Capote

Capote (USA/CAN 2005, 114 min)

Darsteller: Philip Seymour Hoffman, Catherine Keener, Clifton Collins Jr., Chris Cooper, Bruce Greenwood, Mark Pellegrino, Bob Balaban
Musik: Mychael Danna
Kamera: Adam Kimmel
Drehbuch: Dan Futtermann (nach der Biografie von Gerald Clarke)
Regie: Bennett Miller

Trailer

Offizielle Webseite

Das Spannende an Capote ist nicht unbedingt die Geschichte, die man sowieso kennt, wenn man In Cold Blood gelesen hat. Das Spannende ist, dass die Verfilmung der Entstehungsgeschichte eines Buches fast genauso funktioniert wie das Buch selbst: Man entwickelt eine gewisse Sympathie zu zwei vierfachen Mördern, zum einen mehr, zum anderen weniger, genau wie im Buch, wo Capotes Sympathie für Perry deutlich spürbar war.

Noch spannender ist allerdings, dass man nach dem Film die Figur des Truman Capote für viel tragischer hält als die der Männer, die zum Tode verurteilt werden, weil der Schriftsteller nach In Cold Blood nie wieder einen Roman zuende geschrieben hat. Aber diese Sympathie mag daher rühren, dass die meisten Kinozuschauer – also auch ich – zur gleichen Schicht gehören. Capote sagt im Film zum Sheriff der kleinen Stadt Holcomb in Kansas, in der eine vierköpfige Familie für 50 Dollar umgebracht wurde, dass es auf dieser Welt zwei Schichten gebe: eine „konservative“”, zu der er sich auch zählen würde, und eine wilde, unbeherrschte, die quasi in einer Parallelwelt leben würde, von der wir eigentlich gar nichts wüssten und aus der die Mörder kämen. Wir „Konservativen“” empfinden sicherlich mehr Sympathie für einen Dichter mit Schreibblockade als für zwei Männer, die eher aus Ratlosigkeit denn aus Notwendigkeit (falls es das jemals geben kann) vier Menschen umbringen.

Capote wehrt sich gegen seine Sympathie für die beiden, kann sich aber trotzdem nicht von ihnen losreißen. Anfänglich besorgt er ihnen bessere Anwälte für diverse Revisionen (hauptsächlich deshalb, weil er sie noch länger befragen möchte), aber zum Schluss sehnt er die Hinrichtung der zum Tode Verurteilten herbei, um endlich sein Buch abschließen zu können. Es hat sich fast so angefühlt, als hätte Capote plötzlich selbst den Geschmack der zweiten Schicht im Mund; der Wunsch, zwei Menschen sterben zu sehen, um daraus einen eigenen Vorteil zu ziehen, passt nicht zu ihm und macht aus ihm plötzlich einen Unmensch, der er eigentlich gar nicht ist. Wie die Morde an der Farmersfamilie aus Perry Smith und Richard Hickock auch andere Menschen gemacht haben, die sie vielleicht gar nicht waren. Jeder trägt etwas in sich, von dem er vielleicht nicht weiß, dass es existiert.

Capote befasst sich in jeder Szene mit seiner Hauptfigur. Wir erleben ihn als Mittelpunkt diverser Partys in New York, als fast übertrieben elegant gekleideten Sonderling in der Pressekonferenz in Holcomb, wo der Rest der Männer eher bodenständig erscheint. Wir sehen ihm dabei zu, wie er einen Zugschaffner besticht, ihn vor seiner Begleitung Harper Lee zu loben. Und wir sehen ihn auf der Kinopremiere von To Kill a Mockingbird nach dem Roman von Harper Lee, wo er sich eher um sich und seinen Drink kümmert als um den Erfolg seiner besten Freundin. Das Faszinierende an Capote ist, dass wir als Zuschauer den gleichen Prozess durchleben, den das Umfeld des Schriftststellers auch durchlebt: Man lernt jemanden kennen und findet ihn zuerst sehr unpassend, viel zu affektiert, man lächelt über seine tuntigen Manierismen und weiß nicht genau, was man von ihm halten soll. Aber schon nach wenigen (Film-)Minuten fallen einem diese Eigenheiten kaum noch auf; man hat Capote inzwischen als interessierten, klugen, aufmerksamen Beobachter kennengelernt und möchte sich auf einmal nicht mehr über ihn amüsieren, sondern ihm schlicht bei der Arbeit zusehen.

Capote ist eine seltsame Hauptfigur, die sich unseren Respekt erarbeiten muss, bevor wir sie mögen. Es ist Philip Seymour Hoffman zu verdanken, dass das relativ schnell geschieht. Hoffman macht aus dem Exzentriker Capote einen Charakter, der nicht lächerlich erscheint oder unpassend. Selbst der abgespreizte kleine Finger fällt irgendwann nicht mehr auf, das Zucken der Oberlippe oder der Nasenfügel, die hohe Stimme, das abgehackte Lachen, die völlige Ich-Bezogenheit. Der Dichter wirkt wie eine Persönlichkeit und nicht wie ein egozentrischer Mittelpunkt des Films. Auch die weiteren Figuren sind stimmig; Catherine Keener als Harper Lee bleibt immer eine gute Freundin, ganz gleich wie seltsam sich Capote aufführt (dafür sind Freunde schließlich da), und Bruce Greenwood als Capotes Lebensgefährte Jack Dunphy verschafft der Hauptfigur noch eine weitere Ebene, die des Privaten, des Schreibenden.

Aus einer Meldung der New York Times über die Morde und der Idee zu einem längeren Artikel wird plötzlich ein Buchmanuskript. Es wird über vier Jahre dauern, bis Capote seine Dämonen aus Kansas zwischen zwei Buchdeckel pressen kann, aber er wird sie nie wieder los. Der Film ist eine altmodische Erzählung über eine Geschichte, die fast 50 Jahre her ist. An Aktualität hat sie leider nicht verloren. Aber ich bin mir nicht sicher, ob wir heute auch noch Autoren haben, die so viel von sich selbst aufgeben, um eben diese Geschichte zu erzählen. Der Film ist trotz seiner schonungslosen Darstellung ein liebevolles Autorenporträt mit ausgezeichneten Darstellern. Er entwickelt mit der Zeit eine immer größer werdende Anziehungskraft, und er lässt einen danach nicht sofort wieder in die eigene Welt zurück. Man hinterfragt eigene Handlungen plötzlich auf ihre moralischen Konsequenzen oder überprüft persönliche Eigenheiten. Ich mag Filme, die mich nicht gleich mit dem Abspann wieder gehen lassen. Genau wie ich Bücher mag, die die gleiche Wirkung auf mich haben. In Cold Blood hatte sie. Capote hat sie auch.