Filmfest München 2013 (3)
Nach zwei durchgeguckten Tagen am Wochenende hatte ich Montag den Durchhänger der Saison, an dem ich einen Flashback in meine zwanziger Jahre erlebte, in denen ich tagelang nur traurig im Bett gelegen habe. So ein Montag war das, und er war scheiße. Vier bestimmt wunderbare Filme mussten ohne mich auskommen, dann war wieder Uni (die rettet mich momentan sehr), dann war abends der Kerl da (der rettet mich immer), und deswegen saß ich erst Mittwoch, Freitag und Samstag wieder im Kino.
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Touchy Feely, USA 2012
Drehbuch und Regie: Lynn Shelton; Hauptdarsteller_innen: Rosemarie Dewitt, Ellen Page, Josh Pais, Scoot McNairy, Allison Janney, Ron Livingston
Zitat von der ffmuc-Website: „Abby ist eine erfolgreiche Masseurin, die auf einmal eine Aversion gegen Körperkontakt entwickelt. Ihr Bruder Paul führt ein geordnetes und konventionelles Leben als Zahnarzt, bis ihm magische Hände nachgesagt werden.“ Klingt nach Schablonendrehbuch, war es aber netterweise nicht. Die Lösung für die Probleme der beiden hat mich sehr breit grinsend im Kino sitzen lassen. Und nebenbei darf man neben Rosemarie Dewitt, deren Serie United States of Tara ich immer noch hinterhertrauere, endlich mal wieder die wundervolle Allison Janney anhimmeln. Ein kleiner Film, sehr behutsam zu seinen Figuren, mit wunderschönen Aufnahmen von Händen und Haut. (Ich mag das gerade sehr.)
Bechdel-Test bestanden: Mit gutem Willen so gerade. Rosemarie redet wenige Sätze mit ihrer Nichte Ellen Page und mehrere mit ihrer Freundin Janney – die drehen sich allerdings sehr um Männer. Wenn man den Spieß umdreht und fragt, ob die Kerle miteinander reden, sieht es aber ähnlich aus: Der Film lebt so ziemlich von gemischtgeschlechtlichen Dialogen. Ist ja auch was.
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In the Dark Room, Deutschland 2012
Regie: Nadav Schirman; Darsteller_innen: Magdalena Kopp, Rosa Kopp, Jacques Vergès, Willi Dietl, Bassam Abu Sharif
Dokumentarfilm über Magdalena Kopp, die mit Terrorist „Carlos“ verheiratet war und mit ihm eine Tocher hat. Der Film lässt Kopp unkommentiert zu Wort kommen, die sich ständig zu fragen scheint, wie ihr ihr Leben zustoßen konnte. Nur in wenigen Momenten ist die Einsicht da, ja, da habe ich eine Entscheidung getroffen, die im Nachhinein eher dämlich war, ja, dafür trage ich die Verantwortung und niemand sonst. Ansonsten gefällt sich Kopp in der Rolle des Opfers von Charlos’ Charme bzw. seinem kriminellem Potenzial, es wird nie so recht klar, was sie nun genau an ihm fand, und nach dem Film unterstelle ich ihr schlicht die Faszination der Macht.
Auch ihr Umfeld kommt zu Wort, vor allem ihre Schwester, die kleinstädtisch-schwäbischer nicht sein könnte und sehr deutlich macht, aus welchem Leben Kopp vielleicht entkommen wollte. Das ist ihr gelungen. Und auch wenn die Schwester absolut kein Verständnis für Kopps Taten hat, so gesteht sie ihr immerhin zu, im Gefängnis Französisch gelernt zu haben. „War das doch zu was gut.“
Klingt alles eher seltsam als lohnend, aber dann gibt es noch Kopps und Carlos’ Tochter, die ebenfalls vor der Kamera auftaucht und sich nach fast 20 Jahren zum ersten Mal wieder mit ihrem Vater im Gefängnis trifft. Und der Dialog von Mutter und Tochter am Telefon bzw. der eine Satz, den Rosa Kopp im Hotelzimmer direkt nach dem Gespräch sagt, diese beiden Szenen alleine machen den Film dann doch sehenswert. Weil die Geschichte einer Person eben nicht nur ihre ist, sondern auch die derer, mit denen sie in Kontakt kommt.
Bechdel-Test bestanden: Mutter und Tochter telefonieren miteinander, ansonsten ist es größtenteils eine Doku, in der jemand zu einer Kamera spricht. Daher ist die Frage schwer zu beantworten.
Die Trost-Bechdel: zwei weibliche Hauptfiguren zu den eher untergeordneten männlichen Nebenfiguren.
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Stories We Tell, Kanada 2012
Regie: Sarah Polley
Großartige Dokumentation von Sarah Polley, die ihrer eigenen Familiengeschichte nachspürt und dabei unter anderem ihre Geschwister und ihren Vater zu Wort kommen lässt, die von ihrer Mutter erzählen. Die Pointe liegt in der Formulierung „ihr Vater“, denn genau darum geht es: Ist der Mann, der sie großgezogen hat, ihr biologischer Vater oder nicht? Aber eigentlich ist das nur der Auslöser für viele kleine Geschichten mit großen Themen: Verantwortung, Selbstverwirklichung, Treue, Liebe, Loyalität. Die Erzählungen der durchweg äußerst charmanten Geschwister werden mit nachgedrehten Szenen und Archivmaterial bebildert. Das ist auch das einzige, an dem ich ein bisschen was zu nörgeln habe: Manchmal hätte ich gerne die Menschen, die mit Polley reden, weiter beobachtet anstatt wieder wackeliges Super-8-Zeug zu sehen. Die Story reicht nämlich auch so, um mich zum Lachen und zum Weinen und zum Mitfühlen zu bringen. Dafür brauche ich nicht mal Bilder, da reichen schon die Worte. Große Empfehlung.
