i sing the body olympic
Die nordkoreanischen Paarläufer. Die Musik klang, als hätte sie der Liebe Große Gute Schnuffige Führer selbst komponiert, viel Blech, sehr alt. Die beiden hatten graue Kostüme an (visualisieren Sie „Nordkorea“ in einer einzigen Farbe), das Mädchen hatte Stöckchen als Beine und sah aus, als wüsste sie nicht genau, was sie hier eigentlich macht, aber wenn sie nun schon mal da ist, macht sie’s eben. Nach der Kurzkür saßen beide auf dem Bänkchen vor der Kamera, ganz schmal und ausdruckslos (genau wie ihr Programm, das mich an Zinnsoldaten erinnerte), kein Trainer neben ihnen, keine goldenen Kreuze um den Hals oder irgendwie am bunten Leibchen angetackert wie beim Rest der Ostblockläufer. Kapiert man in zwanzig Jahren das Wort „Ostblock“ noch? Ãœberhaupt: in zwanzig Jahren. Heute morgen im Bus gesessen, neben mir ein Mädel, das fleißig gesimst hat, mir gegenüber ein Mittdreißiger mit Ehering (wieso fällt mir sowas auf? Nee, Moment, wieso achte ich auf sowas?), der mit seinem Palm Pilot rumspielte, die Frau neben ihm las (immerhin, las) einen Reiseführer über Neuseeland, und neben mir saß ein älterer Mann, der aus dem Raum-Zeit-Kontinuum gefallen zu sein schien: Er zog seine mechanische goldene Uhr auf und befestigte sie nach dem Aufziehen wieder am Handgelenk, ledernes Armband, goldene Spange, kein Plastikklicken, kein Fzzzzt eines Klettverschlusses, kein digitales „Ich bin wieder hier“-Piepsen. Ich habe auf einmal das Geräusch vermisst, das ein Walkman macht, wenn die Batterien leerer werden; das Langsamerwerden der Musik, das nölende Schleppen eines Liedes, das sonst auf gnadenlosen 100 bpm ins Ohr getrommelt kommt und nun plötzlich klingt wie ein Aufziehäffchen, dem die Puste ausgeht.
Mein iPod hat keine Seele. Und die Nordkoreaner sind zur Kür nicht mehr angetreten.