Wie Boris Becker in dem seinem Wohnzimmer

Da ich meine Einträge immer etwas zeitversetzt poste, hier eine kleine Zeitkapsel: Es ist jetzt Samstag, 20. Mai, halb drei Uhr nachmittags, ich bin nassgeregnet, durchgeschwitzt, am Verdursten, meine Schultern und Füße und Unterarme tun weh, ich möchte jetzt sofort ein heißes Bad und eine Massage haben – und ich bin wahnsinnig gut gelaunt. Oder anders: Ich habe eben zum ersten Mal „richtig“ Golf gespielt.

Ich weiß nicht, wie andere Clubs ihre Anfängerkurse durchführen; bei uns (huch, ich identifiziere mich schon mit einem Golfclub – Zeit, sich über eine Mitgliedschaft Gedanken zu machen) wird man erstmal langsam angefixt. Ich persönlich habe jetzt insgesamt 16 Stunden mit einem Pro auf der Driving Range verbracht, im Übungsbunker, auf dem Übungsgrün und auf einem einzigen Übungsloch, an das man sich ungefähr 50 Meter ranspielen kann. Wir blöden platzreifelosen Anfänger dürfen nienienie auf den richtigen Platz; wir dürfen ihn nur sehnsuchtsvoll anhimmeln – wie er unschuldig daliegt, verheißungsvoll und leer, hinter dem Zaun der Driving Range oder an der Straße, die zum Clubhaus führt. In den letzten Wochen habe ich mehr und mehr die Spieler beneidet, die einfach parken, ihre Taschen schultern und zum Loch 1 marschieren, das direkt hinter dem Clubhaus anfängt. Ja, genau da, wo ich sie sehen kann, wenn ich auf dem Übungsgrün stehe und danebenputte.

Aber Freitag bin ich zum ersten Mal ein Fairway runtergelaufen. Da fand nämlich unser Etikettekurs statt. Beim Golf gibt es nicht nur diverse Regeln, an deren Formulierungen ich mir immer noch mein Hirn verbiege, sondern auch die so genannte Etikette. Das sind teilweise Nettigkeiten wie Spielergruppen, die schneller spielen als man selbst, durchzuwinken, oder Gute-Kinderstube-Regeln wie „Verlass den Platz so wie du ihn vorgefunden hast“, was bedeutet, dass man Pitchmarken auf dem Grün ausbessert oder den Bunker harkt, wenn man darin geschlagen hat. (Pitchmarken sind hässliche Dellen, die ein Ball hinterlässt, der aufs Grün geflogen kommt. Die bessert man mit einer Pitchgabel aus, indem man den Rasen auflockert, so dass die Graswurzeln wieder anwachsen können.)

Wir hatten beim Kurs zwei Golfspieler, die ein, zwei Löcher gespielt haben und dabei so richtig schön alles falsch gemacht haben was ging, und wir durften nach ihren Schlägen aufzählen, was wir alles an Fehlern entdeckt hatten. Das ganze war ziemlich amüsant, auch wenn es etwas demoralisierend war, einem Zwölfjährigen mit Handicap 22 zuzugucken, wie er einen Ball gefühlte 200 Meter weit den Platz runterprügelt.

Für dieses nette Laienschauspiel sind wir dementsprechend auf den Platz gegangen. Und ich habe mich auf den ersten Metern wie Bobbele in Wimbledon gefühlt. Nach den ganzen Probestunden unter Aufsicht und meinen diversen Übungseinheiten alleine war ich endlich, endlich, endlich auf dem Platz. Das Fairway war vor kurzem gemäht worden, so dass alles nach frischem Gras duftete. Es nieselte leicht, was mir persönlich lieber ist als knallende Sonne, und der Wind verwehte die meisten Unterhaltungen in der Gruppe, so dass es sich wie ein kleiner, zügiger Spaziergang mit Hintergrundgemurmel anfühlte. Und ich war komischerweise sehr ergriffen. Wahrscheinlich weil ich mich eben seit Wochen auf diesen Augenblick gefreut hatte.

Und einen Tag später durfte ich dann endlich nicht nur auf dem Gras gehen, sondern auch darauf spielen. Unsere letzte Stunde mit unserem Pro war da, und wir haben vier Löcher gespielt. Meist nicht vom Abschlag aus, denn natürlich brauchen wir Anfänger ungefähr achtzigmal so viele Schläge wie jemand, der schon etwas länger weiß, was er da tut. Um die Gruppen, die hinter uns kamen, nicht unnötig aufzuhalten, haben wir den Weg zur Fahne etwas verkürzt und mitten aus dem Fairway abgeschlagen. Dazu kamen zum ersten Mal die Tees zum Einsatz und ebenfalls zum ersten Mal unsere eigenen Bälle, den bisher hatten wir ja nur die knallgelben Rangebälle. Wieder was gelernt: Man braucht zum Golfen nicht nur die Schläger, sondern eben auch Bälle. Und Tees. Und eine Pitchgabel. Und einen Stift, um seinen Ball zu kennzeichnen, denn natürlich kann es vorkommen, dass mehrere Leute die gleiche Marke spielen. Und man braucht einen Ballmarker, um seinen Ball auf dem Grün zu markieren. Bei mir ist es ein Dime, ein amerikanisches 10-Cent-Stück. Aber wenn man das alles hat, kann es theoretisch losgehen.

