Warum Kiefer Sutherland schuld daran ist, dass ich beim Kaffeetrinken immer rauchen will
Filme beeinflussen uns. Nicht nur, dass wir uns wünschen, unser Partner würde ein bisschen mehr wie George Clooney oder Cameron Diaz aussehen, nicht nur, dass wir gerne die ganzen traumhaften Appartements bewohnen wollen würden, die wir in Filmen sehen und die stets freien Blick auf den Eiffelturm oder wahlweise andere Sehenswürdigkeiten haben, nein: Filme beeinflussen uns in Kleinigkeiten. Manchmal ziemlich blöden Kleinigkeiten.
Als Out of Africa (Jenseits von Afrika) ins Kino kam, waren eine Saison später die Laufstege von Paris und Mailand voll mit Klamotten, mit denen man prima auf Fotosafari gehen konnte – oder wenigstens so aussah, als wäre man gestern noch in Kenia gewesen, selbst wenn man Tippse in Bochum war. Als Terminator 2 die Leinwände beglückte, wollten plötzlich alle Frauen auch so kraftvolle, definierte Oberarme wie Linda Hamilton haben, die Blechfresse Robert Patrick vermöbelte und Arnie einschmolz. Und als Clark Gable in It Happened One Night (Es geschah in einer Nacht) als erster Mann auf der Leinwand unter seinem Hemd kein Unterhemd mehr trug, wollte halb Amerika plötzlich auch keins mehr haben. Die L.A.Times schrieb damals: “It almost wrecked an industry.”
Natürlich kann sich jetzt jeder hinstellen und behaupten, dass ihn Filme (oder Bands oder Bücher oder was auch immer) nicht die Bohne beeinflussen. Ich kann das leider nicht. Dafür gucke ich viel zu viele Filme, und dafür liebe ich sie zu sehr. Ich liebe das Gefühl, im Kino zu sitzen und zu vergessen, dass ich im Kino sitze. Wenn mich ein Film richtig erwischt, bin ich bei den Schauspielern auf der Leinwand, und dann möchte ich sie auch nach dem Abspann nicht sofort wieder gehen lassen. Weswegen ich mich nach manchen Filmen ziemlich albern aufführe.
Nach Thelma & Louise habe ich eine ganze Packung Zigaretten lerrgeraucht, weil die beiden Mädels den kompletten Film lang quarzen als gäbe es kein Morgen mehr (die beiden wussten wohl schon früh, wie der Film ausging). Nach Four Weddings and a Funeral (Vier Hochzeiten und ein Todesfall) wollte ich mir die Haare wie Kristin Scott Thomas schneiden lassen. Und nach The Fast and the Furious musste ich mich sehr zusammenreißen, nicht mit 200 km/h durch die Stadt zu rasen. Aber am schlimmsten hat mich Flatliners erwischt, ein Film von 1990, der es eigentlich nicht verdient hat, dass man ihn sich mehr als einmal ansieht. Die Story von fünf eifrigen Medizinstudenten, die sich selbst ins Jenseits defibrillieren, um zu gucken, wie der Tod wohl so ist, ist nicht unbedingt ein Meilenstein der Kinogeschichte, und ich glaube, der Film war nur deshalb ein mäßiger Erfolg, weil Julia Roberts mitgespielt hat (bis heute eine der vielen Filmfrauen, die im BH wiederbelebt wurden). Ich war damals hoffnungslos in Kiefer Sutherland verknallt und gestehe hiermit öffentlich, gnadenlose 30 Mal Eintritt bezahlt zu haben, um den meiner Meinung nach aufregendsten Mann Hollywoods in seinem weißen, gestärkten Hemd zu beobachten. Wie er sich mit seinen sanften Medizinerhänden durch die blonden Haare fuhr. Wie er Kevin Bacon vollnölte. Wie er sich von einem Halbwüchsigen mit einem Eishockeyschläger verprügeln ließ und sich anschließend vor dem Spiegel mit nacktem Oberkörper selbst die Wunde nähte.
Es gibt eine Szene, die Flatliners für mich so besonders macht. In dieser Szene sitzen die Studenten nachts in einem Diner. Dabei hält Herr Sutherland eine Zigarette zwischen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand, und mit den restlichen Fingern balanciert er in derselben Hand eine Kaffeetasse. Er nimmt einen Schluck Kaffee und hält weiterhin die Zigarette fest, der Rauch kräuselt sich malerisch um ihn herum, und ich war damals der Meinung, diese Art Kaffee zu trinken und zu rauchen, wäre der Ausbund an Coolness. Was dazu führte, dass ich nach jeder Kinovorstellung bei McDonald’s saß, bedeutungsvoll in die Nacht starrte, Kaffee trank, rauchte und dabei peinlich genau darauf achtete, den Plastikbecher und die Zigarette so zu halten wie Kiefermaus.
Und das tue ich komischerweise bis heute. Wann immer ich mit Kollegen oder Freunden zusammensitze, habe ich Zigarette und Tasse in der rechten Hand und trinke, ohne die Zigarette abzulegen. Dann erinnere ich mich jedesmal an das irrationale Gefühl, einen Film so sehr zu lieben, dass man ihn sich dutzende Male anguckt, selbst wenn man intellektuell ahnt, dass es Blödsinn ist. Aber dem Herz ist der Kopf meist egal. Mich hat es 30 Mal glücklich gemacht, Kiefer Sutherland beim Rauchen zuzugucken. Und es hat mich danach noch unzählige Male glücklich gemacht, mich daran zu erinnern, dass mich ein Film 30 Mal glücklich gemacht hat.
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(Dieser Text stand schon mal im Encore-Magazin, aber ich möchte ihn in mein Archiv retten, daher gibt’s hier heute ein bisschen was Aufgewärmtes. Nehmt euch ruhig nach.)