Küchenwerkstatt

Frau Kaltmamsell weilte in Hamburg und wollte mit mir essen gehen, was ein triftiger Grund war, mich endlich mal in die Küchenwerkstatt zu trauen, um die ich bis jetzt immer nur alleine und hungrig rumgeschlichen war. Bei einem Essen dieser Güte finde ich es immer schön, jemanden dabei zu haben. Man fällt dann nicht so aus dem Rahmen, wenn man stundenlang vor sich hinseufzt, weil alles so großartig aussieht, duftet und schmeckt oder versonnen die Nase ins Weinglas steckt, weil der Inhalt so glücklich macht.

Wir gönnten uns das Acht-Gang-Menü mit Weinbegleitung, davor noch einen Martini, danach noch Kaffee und Schnaps und eine handgefertigte Praline, und wir haben dafür beide mit ordentlich Trinkgeld knapp 200 Euro bezahlt. Wie immer in solchen Läden: völlig zu Recht.

Ich war wieder notizfaul, deswegen sind die Beschreibungen leider etwas unfundiert und nicht ganz so exakt wie ich sie gerne hätte. Ich könnte auch unter alle Bilder „LECKERGEILWUNDERSCHÖN!” schreiben, aber ich gebe mir mal etwas mehr Mühe. Außerdem fehlen die genauen Weinbezeichnungen; ich habe die Liste leider noch nicht zugemailt bekommen, aber ich bin natürlich viel zu ungeduldig, um darauf zu warten. Die editiere ich dann irgendwann rein und mache euch lautstark auf Twitter darauf aufmerksam.

Soweit ich mich erinnere, war das mittlere Bröckchen Schweineohr mit Schnittlauchblüten; es war jedenfalls mein Liebling des Küchengrußes, weil es so herrlich knusprigsalzigwürzigfrisch war. Auf dem zartflauschigen „Brötchen“ lag etwas Fischiges, der „Keks“ rechts war salziger Mürbeteig (auch großartig). Im Gläschen gab es fermentiertes Gemüse, wobei ich da mit etwas mehr Ooomph gerechnet hatte; ich dachte, eine Fermentierung sorgt dafür, dass alles intensiver schmeckt, aber hier waren Radieschen, Gurke und Rübe eher gedimmt. Wobei das vielleicht die Intention war: alles ein bisschen verzärteln. Im Hörnchen war Blutwursteis – oder etwas, das so geschmeckt hat. Schöne Kombi aus kühlem, sehr würzigem Schmelz mit dem leichten, knusprigen Hörnchen.

Laut Website Tunfisch-Sashimi, Artischocke, Ziegenjoghurt. Wobei die Artischocke sowohl als Creme vorhanden war als auch frittiert (und ich glaube, der Schaum war auch artischockig). Unter ihm verbargen sich noch ein paar Kaviarperlen. Alles zusammen war ein sehr schöner, leichter Reinkommer. Auch noch etwas vorsichtig in der Gesamtkomposition, aber deswegen genau richtig.

Der erste Wein war ein Sauvignon Blanc, den ich immer gerne als Einsteigerwein verschmähe, aber der hier war toll. In der Nase das übliche „NajaeinSauvignon“, aber im Mund dann winzige schwarze Johannisbeeren mit ein bisschen Grün dran, das der kalte Morgentau zackig gefressen hat. Ne Kiste zum Mitnehmen, junger Mann? Danke.

Frühlingspilze gebraten, geschmort, roh mariniert. Dazu in der Vertiefung Pilz-Pannacotta und Pilz-Tee. Leider wählte ich eine doofe Bildperspektive – von vorne sah der Teller aus wie ein mittelalterliches Schlachtengemälde. Tausend Details, an denen man sich erstmal satt sehen kann, bevor man sich satt isst.

