Tagebuch Mittwoch, 9. Dezember 2015 – Schreibtisch, Trümmerfrauen, Nüchtern
Vormittags im Ost-West-Dialoge-Seminar zwei spannende Referate gehört. Zunächst ging es um Bernhard Heisig. Die Referentin stellte uns seine Serie an Pariser-Kommune-Bildern vor, die er teilweise selbst vernichtete, teilweise nach Kritik der Regierung (?) überarbeiten musste („zu statisch, zeigt nicht genug Kampfgeist“) und die schließlich in einem regimekonformen Ausdruck endeten, der dann – total überraschend – auch die banalste Ausführung war. Anhand dieser Version lernte ich den schönen Ausdruck der Isokephalie. Mir persönlich haben seine litografischen Arbeiten besser gefallen als die Gemälde; hier eine Abbildung aus Der faschistische Alptraum. (Ich sehe gerade: ein Bild, das ich gestern auch sehr mochte, ist sogar bezahlbar. Hm. Hm-hm-hmmmm.)
Wir diskutierten abschließend – ohne Ergebnis – die Frage, ob die Werke Heisigs besser in einem historischen oder in einem Kunstmuseum aufgehoben wären, also ob sie Kunst im Sinne von „eigenständig, frei etc.“ seien oder doch eher die Kunstauffassung der DDR bebilderten und damit historisch interessant seien. Ein Argument war, teilweise habe Heisig ja nur Auftragskunst abgeliefert, woraufhin natürlich das Gegenargument kam, das habe Michelangelo mit der Sixtinischen Kapelle auch gemacht. Überhaupt liegt über unserem Seminar immer die Frage, ob DDR-Kunst Kunst sei, also ob in einem unfreien System überhaupt Kunst entstehen könne, weil sie sich ja mit dem System gemein mache. Die Dozentin erzählte, sie habe dieses Seminar vor gut zehn Jahren schon mal in ähnlicher Form abgehalten und da waren alle der Meinung, nein, das sei keine Kunst und Heisig gehöre ins Historische Museum, während wir heute deutlich zwiespältiger schienen und in weiteren zehn Jahren würde man vermutlich (oder hoffentlich) nicht mal mehr darüber diskutieren. Wir sind ja schließlich auch (nach 70 Jahren) soweit zu sagen, dass einiges von der Kunst, die zwischen 1933 und 1945 entstanden ist, auch durchaus so genannt werden darf. Die DDR ist anscheinend noch zu frisch, um den gleichen Status zu erhalten.
Die Dozentin erzählte auch von einer Ausstellung in Weimar 1998, Aufstieg und Fall der Moderne, wo Nazikunst und DDR-Kunst in einem Atemzug präsentiert wurde, was zu großen Auseinandersetzungen geführt hatte. (Zu Recht.)
Das zweite Referat ging um das Frühwerk von Markus Lüpertz und seine „deutschen Motive“ wie Helme sinkend – dythrambisch. Das passte mir alles ganz gut, denn ich versuche im Kopf schon die Hausarbeit zu Anselm Kiefer vorzuformulieren und muss mir dafür natürlich noch den Rest der bundesrepublikanischen Maler angucken, wie die so die NS-Zeit verarbeitet haben, wenn sie sie denn verarbeitet haben. Mir war Lüpertz immer so ein bisschen egal in seinem von mir so wahrgenommenen Größenwahn, aber das hat mit seiner Kunst ja nichts zu tun, dass ich ihn unsympathisch finde. Über die Trennung von Mensch und Werk diskutierten wir ebenfalls, was ich bei Richard Wagner schon seit 30 Jahren praktiziere.
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Nach der Uni fuhr ich zur Staatsbibliothek, wo weitere Nationalstadion-Lektüre für mich lag – und endlich Leonie Trebers Mythos Trümmerfrauen, auf das ich seit Monaten warte. Es war ewig ausgeliehen oder vorgemerkt, aber jetzt liegt es bei mir zuhause, und ich habe sogar gerade Zeit, es zu lesen. Die erbitterten 1-Stern-Kommentare bei Amazon lassen übrigens erahnen, in was für ein Wespennest Treber mit ihrem Thema gepiekst hat. Ich unterstelle sämtlichen Autor*innen, dass sie vom Buch nicht mal den Klappentext gelesen haben, denn dass es Trümmerfrauen gab, bestreitet Treber gar nicht – nur ihre Anzahl und Motivation. Aber mehr kann ich auch noch nicht sagen, ich bin gestern nicht über 30 Seiten hinausgekommen.
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Nachmittags bastelte ich wieder am Nationalstadion-Referat rum und endete mit einem Skript und einer Präsentation, die ich als „final“ abspeicherte. (Ein Scherz. Wissen wir ja alle.)
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Abends las ich Nüchtern: Über das Trinken und das Glück aus und befand es für gut und lesenwert.