebeslied kann mit einer falschen Stimmfarbe fürchterlich kitschig werden, und so hätte auch Cashs Gefängnissong ziemlich aufgesetzt wirken können – wenn ihn Cash nicht so gesungen hätte, dass ihm jeder abnimmt, Knasterfahrungen zu haben. Oder eben die Erfahrung, sich gefangen zu fühlen. Ich glaube, dass es der Darstellung von Cash sehr, sehr gut getan hat, dass Phoenix selber gesungen hat anstatt sich hinter theatralischen Gesten zur Musik vom Band zu verstecken, wie Foxx das in Ray gemacht hat. Man sieht Phoenix zwar des Öfteren an, dass die seltsame Cash’sche Gitarrenhaltung nicht unbedingt die seine ist, aber dadurch, dass er jedes Lied selber singt, wirkt der ganze Film authentisch, ungekünstelt, unmittelbar und nicht wie eine beliebige Nummernrevue, wo die größten Hits mal eben runtergespielt werden, damit sich der Soundtrack gut verkauft.

Obwohl Phoenix ziemlich oft zum Mikro greift (genau wie seine Geliebte und spätere Frau June Carter, dargestellt von der wunderbaren und stimmlich ebenso begabten Reese Witherspoon), verdrängt die Musik nicht die Geschichte, die der Film erzählen will. Denn natürlich muss sich Cash sowohl den Dämonen des toten Bruders und des vorwurfsvollen Vaters stellen als auch dem wahren Leben, in dem eine Ehefrau und seine Band und Tourkollegen ihre Rechte einfordern. Der Film erzählt nicht das ganze Leben von Cash und Carter, sondern konzentriert sich auf die Zeit der 50er und 60er Jahre. Er schafft es dabei, nicht nur viel über die beiden und über die sich zwischen ihnen entwickelnde Beziehung zu erzählen, sondern auch über die USA in der Zeit und deren Moral – ein weiteres Gefängnis, über das Cash und Carter singen können. Walk the Line lebt von seinen beiden großartigen Hauptdarstellern, die anscheinend überhaupt keine Angst vor der Kamera haben oder vor dem Publikum, so sehr tragen sie ihr Herz auf der Zunge, und so nah lassen sie uns an sich herankommen. Mit jedem Lied, das sie singen, geben sie so viel mehr von sich und ihren Figuren preis als in den Szenen zwischen den Liedern.

Wahrscheinlich war es auch das, was das Faszinosum Johnny Cash ausgemacht hat: die Authentizität. Das Ungeschönte. Das Wahre. Walk the Line hat genau diese Essenz einfangen können. Einfach dadurch, dass der Film nicht so klingt wie der echte Johnny Cash. Und dann doch genau so.