Bechdel-Test bestanden: Ja. Polley spricht mit ihren Schwestern, und die Hauptfigur des Ganzen ist ihre Mutter.
Die Trost-Bechdel: brauchen wir eigentlich nicht, aber ich sag’s gerne noch mal: Der Film wurde von einer Frau gedreht.
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Augustine, Frankreich 2012
Buch und Regie: Alice Winocour; Hauptdarsteller_innen: Soko, Vincent Lindon, Chiara Mastroianni, Olivier Rabourdin, Roxane Duran
Der Trailer sieht spannender aus als der Film wirklich ist, und auch die Zusammenfassung auf der ffmuc-Website beschönigt die edle Langeweile sehr. Keine Lust darüber zu schreiben. Ich wär rausgegangen, wenn ich nicht so fies in der Mitte gesessen hätte.
Bechdel-Test bestanden: Augustine spricht kurz mit ihrer Kusine, ansonsten sagt sie gefühlt drei Worte im Film. Mir egal. (Ich bin wirklich genervt von dem Ding.)
Die Trost-Bechdel: Buch und Regie von Alice Winocour.
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Love Steaks, Deutschland 2013
Regie: Jakob Lass; Hauptdarsteller_innen: Lana Cooper, Franz Rogowski
Der beste Film des Festivals. Davor galt meine Liebe Stories We Tell, und für den habe ich auch beim Publikumspreis abgestimmt (leider vergeblich), aber einen Tag später gab’s Love Steaks, und der hatte mich innerhalb von wenigen Minuten und ließ mich nicht mehr los. Der Text im Presseheft machte sehr neugierig: „Ein Masseur. Eine Köchin. Ein junges Paar auf’s Maul.“ Der Trailer erschien mir dann wie der übliche deutsche Problemfilm, der ein bisschen crazy sein will, aber der Film selbst ist eine Offenbarung – an großartigen Figuren, einer schlichten, aber stimmigen Geschichte und an talentierten Amateuren und Improvisation, denn der Film kommt fast nur mit den zwei Hauptdarsteller_innen als Schauspielern aus. Der Rest sind echte Angestellte des Wellnesshotels, in dem gedreht wurde. Die spielen sich alle selbst, und das klappt wunderbar. Ich dachte in den ersten Minuten schon, ach herrlich, kein blödes Schauspielschuldeutsch und ebensolche Dialoge – kein Wunder. Der Text auf der ffmuc-Website fasst den Film sowohl inhaltlich als auch stilistisch sehr gut zusammen, daher klaue ich mal eben:
„Zwei Schauspieler in einem dokumentarischen Setting eines Wellnesshotels. Blut, Schweiß, Tränen, Körpersäfte und viel Liebe aus dem Unterbauch der Dienstleistungsgesellschaft. Er Masseur, sie Köchin, er sensibel, sie tough, er Ayurveda, sie Alkohol. Sie brauchen starke Reize, um aufzuwachen. Und der Zuschauer ist hellwach.“
Wenn der ins Kino kommt, dann stürmt bitte die Kassen. Ich komme gerne noch mal mit.
Bechdel-Test bestanden: Nein, leider nicht. Die meisten Kollegen von Lara und Clemens sind männlich, es gibt nur wenige weibliche Angestellte bzw. Hotelgäste, und die reden meist mit Clemens und nicht mit Lara.
Die Trost-Bechdel: gibt’s leider auch nicht. An der Story haben drei Männer und immerhin eine Frau gefeilt, das zählt aber nicht. (Jakob Lass, Ines Schiller, Timon Schäppi und Nico Woche.)
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El Topo, Mexiko 1970
Regie: Alejandro Jodorowsky; Darsteller: Alejandro Jodorowsky, Brontis Jodorowsky, Robert John, Alfonso Arau
Totaler Quatsch, aber immerhin passiert dauernd was in diesem, laut Programmheft, „spirituellen Western“. Wenn „spirituell“ viel Kunstblut heißt, dann passt das. Ansonsten habe ich zwei Stunden lang WTF gedacht, aber mich immerhin nicht gelangweilt. Trotzdem kann ich überhaupt nicht sagen, worum es geht. Aber die Wikipedia kann’s.
Bechdel-Test bestanden: haha.
Die Trost-Bechdel: haha.
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Fazit: Genau wie im letzten Jahr sehr viele reizvolle Filme – wenn ich mehr Zeit gehabt hätte (oder mein Kopf mal die Fresse gehalten hätte), hätte ich mehr gesehen. Im nächsten Jahr werde ich darauf achten, eher in die Vorstellungen mit Q&A zu gehen, denn die waren immer toll, selbst wenn sie manchmal nur sehr kurz waren. Auch toll: Wenn der Regisseur oder die Regisseurin da ist und seinen bzw. ihren Film kurz selbst vorstellt. Das macht für mich die besondere Filmfest-Atmo aus, und die hätte ich gerne öfter gespürt. Nebenbei mag ich die Komplettplakatierung Münchens in der Festivalzeit – an dem Plakat kam man echt nirgends vorbei – und die roten Teppiche vor einigen Kinos. Einziger Kritikpunkt: Ich will das Cinemaxx am Isartor wiederhaben! Der Weg vom Rio in die Münchener Freiheit blieb mir immerhin erspart, aber auch sonst war das manchmal ein ziemliches Gehetze, um von einem Kino ins nächste zu kommen.
Kürzeres Fazit: gerne wieder. Und danke.