Heimspiel: Altona 93 – SV Halstenbek-Rellingen

Als ich mit regelmäßigem Fußballgucken anfing, konnte ich mir nicht vorstellen, jemals meine gemütliche Couchposition gegen einen zugigen Stadionsitz einzutauschen. Denn neben der Couch waren da ja auch noch Zeitlupen, ein (meist) wissender und unterhaltsamer Kommentar, das Klo, das man mit niemandem teilen muss und bereits bezahlte Getränke in Reichweite. Wieso sollte ich jemals ins Stadion gehen?

Ganz einfach: um die Helden mal live und aus der Nähe zu sehen. Das war jedenfalls der Grund, warum ich so dringend in die Allianz-Arena wollte und inzwischen auch dreimal war (plus einmal AWD-Arena). Womit ich allerdings nicht rechnen konnte: dass mir das verdammte Stadionerlebnis so gut gefällt, dass es mich inzwischen nervt, auf der Couch Fußball zu gucken.

Was so toll am Stadion ist? Dass ich nicht gezwungen bin, der Fernsehperspektive zu folgen. Inzwischen sind mir Zeitlupen relativ wurst – wenn der Schiedsrichter Abseits oder Foul pfeift, dann ist das eben so; das bringt mir im Spielverlauf eh nichts, wenn mir eine Zeitlupe sagt, nee, war doch kein Abseits, und für das Foul wäre ne Karte gerechtfertigt gewesen. Im Stadion habe ich zwar keine Close-ups von Schnucki (oder sogar Close-ups von Schnucki im angeschwitzten Shirt in Zeitlupe), aber dafür kann ich dem Mann meines Herzens, wenn ich will, 90 Minuten lang hinterhergucken anstatt dem Rest des Spiels. Was ich natürlich nicht tue, denn der Rest des Spiels macht viel mehr Spaß. Ich finde es inzwischen viel interessanter zu sehen, was die Spieler tun, die den Ball gerade nicht haben. Ich schaue mir gerne an, wie die gesamte Mannschaft verschiebt, wie eng sie die Räume macht oder wie weit sie alles auseinanderzieht. Ich suche nach Spielformationen, gucke, ob zum Beispiel aus einem 4-2-3-1 ein 4-4-2 wird, achte darauf, wie tief die Abwehr steht oder wie alleine der Stürmer vorne ist. Kurz: Ich gucke auf so ziemlich alles, was man im Fernsehen nur selten, ansatzweise oder gar nicht zu sehen bekommt, weil das Fernsehen eben nur einen Ausschnitt zeigt. Deswegen fand ich alle Spiele, die ich bisher live gesehen habe, im Nachhinein in der Aufzeichnung fast langweilig, während ich mich im Stadion prächtig unterhalten habe.

Leider ist es nicht ganz so einfach, für die Allianz-Arena Karten zu bekommen, mal abgesehen davon, dass ich nicht dauernd Flüge nach München buchen möchte. Also muss ich in Hamburg Fußball gucken. Der HSV ist mir egal, für den FC St. Pauli sind Karten auch eher Mangelware, und ehrlich gesagt, ist mir Pauli noch egaler. Aber in der Hansestadt spielen ja noch andere Vereine – zum Beispiel Altona 93, die sich gerade in der Oberliga Hamburg befinden. Wenn ich also nicht in die Allianz-Arena komme, dann gehe ich halt auf die Adolf-Jäger-Kampfbahn. Ist auch deutlich günstiger.

Gestern war ich zum ersten Mal da – und ich glaube, es wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Klar ist das Niveau ein ganz anderes als in der 1. Bundesliga, aber das Spiel ist das gleiche, und es hat fast genau so viel Spaß gemacht, Altona 93 zuzuschauen wie den Bayern. In der ersten Halbzeit war es gefühlt ein Spiel auf ein Tor und zwar auf das des Gegners. Leider konnten die Torchancen nicht verwertet werden, und ein Elfmeter wurde vom gegnerischen Torwart gehalten. Kurz vor der Halbzeitpause gelang Halstenbek-Rellingen sogar der Führungstreffer, für mich völlig unverdient. In der zweiten Halbzeit wurde das Spiel ausgeglichener. Aus dem 3-4-3 von Altona 93 wurde ab und zu ein 3-5-2 und später bei nachlassenden Kräften ein verzauseltes Irgendwas; beim Gegner sah es nicht anders aus, wobei der immerhin vier Verteidiger nutzte. Das Spiel wurde deutlich hakeliger. Die Folge: drei rote Karten, so dass zum Schluss neun Altonaer gegen zehn Schleswig-Holsteiner spielten – und in der letzten Minute sogar noch den Ausgleich schafften („Altona-Dusel“). Einmal die Ärmchen zum Jubeln hochgerissen, nochmal ne Nase Bratwurst und Glühwein genommen und wieder ab nach Hause. Im Bus, nicht mit der S-Bahn und mit weitaus weniger Mitreisenden.

Was mir so viel Freude bereitet hat – neben dem offensichtlichen: Fußball gucken –, war das Drumherum. Statt 66.000 saßen und standen nur 500 Menschen um mich rum, Kinderwägen, Punks, Hunde und lautstarke Hobbytrainer, die natürlich alle besser wussten, wie man das Spiel gewinnt als die Spieler selbst. Die mussten sich ne Menge anhören genau wie der Schiedsrichter, aber das ist in den großen Arenen auch nicht anders. Dort kriegen die Akteure das aber wahrscheinlich nicht ganz so deutlich mit, was für das eigene Seelenheit vermutlich besser ist. Was ich dafür erstmals so deutlich mitgekriegt habe: das Geschrei der Spieler, wer jetzt bitte was machen soll. Das überraschend laute Geräusch des Balls, wenn er auf Füße, Köpfe oder Gegner trifft. Und natürlich die aggressive Körperlichkeit des Sports selbst, die ganz anders aussieht, wenn man ihr aus zehn Metern Distanz und auf Augenhöhe folgt anstatt aus 80 Metern im Rang einer Arena. Das war alles sehr, sehr toll, und ich ahne, dass ich neben meinem Bayern-Schal noch einen Altona-93-Schal brauche.

EINUNDNEUNZIG – ZWEIUNDNEUNZIG – DREIUNDNEUNZIG* – AL-TO-NA! Nächsten Sonntag um 14 Uhr wieder. Bis Bayern um 17.30 Uhr gegen Mainz spielt, bin ich locker wieder zuhause.

Edit 1: Es gibt Bewegtbilder vom Spiel.

Edit 2: Ups, peinlicherweise die 93 beim Grölen vergessen. Danke für den Hinweis, AFC-Fanforum.