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„Die Subjektivität ist in der Malerei nicht nur dadurch zur Geltung gekommen, dass sie in der privaten Sphäre rezipiert wurde. Seit dem 19. Jahrhundert ist die Subjektivität auch ein Kriterium für die Herstellung von Malerei: Der Künstler objektiviert sich selbst in Malerei; sie wird zu einem Spiegel persönlicher Befindlichkeit und Empfindungskraft. Das Kunstwerk als Ausdrucksträger der seelischen Konstitution eines Genies entzieht sich allen Vorgaben durch bestellende kirchliche, politische oder mäzanatische Instanzen. Die Kunst geht gleichsam in Opposition zu den gegebenen gesellschaftlichen Normen. Der Künstler wird ein Sonderwesen, das auf Wahrhaftigkeit und Authentizität verpflichtet ist. Diese Autonomie des künstlerischen Schaffens hat Probleme erzeugt, die den Künstler in die Isolation getrieben haben. Doch die Avantgarden der Moderne haben diese neue Position des Künstlers nicht nur akzeptiert, sondern auch produktiv gehalten, indem sie gesellschaftliche Konventionen und gewohnte Wahrnehmungsformen immer wieder in Frage stellten und durch radikale Subjektivität eine Strategie der permanenten Zumutungen und Provokationen verfolgt haben. Nachdem die Öffentlichkeit von neuen Massenmedien versorgt wird, welche die alten Informations-und Indoktrinationsaufgaben der Malerei und der Grafik übernommen haben, können die bildenden Künste die Defizite und Abgründe, welche die Zivilisation dem Subjekt hinterlässt, artikulieren und durch freie ästhetische Gegenbilder zur gegebenen Ordnung zu deren Weiterentwicklung beitragen.“

Warnke, Martin: Gegenstandsbereiche der Kunstgeschichte, in: Belting, Hans u.a. (Hrsg.): Kunstgeschichte: Eine Einführung, Berlin 1985, 7. überarbeitete Auflage 2008, S. 39/40.