Die Spielwütigen

Die Spielwütigen (D, 2004)

Darsteller: Prodromos Antoniadis, Constanze Becker, Karina Plachetka, Stephanie Stremler
Buch und Regie: Andres Veiel

Der Dokumentarfilm Die Spielwütigen begleitet drei Frauen und einen Mann auf ihrem Weg, Schauspieler zu werden. Alle vier sprechen bei der renommierten Ernst-Busch-Akademie vor, werden aufgenommen, die einen sofort, die anderen beim nächsten Anlauf, alle vier erleben die Zeit der Ausbildung, verlieben sich, trennen sich, durchleiden Selbstzweifel, legen sich mit ihren Lehrern an, schließen die Schule ab – werden erwachsen.

Sieben Jahre lang hat Regisseur Andres Veiel die vier begleitet, hat sie immer wieder sich selbst und ihre Arbeit kommentieren und hinterfragen lassen, hat sie von den ersten Gehversuchen bis zum ersten Engagement gefilmt. Was mich an Die Spielwütigen besonders fasziniert hat, war nicht unbedingt die Arbeit an einer Schauspielschule – obwohl das natürlich auch einen großen Reiz des Films ausmacht: zu sehen, wie aus Talenten „fertige“ Darsteller werden. Nein, was mir am meisten Spaß gemacht hat, waren die ganz unterschiedlichen Charaktere, die alle das gleiche wollen und doch auf so unterschiedliche Weise ihr Ziel erreichen.

Wir lernen zum Beispiel Prodromos kennen, der unter anderem mit dem bekannten „You’re talking to me?“-Monolog aus Taxi Driver bei der Aufnahmeprüfung vorspricht. Der junge Mann wirkt am fertigsten von allen vieren; er ist selbstbewusst, stark, fordernd. Der einzige Zweifel, den er hat: Wird er vielleicht deshalb nicht angenommen, weil er nicht mehr formbar ist, schon zu gut? Und es wirkt nicht einmal arrogant, was er da sagt, er, der einer von 1000 Bewerbern ist, von denen 30 die Prüfung überstehen werden.

Prodromos wird angenommen, und seine Stärke, sein Selbstbewusstsein sind genau das, was ihm die Arbeit schwer macht. Er weiß, was er kann und scheint nicht dazulernen zu wollen. Ein Lehrer drückt es treffend aus: „Wir bekommen von dir vermittelt, alles Ärsche zu sein.“ Er fällt durch eine Prüfung, ihm droht die Exmatrikulation – und plötzlich beginnt er zu zweifeln. Plötzlich versucht er, Ratschläge anzunehmen, sich formen zu lassen – und wird dadurch besser. Aber sobald er die Abschlussprüfung in der Tasche hat, schlägt seine alte Ader wieder durch. Er wird der einzige der vier ohne Engagement bleiben, er, der so fertig begonnen hat.

Wir lernen Constanze kennen, die schon immer nur spielen wollte und das auch tut. Zielstrebig, geradeaus, klar. Sie sitzt zum Schluss in ihrer Wohnung, mit ihrem charakteristisch unbewegten Gesicht, das nur auf der Bühne lebendig zu werden scheint und meint, ja, sie sei wohl glücklich. Glaube sie. Da ist sie auf einmal doch unsicher, wo alles andere in ihrem Leben sicher ist.

Wir lernen Karina kennen, die Brave, die immer alles durfte, und jetzt, wo sie Regeln zu befolgen hat, diese nutzt, um rebellisch zu werden; um sich selbst zu entdecken und um immer und immer wieder an sich zu zweifeln. Und genau diese Zweifel scheinen es zu sein, die sie immer weitermachen lassen und sie immer besser werden lassen. Es ist das Rebellieren gegen sich selbst, gegen den Zweifel, was sie ausmacht. Ihr kriegt mich nicht.

Und wir lernen Stephanie kennen. Sie ist mir persönlich fürchterlich auf die Nerven gegangen – mit ihrer seltsam unfassbaren Art, mit ihrer Naivität, aus der doch plötzlich präzise, intelligente, wissende Sätze kommen, mit ihrem trotzigen „Die müssen mich doch nehmen“ und dem gleichzeitigen völligen Verständnis, als sie beim ersten Mal durchfällt. Stephanie ist der spannendste „Charakter“, denn sie wächst wirklich an sich selbst und an ihrem Leben. Sie fängt am kindlichsten an und scheint zum Schluss als einzige wirklich und wahrhaftig erwachsen zu sein, weil sie am meisten Veränderungen erlebt hat.

Sie hat mir auch am deutlichsten gezeigt, was es heißt, Schauspieler zu sein: das Aufgehen in einer Rolle, das Mitnehmen von eigenen Eigenschaften und das Umwandeln in etwas völlig Neues. Alle vier haben mich sehr beeindruckt mit ihrem ganz unterschiedlichen Können, aber Stephanie, mit der ich es im wahren Leben keine zwei Minuten ausgehalten hätte, ohne wahnsinnig zu werden, dieser Stephanie hätte ich auf der Bühne stundenlang zuschauen können. Sie hat in jeder ihrer gefilmten Probeszenen eine derart atemberaubende Präsenz und verschwindet so sehr in ihren Rollen, dass ich es jedesmal fast verflucht habe, wenn die anderen wieder zum Zug kamen.

Die Spielwütigen nimmt einen mit hinter die buchstäblichen Kulissen. Er entwirft keine wilde, aufregende Theaterwelt, er zeigt stattdessen die harte, detailverliebte Arbeit, die hinter dem Applaus steht. Der Film kommt sehr behutsam daher und gibt den Spielszenen viel Raum. Man genießt Theater auf eine neue Weise und wird sich plötzlich bewusst, dass man gerade im falschen Medium ist: Immer, wenn der Film die lebendige Bühne abbildet, wird einem klar, wie banal ein Film eigentlich ist. Karina fasst es schön zusammen, wenn sie sich weigert, z.B. für Daily Soaps zu spielen: Sie habe doch eine Verantwortung ihrem Beruf gegenüber. Diese Verantwortung, dieses Ernst-Nehmen macht der Film sehr schön deutlich, ohne dabei überambitioniert oder zeigefingerig zu werden. Er bildet ab, er zeigt, aber er führt nie vor.

Ich habe aus dem Film einiges mitgenommen: eine neue Faszination für einen spannenden Beruf. Die Erkenntnis, dass man nur an sich selbst wachsen kann. Die plötzliche Dankbarkeit, dass ich wachsen durfte. Und das völlig neue Gefühl, ganz schnell aus dem Kino zu wollen. Denn ich wollte viel lieber ins Theater.

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