Vor dem Gang hatte ich ein bisschen Respekt, denn Pilze stehen nicht ganz so oft auf meinem Speiseplan. Ich muss mich immer wieder mit ihrer Konsistenz anfreunden – aber netterweise war das bei diesem Teller nicht oder kaum nötig. Denn neben der für mich sehr beeindruckenden Optik kamen hier ebenso beeindruckende Texturen und Temperaturen zusammen. Da war ein Bissen sauer und kühl, ein anderer knusprig und warm, dann wurde es scharf, dann sehr mild, dann bröselte Krokant, dann floss Pannacotta. Das einzige, was mir am ganzen Abend nicht gefallen hat, war allerdings auch auf diesem Teller: der Pilz-Tee. Den fand ich zu gewöhnungsbedürftig, um mehr als ein, zwei Probeschlucke aufzulöffeln.

Garnele, weiteres Meeresgetier, Gurkensorbet und eine Sellerievinaigrette, die sich hier hinter dem Sorbet versteckt. Auch hier kostete ich eher zögerlich, denn genau wie bei Pilzen finde ich einige der Konsistenzen von Meeresbewohnern gewöhnungsbedürftig. Im Nachhinein bin ich aber mal wieder dankbar dafür, dass mich solche Menüs dazu zwingen, etwas zu essen, das ich sonst nicht bestellt hätte. Die Meeresschnecke war dann auch das einzige, auf dem ich etwas misstrauisch rumgekaut habe; die rohen Fischstücke dagegen waren alle großartig, genau wie das Grünzeug, dessen Namen ich mir leider nicht gemerkt habe. Die Alge oder was auch immer das war, bestand gefühlt aus lauter kleinen kühlen Perlen, und genauso hat sich das im Mund auch angefühlt. Aber so richtig toll waren die grünen „Krönchen“, von denen ich gerne eine Salatschüssel voll gegessen hätte. Bei diesem Gang verglichen die Kaltmamsell und ich mal eben unsere Eismaschinen und bastelten im Kopf schon Gurkensorbetrezepte. Ach, und das weiße Knusperzeug war genau das: weißes, leicht meeriges Knusperzeug. Nehme ich auch gerne noch ne Tüte von.

Und von dem Wein auch: ein Riesling Spätlese. Der kam völlig ohne jede Mineralität daher, die ich für Riesling als so charakteristisch empfinde. Er fing schon mit einer kleinen Walderdbeere in der Nase an, hatte die Säure irgendwo beim Erdbeerpflücken fallengelassen, und je länger er im Glas war, desto mehr war da Party. Irgendwann waren wir bei Erdbeerbowle auf einer Terrasse mit Verdi auf 120 Dezibel, und ich wollte jeden Schluck heiraten.

Gierig verwackelt: dreimal Kabeljau, Fenchelsaft, Senfblätter. Neben dem offensichtlichen Stück Kabeljau gab es Kabeljauperlen und – großartig – Kabeljau-Brandade. Gleichzeitig fein und mit Wumms, weichmildes Püree mit festen Stückchen, wobei sich die warme Brandade herrlich mit dem kühlen Fenchelschaum und den Senfblättern vertrug. Irgendwo verbargen sich hier ein paar Pfefferkörner, die dem Riesling ein bisschen, haha, Pfeffer unter dem Arsch gemacht haben, wo er sonst entspannt-waldspaziergangig vor sich hinfloss.

Der Magenaufräumer: Kürbisgewächse, Shiso, Tonic-Sorbet, Yuzu. Oder anders: Melone und Paprika, eiskalt und gut. Vor allem das Tonic-Sorbet hat sehr viel Spaß gemacht, wobei ich seit dem Restaurantbesuch begeistert den Kopf darüber schüttele, dass Paprika und Melone zusammenpassen. Die Zucchini-Kügelchen sahen immerhin hübsch aus, haben für mich sonst aber keinen Zweck erfüllt. Nörgeln auf sehr hohem Niveau.

