„Sie erinnert sich an die merkwürdige Antwort, die Katharina ihr gab, als sie gefragt wurde, welche Erklärung sie dafür habe, dass ihr so viel auffalle. ‘Mir fällt so viel auf, weil ich den Tod bereits in mir habe’, hat sie gesagt. ‘Ich gehe dem Tod entgegen, weißt Du’, hat sie weiter gesagt, ‘auch wenn ich vielleicht das Glück habe, noch ein, zwei Jahrzehnte zu leben. Ich sterbe allmählich, ich sterbe von Tag zu Tag ein wenig mehr. Und je mehr ich sterbe, umso mehr liebe ich die kleinen Dinge am Wegrand. Ich übersehe keines von ihnen, ich nehme ununterbrochen Abschied: aufmerksam, getröstet, mit all diesen lebendigen Dingen so eng verbunden wie in meinem früheren Leben noch nie. Das ist das merkwürdige am Alter: dass einem die Welt immer näherkommt, dass sie alles tut, einen zu umschließen und heimzuholen.’“

Hanns-Josef Ortheil, Liebesnähe