Also los. Wir waren zwei Kerle und zwei Mädels in der Gruppe, und ich wusste bis heute nicht, wie gut oder schlecht die anderen spielen. Man steht zwar in den Stunden direkt nebeneinander auf der Range, aber man ist so auf sich selbst und seinen Schwung konzentriert, dass man wirklich nicht nach rechts oder links guckt. Was gut für den Hinterkopf ist, wenn man selbst einen Ball völlig vergurkt und hofft, dass es niemand gesehen hat. Wahrscheinlich hat es wirklich niemand gesehen, weil niemand drauf geachtet hat.

Aber jetzt auf dem Platz war das natürlich anders. Ich durfte als erstes ran – und auf einmal war ich widerlich nervös. Ich hatte mich vorher nicht großartig warmgemacht, keine Übungsbälle geschlagen, und plötzlich stand ich auf einem Golfplatz (AUF EINEM GOLFPLATZ, VERDAMMT) anstatt auf einer glatten Kunstrasenplatte mit einer 200 Meter breiten Range vor mir, vier Leute guckten mir erwartungsvoll zu, vor mir lag ein Ball mit einem krakeligen „A“ und dreißig Logos auf einem Tee, eine 50 Meter schmale Bahn mit links der Elbe und rechts einem Wäldchen schüchterte mich ein, ich hatte das Eisen 7 in der Hand, und ungefähr 150 Meter vor mir flatterte eine kleine weißrote Fahne im Wind. Zwei Sekunden lang hatte ich das Gefühl, noch nie dieses komische Ding da in meiner Hand benutzt zu haben, aber dann hat sich mein Körper daran erinnert, was er sonst so macht, wenn ich dieses Ding in der Hand habe. Ich habe also meinen Griff angesetzt, den Schläger nochmal senkrecht hochgenommen (hab ich mir irgendwie angewöhnt, diese Bewegung), dann den Schläger weit genug vom Ball weggesetzt und dabei ausgeatmet. Den Rückschwung gemacht, locker nach vorne zum Probeschlag durchgeschwungen, Gesicht zur Fahne. Atmen. Jetzt den Schläger an den Ball. Augen auf den Ball. Nicht lange nachdenken, ruhig zurückschwingen, Arm gerade lassen, den Impuls aus der Hüfte geben, die Arme folgen ganz einfach, ohne Kraft nach vorne schwingen – und plötzlich hörte ich das gewohnte „Klack“, wenn das Eisen den Ball richtig trifft und sah dem Ball zu, wie er in einem wunderschönen Bogen geradeaus in Richtung Fahne flog.

„Great shot, Anke!“ (Habe ich erwähnt, dass mein Lehrer Amerikaner ist? War ja zu erwarten bei Frau Gröner.) Ich muss ziemlich dummselig geguckt haben, als ich zu meiner Tasche zurückging. Dieser Schlag hatte sich so großartig angefühlt, dass ich noch minutenlang gegrinst habe. Und wie gut er war, habe ich gesehen, als die anderen geschlagen bzw. es versucht haben. Ein Kerl und ich haben relativ ordentlich gespielt, während die anderen beiden jeden dritten Ball nicht mehr wiedergefunden haben bzw. irgendwann einfach abgeschenkt haben, weil es zu lange gedauert hätte. Wir haben ein Par-4-Loch ganz gespielt, also vom Abschlag bis zum Einlochen, und ich komme immer noch nicht darüber weg, dass ich dafür nur 5 Schläge gebraucht habe. Okay, ein Loch vorher habe ich ungefähr 17 Schläge gebraucht und einen Ball aus dem Bunker direkt wieder in den Bunker gewürgt, aber egal. Ich fand mich für das erste Mal ziemlich klasse und bin jetzt etwas beruhigter, was die praktische Prüfung angeht. Vielleicht habe ich bis dahin auch die Stableford-Zählweise verstanden, nach der unser Platzreife-Turnier ausgetragen wird. Drückt mir die Daumen. Nächsten Samstag bin ich entweder verdammt gut gelaunt – oder richtig pissig.

(Dieser Eintrag steht auch auf Golfers Delight)