Der erste und einzige Rotwein des Abends wurde geöffnet, ich hörte nur „Tempranillo“ und quengelte innerlich ein bisschen, weil ich den meist entweder belanglos oder anstrengend finde. Der hier roch zumindest erstmal anstrengend, nämlich nach Pferdeschweiß. Im Mund hatte man dann aber wieder den ganzen roten Obstkorb und kein Pferd mehr, aber ich werde mit dieser Traube einfach nicht so recht warm.

Zum Essen war er aber natürlich trotzdem perfekt. Es gab Reh aus der Göhrde mit jungen Rüben. Ich muss zugeben, wenn ich nicht gewusst hätte, dass es Reh ist, hätte ich es nicht erkannt. So oft esse ich Bambi nicht, aber ich verbinde es von diversen Familienessen mit Weihnachten, Rotkohl und viel Sauce und einem leicht-herben Wildgeschmack. Hier hätte ich blind auf Lamm getippt, das vielleicht mal ein Rind in der Verwandschaft hatte: wundervoll. Und sehr zart, wozu die deutlich erdigen Rüben einen schönen Kontrast bildeten. In einem Extratöpfchen wurde uns noch Heubutter serviert (das Heu war noch im Topf, wie ich beim wilden Löffeln feststellte), die viel zarter war als ich sie erwartete. Sie war die letzte Begleitung für die drei, vier Brotsorten, mit denen wir auch sehr viel Vergnügen hatten und ich jeden Teller leergeputzt habe.

Bei den salzigen Gängen waren die Pilze mein Favorit, bei den beiden süßen der hier: Kokosnuss, Erdbeere, Banane, Basilikum. Genauer gesagt war die Kokosnuss gefühlt schockgefroren, pulverisiert und wieder zu einem Baiser zusammengebaut, weswegen sie luftig vor sich hinbröselte. Bananencreme, Erdbeersalat und das Basilikum als frische Spitze dazu – ein Traum. Die Weinbegleitung war ebenso traumhaft: ein Süßwein, der fruchtigfrisch duftete, aber im Mund alles liebevoll auszuckerte und mit einer Blätterteig-Pfirsichtorte runterspülte.

Der Rausschmeißer: Süßholzwurzel, Blüte und Schokolade. Die charmante Ansage zum Teller: „Die Steine bitte nicht mitessen.“ Für den Hinweis war ich sehr dankbar, denn ich hätte sie gnadenlos angeknabbert. Mit Schokolade kann man bei mir ja nie was falsch machen, daher habe ich die Rolle und die Mousse, auf der erstere ruhte, dann auch genüsslich verspeist. Die Blüte war niedlich, die Erdbeercreme fruchtig, die Süßholzcreme eher nicht so. War noch nicht lakritzig genug, um mich zu verschrecken, aber diese Geschmacksrichtung ist noch weniger meins als Schleimpilze und Glibberfische (die wir heute beide nicht hatten).

Mein Getränk dazu war ein herrlicher Sherry, dem ein heißzuckriger Espresso folgte und ein klarer, milder Nussbrand. Plus eine Jasminpraline, während Frau Kaltmamsell sich als Rausschmeißer … äh … irgendwas anderes aus der liebevoll präsentierten Patisserie-Box gönnte.

Wie immer nach solchen Abenden bin ich schlicht glücklich, glücklich, glücklich, weil ich etwas derartig Schönes essen durfte – nachdem ich die Schönheit mit Gabel und Messer zerstört hatte, sorry. Sehr, sehr gerne wieder. Solltet ihr euch auch dringend gönnen.

Küchenwerkstatt
Hans-Henny-Jahnn-Weg 1 (Eingang Hofweg)
22085 Hamburg

Geöffnet von Dienstag bis Samstag von 19 bis 24 Uhr, Küchenannahme bis 21 Uhr.
Mittwoch bis Freitag auch 12 bis 15 Uhr, Küchenannahme bis 14 Uhr.

Reservierungen unter 040 – 22 92 75 88, per Mail unter mail@kuechenwerkstatt-hamburg.de oder direkt über die Website.