Chicago

Chicago (2002)

Darsteller: Renee Zellweger, Catherine Zeta-Jones, Richard Gere, John C. Reilly, Queen Latifah
Drehbuch: Bill Condon (nach dem Musical von Maurine Dallas Watkins)
Kamera: Dion Beebe
Musik: John Kander (Non-Original Music), Danny Elfman (Original Music)
Regie: Bob Marshall

Was erwarte ich von einem Musical? Ganz einfach: eingängige Songs, die ich auf dem Nachhauseweg vor mich hinsummen kann, eine simple Geschichte, die nicht von der Musik ablenkt (denn darum geht es schließlich), gute Stimmen, gute Tanzeinlagen.

Kann Chicago das einlösen?
Absolut.

Was aber erwarte ich von einem verfilmten Musical? Zum Beispiel, dass der Regisseur sich bewusst ist, dass er mit seinem Material alles das machen kann, was im Theater mit dessen eingeschränkten räumlichen und zeitlichen Möglichkeiten nicht geht. Ich erwarte, dass er diese Möglichkeiten nutzt, dass vielleicht das simple Singspiel um eine Ebene erweitert wird, dass die Charaktere Tiefe bekommen, die im Theater schwierig rüberzubringen ist, dass es auf der Leinwand nicht mehr ganz so theatralisch und plakativ zugeht wie auf der Bühne, wo das so sein muss, um auch den Zuschauer in der letzten Reihe zu erreichen.

Kann Chicago das einlösen?
Leider nicht.

Bob Fosses Broadway-Klassiker von 1975 spielt in den 20er Jahren in Chicago, einer hektischen Zeit, in der Headlines wie Groschenromane klangen, wo aus gefallenen Mädchen Heilige wurden und umgekehrt und es niemand mit dem Gesetz so ernst nahm. Das Stück ist eine musikalische Hommage an diese Zeit, voller mitreißendem Swing, Charleston und Jazz. Die Geschichte handelt von Roxie Heart (Renee Zellweger), die ihren Liebhaber erschossen hat, und Velma Kelly (Catherine Zeta-Jones), die ihrerseits Schwester und Ehemann umgebracht hat. Velma ist bereits ein gefeierter Star auf Chicagos Bühnen, Roxie will es noch werden. Beide sitzen in der Todeszelle und hoffen auf die juristischen Kniffe von Billy Flinn (Richard Gere), um sie vor dem drohenden Galgen zu retten.

Die Story ist also einfach genug, um nicht großartig nachdenken zu müssen. Sie ist auch eher eine Entschuldigung dafür, dass alle Beteiligten ständig in Gesang ausbrechen. Kein Problem, das wusste ich ja, bevor ich die Kinokarte gekauft hatte. Was mich aber etwas überfordert hat, war die völlig arrogante Kühle, mit der die Akteure mich zugesungen, nein, zugeschmettert haben.

Die ganzen Tanz- und Gesangsszenen haben mein Herz nie erreicht, weil keiner der drei Hauptdarsteller es geschafft hat, mich von seinem Charakter zu überzeugen. Es hat sich immer so angefühlt, als wollten sie mir nur zeigen, wie toll sie alle singen und tanzen können. Und dass die meisten Kostüme eher nach Softporno als nach verführerischem Jazz aussahen, hat auch nicht geholfen. Nach dem zwanzigsten Close up auf Unterleiber und wogende Brüste hab ich kapiert, dass das alles ganz doll erotisch sein soll, danke.

Vielleicht war es auch ein Fehler, im Kopf ganz automatisch andere Musicals abzurufen, die man auf der Leinwand gesehen hat: Cabaret natürlich, das auch musikalisch Chicago recht nahe kommt, es aber von der dramatischen und hochemotionalen Story her um Längen schlägt. Moulin Rouge! natürlich, das meiner Meinung nach das Genre neu definiert hat mit seinem Mix aus modernen Songs, die plötzlich ganz anders klangen, und seiner überbordenden Theatralik. Oder auch Everyone says: I love you von Woody Allen, der, wie es eben seine Art ist, ein kleines, neurotisches Singspiel hinbekommen hat, das lockerleicht an einem vorbeiperlt. Diese drei Beispiele haben für mich etwas Eigenständiges gehabt; sie haben sich bemüht, nicht einfach nur gute Sänger und Tänzer eine altbekannte Story runterbeten zu lassen, sondern sie haben ihren jeweiligen Charakteren etwas mehr zugetraut als singende Schablonen zu sein.

Chicago ist laut, zynisch (muss es wohl sein bei der Story), ziemlich straff durchinszeniert und hat einige wunderbare Einfälle wie die Pressekonferenz, die Billy für Roxie hält und auf der alle Journalisten zu seinen Marionetten werden. Hier ist der Film endlich ein Film und nicht nur ein Bühnenstück, bei dem zufällig die Kamera mitgelaufen ist. Queen Latifah singt die beiden Hauptdarstellerinnen mit ihrem Sexappeal locker an die Wand mit ihrer Nummer „When you’re good to Mama“, und John C. Reilly als Roxies gehörnter Ehemann verströmt als einziger der Darsteller ein bisschen Gemüt und Ehrlichkeit. Und er hat als einziger mein Herz gewonnen. Alle anderen Charaktere sind manipulativ, hinterhältig und egoistisch. Und auch, wenn das die Hauptaussage von Chicago ist: Jeder ist seines Glückes Schmied, und es ist jedes Mittel recht, dieses Glück zu erreichen – mich hat der Film deshalb eher abgestoßen, oder besser: seltsam unberührt gelassen.

Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass ich Renee Zellweger auf den Tod nicht leiden kann und auch mit Richard Gere meine Probleme habe. Catherine Zeta-Jones dagegen hat mich sehr positiv überrascht: Sie ist die perfekte divenhafte Zicke. Passt. Zellweger dagegen guckt nicht unterwürfig-naiv, um Eindruck bei der Jury zu machen, sondern sieht in meinen Augen einfach nur dämlich aus. Und Gere ist einfach zu schnuffig, um den aalglatten Verteidiger, der alles für Geld tut, überzeugend hinzubekommen.

Der Film schafft den Bogen einfach nicht zum völligen Überschwang wie Moulin Rouge!, den man in keiner Sekunde ernst nehmen konnte; er will aber auch nicht ehrlich und ernsthaft rüberkommen. Daher wirken gerade die Momente mit Reilly gleichzeitig anrührend und völlig deplatziert, weil er sich wirklich bemüht, seinem Charakter etwas Würde mitzugeben.

Ich habe wirklich Schwierigkeiten, meinen Eindruck in Worte zu fassen. Musicals sind sowieso Glatteis, weil man sie nicht mit „normalen“, erzählten Filmen vergleichen kann. Aber wenn man eben Filme wie Moulin Rouge! im Hinterkopf hat, fragt man sich schon, ob man aus Chicago nicht mehr hätte machen können. Ich fand den Film genauso wie seine Protagonisten: herzlos, laut und darauf aus, als Sieger den Platz zu verlassen, koste es, was es wolle.

Nee, sorry. Mich hast du nicht gekriegt. Auch wenn ich seit Stunden „All that Jazz“ vor mich hinsinge.