Der Rest von Hamburg – Hoheluft
(An diesem Eintrag ist Herr Buddenbohm Schuld. Eins, zwei.)
Als ich 1999 von Hannover nach Hamburg zog, um Werbetextpraktikantin zu werden, war es mir egal, wo ich wohnte. Vor Twitter und in der Wild-West-Phase des Internets hatte ich immerhin herausgefunden, dass man westlich der Alster und nördlich der Elbe wohnen sollte, um zu den cool people zu gehören, und das wollen wir Werber ja alle. Also schaute ich im Hamburger Abendblatt nach Wohnungen, guckte mir eine an, sagte dem Vermieter, dass ich sie gerne haben wollte, mein Väterchen bürgte für mich, und schon hatte ich die Wohnung. Die lag in Altona-Nord, ganz in der Nähe des Bahnhofs, und sie war großartig, wenn man vom Nachbarn absah, der gerne morgens um 4 anfing, die Begleitstimme zu seinen Bluesplatten zu geben. Oder das, was er für die Begleistimme hielt. Anfangs trat ich gegen die Wand, dann entdeckte ich Ohropax und lebte weiter in Altona vor mich hin.
Bis ich eines Tages im firmeneigenen Intranet eine Wohnung ins Eimsbüttel entdeckte. Sie war einen Hauch größer, und weil ich inzwischen keine Praktikantin mehr war, sondern ausgewachsene Texterin, konnte ich dieses Mal auch selber die Miete zahlen. Ich sagte der Vermieterin, dass ich die Wohnung gerne hätte, und schon hatte ich sie. Eimsbüttel also, immer noch westlich der Alster und nördlich der Elbe. Ein bisschen schicker als Altona-Nord und vor allem: mit scheinbar stummen Nachbarn. Ich habe nicht mal auf dem Land in der Nähe von Hannover so ruhig gewohnt wie in dieser Wohnung, obwohl die Osterstraße quasi vor meiner Haustür lag.
Kurz vor dem Umzug lernte ich den Kerl kennen. Der lebte verwegen in Hoheluft-West, knapp zwei Kilometer nördlich von mir. Der Kerl war und ist überzeugter Fußgänger und streift gerne durch alle Stadtviertel, die ihm unterkommen. Dabei nutzt er seltsame Seitenstraßen, die ich nicht mal auf dem Stadtplan finde, aber er kommt immer wieder nach Hause. Ich selber ging brav die große Gärtnerstraße entlang, die mit dreimal Abbiegen direkt von mir zu ihm führte. Dabei musste ich die Hoheluftchaussee überqueren, die bis heute mit einem seltsamen Fluch belegt ist.
Die nördliche Straßenseite floriert und ist voller gut gehender Geschäfte; Buchläden, Bäcker, Floristen, Apotheken, ein Supermarkt, ein Bioladen, ein Geschäft für Schokolade, ein vietnamesisches Restaurant. Wenn man ein paar Meter weiter nördlich von der Hoheluftchaussee weggeht, entdeckt man den Straßenbahnring, wo sich ein hochpreisiges Möbelgeschäft, ein wundervoller Buchladen, eine Werbeagentur und ein Küchentempel abwechseln.
Auf der südlichen Straßenseite dagegen: Untergangsstimmung. Die Läden wechseln im Jahrestakt die Besitzer, und die, die noch da sind, sind Imbisse oder Billoshops. Alles andere tauscht sich ständig aus oder steht ewig leer. Dieses Phänomen beobachtete auch der Kerl vor Jahren schon und schrieb im November 2003 einen Blogeintrag darüber. Dieser Blogeintrag war der erste, bei dem ich dachte, dem Mann würdest du gerne mal die Zunge in den Hals stecken einen Döner an der Hoheluftchaussee ausgeben.
Seit Januar 2004 bezeichnen wir uns als Pärchen, und im Oktober 2006 zogen wir zusammen. Ich guckte mir drei Wohnungen an, aus denen ich bereits nach zwei Sekunden wieder rausgehen wollte, und betrat dann die vierte. Direkt an der Gärtnerstraße, die ich schon hunderte Male zum Kerl spaziert war. Ich sagte dem Vermieter, dass wir die Wohnung gerne hätten, und schon hatten wir sie. Der Kerl zog knapp einen Kilometer nach Süden und ich knapp einen Kilometer nach Norden – nach Hoheluft-West, dem Stadtteil der schwärmerischen Liebe. Und der mit der seltsamsten Straße Hamburgs.