25th Hour

25th Hour (25 Stunden, 2002)

Darsteller: Edward Norton, Philip Seymour Hoffman, Barry Pepper, Rosario Dawson, Anna Paquin, Brian Cox
Drehbuch: David Benioff
Kamera: Rodrigo Prieto
Musik: Terence Blanchard
Regie: Spike Lee

Wenn man lange genug wach bleibt, verändert sich die Welt. Freunde werden zu Feinden, Versuchungen kann nicht mehr widerstanden werden, Selbstüberschätzung, Selbstunterschätzung, die bittere Wahrheit oder vielleicht auf einmal ein neues Leben.

Monty (Edward Norton) und seine Freunde Jacob (Philip Seymour Hoffman) und Francis (Barry Pepper) sind gerade sehr lange wach. Die Freunde feiern eine Abschiedsparty für Monty, der am nahenden Morgen als verurteilter Drogendealer für sieben Jahre ins Gefängnis muss. In seinen letzten 24 Stunden in Freiheit will Monty noch einiges erledigen, und wir begleiten ihn auf dem Weg in die Morgendämmerung, der 25. Stunde, in der sich seine Welt verändern wird.

25th Hour, der neue Film von Spike Lee, macht bereits im Vorspann klar, dass er mehr sein will als nur eine persönliche Aufzeichnung eines Verurteilten. Zu den opening credits sehen wir die Skyline von New York nach dem 11. September – ohne Twin Towers, aber mit der eindrucksvollen blauen Lichtinstallation, die dort leuchtete, wo das World Trade Center stand.

Der ganze Film ist durchzogen mit Bildern und Symbolen der Stadt nach dem Anschlag, bis hin zu einem kühlen Blick direkt auf Ground Zero, als Ausblick aus Francis’ Appartement, der partout nicht aus dieser Wohnung ausziehen will. Vielleicht ist gerade dieser Anblick ihm eine ständige Anfeuerung, ihm, dem Broker, dem Master of the Universe, der gegen alle Regeln pokert und immer gewinnt. Für ihn mag diese riesige Baugrube ein steter Ansporn sein, nicht aufzugeben. Genau wie die Stadt um die Baugrube herum nicht aufgibt. Er wird erst in der 25. Stunde einmal verlieren.

Auch Jacob, der sonst so korrekte, unauffällige Lehrer, erliegt der seltsamen Stimmung, die in New York nach den Attentaten herrscht: Jetzt erst recht. Alles ist möglich. Lieber heute als morgen. Wie sagte Francis richtig: “It’s all over after tonight.” Ein Satz, der für viele Situationen in 25th hour gilt.

Der Film dauert gerade einmal zwei Stunden, aber er kommt einem viel länger vor, weil er sich sehr viel Zeit nimmt, uns die Freunde vorzustellen. Bis wirklich mal etwas passiert, ist der Film schon halb vorbei, und genau da kippt er auch aus der eher betulichen Erzählweise. Der ganze Film ist sehr dialoglastig, aber in der zweiten Hälfte wird der Ton rauer, die Worte ehrlicher und damit auch schmerzhafter. Schließlich drängt die Zeit, bald ist die Nacht vorbei, und bis dahin muss Monty noch herausgefunden haben, wer ihn eigentlich an die Polizei verraten hat, Jacob muss sich seinen unpassenden Gefühlen stellen, und Francis muss lernen, dass er doch nicht ganz so unverwundbar ist, wie er immer denkt.

Nur zwei Figuren im Film wissen von Anfang bis Ende, wer sie sind und was richtig ist: Naturelle, Montys Freundin, und James, Montys Vater. Gerade der Vater überrascht zum Schluss noch mit einer Wendung, die, genau wie der Rest des Films, sinnbildlich für New York steht – er bietet seinem Sohn einen Ausweg, ein neues Leben: “This life came so close to not have lived.” In seiner Traumsequenz von Montys neuem Leben blitzt als Bild kurz die Wand in der Nähe des World Trade Centers auf, an der direkt nach dem Anschlag Fotos von Vermissten hingen. Auch ihr Leben hätte ein anderes sein können. Sicherlich fantasieren Angehörige bis heute, was aus ihren Verstorbenen hätte werden können. Und Bild und Wunsch verschmelzen zu einem sehr stimmigen und gleichzeitig hoffnungsvollen Abschiedgruß für die Opfer.

25th hour ist ein sehr leiser, manchmal etwas langatmiger Film geworden, der sehr unaufgeregt an einem vorbeizieht. Er fühlt sich sehr ehrlich an, sehr menschlich und sehr echt, denn er ist traurig, schön, verletzt, arrogant, laut, leise und hat eine Menge weiser Worte, aber auch eine Menge leerer Worthülsen parat. Die Menschen, um die der Film sich dreht, sind keine Übermenschen; sie sind nicht besser oder schlechter als wir alle, und sie neigen, genau wie wir, zu Fehleinschätzungen. Vielleicht fühlen wir uns ihnen deshalb so nahe, gerade weil sie so unaufregend und echt sind. Und weil sicher viele von uns eine eigene verdammte 25. Stunde erlebt haben, in der sich vieles ändert – zum Guten oder zum Schlechten. Aber aus beidem geht man erstarkt hervor. Jedenfalls ist das die Botschaft, die ich aus 25th hour mitgenommen habe. Leb dein Leben. Und wenn es dir nicht gefällt, träume dir kein anderes, sondern schaffe dir ein anderes. Am besten noch heute, denn wer weiß, ob es noch ein Morgen gibt.