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„Im Abendlicht am Horizont Kirchen, aus klobigen Steinen breit gegen alle Stürme gebaut, umgeben von großen Friedhöfen mit verwitterten Grabsteinen, die wie eine tausend Jahre alte steinerne Armee aufrecht um die Kirche standen. Schwarze Steinreihen, als wären sie aus dem Meer gestiegen, um die Kirche gegen die Walfischknochen und Harpunen zu beschützen. Walfängerfriedhöfe, sagte der Major a.D. in aller Gemütlichkeit, als habe er sich da schon seinen Platz ausgesucht und sei sehr zufrieden damit. Ein Friedhof nach dem anderen zog vorbei, ungeschmückt, eingehüllt in Totenstille, auf den Steinen Beschriftungen in einer vergangenen unverständlichen Sprache, wie er später feststellen sollte. Der Major a.D. ließ das Lenkrad los und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
Hier ruhen die Gebeine
eines wohlachtbaren Kapitäns
der sein Leben viel gewagt
vom 14. Jahre an mit Gott
der wilden See sich anvertraut
sein Schiff geführt als Grönlandfahrer
den Leviathan zu fangen
wagte er endlich hoffnungsvoll
über das schwarze Meer des Todes zu segeln
um zu ankern im himmlischen Jerusalem.
Nach einer eindrücklichen Pause nahm der Major a.D. wieder das Lenkrad: Die haben ihre Grabsteine schon vor der Ausfahrt bestellt. Eine vorbildliche Lebenseinstellung. Schon im Anfang das Ende bedenken. (…)
In der Dämmerung näherten sie sich der kaum sichtbaren Grenze zwischen Land und Meer. Die dunklen Wasser der Verdammnis, sagte der Major a.D., das Totenwasser, wie es hier heißt. Früher gingen hier alle jeden Morgen ans Ufer, um zu sehen, was das Meer angeschwemmt hatte, Reste von Schiffen und Schiffsladungen, und die Toten, jeden Tag brachte das Meer die Toten, das ist eine Toteninsel, in die Erde versinkende Gräber, von den Menschen verlassen, Vergessen und Einsamkeit und vergangene Zeit.“
Dieter Forte, Auf der anderen Seite der Welt