Tagebuch Freitag, 20. November 2015 – Here we are again
Der Tag begann ziemlich gut, denn es regnete. F. fand das laut SMS eher doof.
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Dann saß ich im Iconic-Architecture-Seminar. Die Referentin hatte tollerweise am Abend vorher um 22 Uhr abgesagt, was den Dozent ziemlich angepisst hatte (zu Recht), denn er hatte die Mail erst morgens gesehen und bis zum Seminarbeginn um 10 Uhr natürlich auch keine Zeit mehr, eine ausführliche Präsentation zu Frank Gehrys Walt Disney Concert Hall in Los Angeles und dem sogenannten Bilbao-Effekt zusammenzuklöppeln.
(Einschub: Hatte ich schon mal verlinkt: Witold Rybczynski nennt den Bilbao-Effect eher the Bilbao anomaly. Und eben beim Rumgoogeln entdeckt: A history of cities in 50 buildings aus dem Guardian, unter anderem mit der Berliner Hufeisensiedlung.)
Daher wurde die Stunde etwas kürzer, aber ich lernte immerhin, dass Frank Gehry der erste Architekt war, der bei den Simpsons auftrat, und ich hörte erstmals den Begriff starchitect. Wir fragten uns dann, ob die Guggenheim-Museen auf der ganzen Welt einer corporate architecture folgten. Corporate Architecture folgt mehreren Prämissen, die der Dozent aus Jons Messedats gleichnamigen Buch zitierte. Ich hoffe, ich habe korrekt mitgeschrieben, denn ich kenne das Buch (noch) nicht.
Die erste Prämisse wären Symbole oder Zeichen, die immer wiederkehren. Als Beispiel nannte der Dozent das leider abgerissene Gebäude des Kaufhauses Schocken in Stuttgart, dessen großer Schriftzug über fast die gesamte Fassadenlänge ein wiedererkennbarer Blickfang war. Der Architekt war Erich Mendelsohn. Ich freute mich innerlich über das Wiedersehen mit dem Kaufhaus, denn mein bester Freund hatte vor 100 Jahren seine Magisterarbeit über den Konzern geschrieben und ich hatte die Arbeit erst vor kurzem wiedergelesen; außerdem hatte eine Kommilitonin, die ihre BA-Arbeit zur gleichen Zeit wie ich schrieb, sich mit Mendelsohns Bauten in Jerusalem beschäftigt und darüber in unserem Kolloquium berichtet. Ich schreibe das ja dauernd, wenn’s um die Uni geht, aber: Ich mag das, wenn die vielen Puzzlesteine im Kopf ab und zu so schön zusammenpassen.
Als weiteres Beispiel von Zeichen und Symbolen nannten wir die Zisterzienser, die sich bei ihren Kirchenbauten im Mittelalter bewusst gegen Türme entschieden und sie als Bauluxus bezeichnet hatten. Ihre Kirchen erkannte man an den hölzernen Dachstühlen. Über Kirchen als Corporate Architecture sprachen wir auch – im Sinne von: erkennt man sofort als Nicht-Moschee und umgekehrt –, aber das war dem Dozenten zu weit gefasst. Von außen wäre es zum Beispiel schwierig, zwischen katholischen und evangelischen Kirchen zu unterscheiden, was ja doch ein großer Teil einer Corporate Identity wäre.
Und ein drittes Zeichen sah ich auf einmal mit anderen Augen: das Logo der Firma Hoechst. Das kannte ich zwar, wusste aber nicht, dass es auf echter Architektur beruhte, nämlich dem Peter-Behrens-Bau. Hier kann man den Ursprung des Logos schön erkennen.
Guggenheim verzichtet auf Symbole wie einen einheitlichen Schriftzug: der klassische in New York sieht ganz anders aus als zum Beispiel der in Bilbao. Bei der zweiten Prämisse Messedats – die Nutzung eines Starchitects – konnten wir auch nur halbwegs zustimmen: Jedes der neuen Guggenheims wurde von namhaften Architekt*innen gebaut, auch wenn die Gebäude alle sehr unterschiedlich aussehen. Allerdings nutzt die Foundation auch bereits bestehende Gebäude, wie zum Beispiel in Venedig.
Die dritte Prämisse war mir persönlich zu wischiwaschi: die Nutzung verschiedener Architekt*innen, die einen hochwertigen Pluralismus der Gebäude ermöglichten. Nur weil alle Gebäude irgendwie fancy sind und zu einer Firma gehören, ist das für mich noch keine Corporate Architecture.
Als Abschluss sprachen wir noch über Gehrys Gebäude im Düsseldorfer Medienhafen, die ich persönlich ja eher so meh finde, die aber tun, was sie sollen. Außerdem lernte ich, dass einige der frühesten Hochhäuser Deutschlands in Düsseldorf gebaut wurden, unter anderem das Wilhelm-Marx-Haus von Wilhelm Kreis, der dann aber in der NS-Zeit lustig weiterbaute und deshalb nach 45 eher totgeschwiegen wurde.
(Beim Durchlesen seines Wikipedia-Eintrags blieb ich bei diesem Gebäude hängen und dachte, das hast du doch gerade im Internet gesehen. Ha!)
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Nach der Uni traf ich mich mit meinem Mitreferenten, der keine Probleme damit hat, einfach mein Referat zu halten, was mir sehr recht ist. Ich werde allerdings noch länger an seiner Formulierung „Ich mache Referate eher so aus dem Bauch raus“ zu knabbern haben.
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In der Stabi fand ich weitere Literatur zum Vogelnest und zu Kiefer, vor allem zum Ausgangspunkt seiner Malerei:
„The history of West German art provides a good illustration of this hastily constructed new identity, which shut out individual experiences and imaginations. Artists and institutions moved abruptly from the monumental and figurative art prevalent under the Nazis to the abstractionism imported by the occupying forces. During the immediate postwar period, artists therefore returned to the forms and styles that had formerly gained favour in the 1920s, or imitated lyrical French abstractionism, or copied the informal and minimalistic techniques of the Americans. This movement, which turned its back on everything that had hitherto gone to make up the fundamental character of „German Art“ – morbidity and desolation, from the engravings of Dürer through the paintings of Caspar David Friedrich right up to German expressionism – stripped art both of subjectivity and of history.“ (S. 24.)
„Like other German artists of his generation, Kiefer questioned his own artistic heritage, focusing on the iconographic and mythological elements of German culture which initially fed the national identity, were taken over by Nazism, and then suddenly, almost overnight, were buried in the deepest strata of the collective unconscious.“ (S. 29)
(Lauterwein, Andrea: Anselm Kiefer/Paul Celan. Myth, Mourning and Memory, London 2007.)
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Und dann radelte ich eindrucksatt und zufrieden nach Hause, um im Briefkasten einen nachgesendeten Brief aus Hamburg vorzufinden. Die olle Vattenfall hat zwar den Kontowechsel mitgekriegt, von dem auf einmal Geld an sie geht, aber nicht die Namensänderung des Vertragspartners der Hamburger Wohnung. Deswegen las ich im Brief an mich, dass eine schöne Zurückzahlung auf das Konto vom Kerl geht. Woraufhin ich den Brief einscannte, ihn an den Kerl mailte, anmerkte, dass ich mich sehr über einen Anteil dieser Rückzahlung freuen würde, denn bis August hatte ich noch „unsere“ Stromkosten getragen, obwohl ich 2015 nur ungefähr vier Wochen in Hamburg war. Ich habe noch keine Antwort bekommen, aber alleine, dass da wieder etwas ehemals Gemeinsames in meine kleine Münchner Blase eindrang, ruinierte mir den Rest des Abends.