Tagebuch, vorletzte Märzwoche 2016
Zur Ruhe kommen. Kochen. Alleine sein, zu zweit sein, zu fünft sein. Aber hauptsächlich: zur Ruhe kommen.
Wien war großartig, aber auf eine schöne Art anstrengend. Inzwischen ist Dinge anzuschauen mehr als nur Dinge anzuschauen, es ist Arbeit. Es ist Teil meiner eigenen Fortbildung, mir eine visuelle Bibliothek im Kopf aufzubauen, auf die ich zurückgreifen kann, wenn ich andere visuelle Eindrücke einordnen will. Daher gehe ich nicht mehr durch Museen oder Straßen und denke „Ach, hübsch“, sondern ich denke „In welches Regal passt das jetzt?“
Daher war ich am Tag meiner Rückkehr, am letzten Samstag, ein bisschen erledigt, hatte aber abends ein sehr schönes Programm vor mir: Ich wurde nachträglich zum Geburtstag in mein Lieblingsrestaurant in München ausgeführt, ins Broeding.
Der Gruß aus der Küche war Lamm (? Ich habe mir keine Notizen gemacht, ich hatte mir in Wien genug Notizen für die nächsten drei Wochen gemacht) mit Wirsinggemüse und Chips. (Topinambur?) Auf jeden Fall gut: zartes Fleisch, mildwürziges, noch knackiges Gemüse. Wir gönnten uns einen Rieslingsekt als Aperitif.
Erster Gang: Zweierlei vom Kaninchen, Couscous und Salzzitronenjogurt. Faszinierend, wie wenig Salzzitronenjogurt nach Salz oder Zitrone schmeckt, eher rauchig. Der erste Wein des Abends war ein Kikelet Furmint 2012, frisch und kühl, passte gut zum knusprigmilden Couscous und dem warmweichen Fleisch.
Zweiter Gang: Selleriesuppe mit gebackenem Kräutersaitling. Ich bin kein Riesenselleriefan, aber ich esse mich langsam an dieses Gemüse ran. Wenn es immer so schmecken würde wie diese Suppe, würde ich es noch öfter essen. Der Pilz war außen knuspig und innen bissfest, alles zusammen wunderbar, und der Wein dazu mein erster Liebling des Abends: K vom Weingut Kracher, 2013, ein Cuvée aus Chardonnay, Scheurebe und Welschriesling. Roch ernsthaft haargenau wie Cornetto Erdbeer, schmeckte aber netterweise nicht danach.
Dritter Gang: Saibling mit Kohlrabi und Bärlauchsoße. Hier war ich zunächst damit beschäftigt, das Geschirr schön zu finden, bevor ich das Essen würdigen konnte. Knackiger Kohlrabi, mildscharfer Bärlauch, knuspriger Fisch – what’s not to love? Und als Wein dazu mein persönlicher Star des Abends, ein Riesling vom Weingut Hirsch (verlinkt ist der 2013, wir hatten den 2012er). Zuerst Mango, dann Rauch, der aber beim Essen verflog. Sehr vollmundig und einer von den Weinen, die solo schon toll sind und mit Essen nach toller. Eine Kiste für Frau Gröner, bitte.
Vierter Gang: Kronfleisch, Aubergine und gefüllte Zucchiniblüte. Ich habe noch nie eine Aubergine hinbekommen, die nach irgendwas geschmeckt hat außer Fett, daher bin ich immer dankbar, wenn mich Restaurants daran erinnern, wie sie schmecken kann. Die Blüte war mit der schmelzigsten Polenta ever gefüllt, was mich – ein wahrhafter Taschentuchknotengang, dieser Gang – daran erinnerte, dringend mehr Polenta essen zu wollen. Der Wein dazu kam von meinem zweitliebsten Blaufränkisch-Lieferanten, dem Weingut Heinrich (mein liebster Lieferant für diese Traube sind die Damen und Herren von Kollwentz). Wir genossen einen Gabarinza (verlinkt ist 2012, wir hatten 2011), ein Cuvée aus Zweigelt, Blaufränkisch und Merlot. Ich fand ihn einen Hauch zu kalt und zu pferdig, und das blöde Ross wollte auch irgendwie nicht gehen. War nicht ganz so meiner.
Erfrischung für den Magen: ein fruchtiges Sorbet. (Mango? Vergessen. Sehr gut, schön schmelzig; das habe ich nicht vergessen.)
Käsegang: Affinierter Gorgonzola (wait, let me google this for you), Rosmaringelee und Rucola. Mochte ich sehr gerne, vor allem, weil der Gorgonzola nicht so bissig nach Gorgonzola schmeckte. Und vom Gewürzbrot im Salat hätte ich einen ganzen Laib essen können. Ein sehr kräftiger Gang, zu dem der weiße Burgunder von Ebner-Ebenauer hervorragend passte.
Dessert: Topfentörtchen und Portweinbirne. Der einzige Gang, bei dem ich dachte, och jo. Filoteig finde ich eher seltsam in einem hochpreisigen Restaurant, aber egal, mit Milchprodukten und Zucker kriegt man mich immer. Und mit dem äußerst schmackhaften Süßwein dazu, einer Beerenauslese von Velich, 2010.
Wir genossen über drei Stunden und verzichteten dann auf Espresso und Schnaps, weil alles so passte.
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Die folgenden Tage fuhr ich den Kopf noch weiter runter, puschelte so vor mich hin, machte mir Sorgen um die Zukunft (wie immer), kochte ein bisschen, las ein bisschen, schlief viel. Und freute mich dann am Donnerstag abend über die Mail meiner Dozentin, die mich über meine erste 1,0 im Master informierte.
Es blutet mir das Herz, aber ich kann euch diese Arbeit nicht zeigen, denn vermutlich werde ich aus den unschuldigen 50.000 Zeichen in einem Jahr satte 100.000 machen und „Masterarbeit“ vorne drauf schreiben. Daher behalte ich meine tollen Forschungsergebnisse vorerst für mich, was eigentlich allem widerspricht, was ich in den letzten drei Jahren gelernt habe. Ich bin ein großer Fan von Open Access und Wissenschaftsblogs, aber momentan will ich meine Arbeit noch nicht öffentlich machen. Das mag albern sein, aber vielleicht schlummert darin auch irgendwo ein Aufsatz, den ich publizieren könnte. Falls irgendein Journal einen Aufsatz einer Studentin ernstnimmt; die Wissenschaft scheint da ja ein bisschen seltsam drauf zu sein. Jedenfalls: Sobald ich irgendwas habe, was ich für veröffentlichenswert halte, steht das hier. Auch aus dem Grund, weil ich noch auf keine Arbeit so stolz war wie auf diese. Hier ahnte ich zum ersten Mal, dass ich da was richtig Gutes fabriziert hatte, aber jetzt, wo die Note vorne drauf steht, habe ich es auch schwarz auf weiß.
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Auch das Bloggen habe ich letzte Woche etwas runtergefahren; einerseits, weil ich in Wien so viel produziert habe, andererseits, weil mir mein vorerst letzter Ausflug nach Hamburg übernächste Woche ein wenig in den Knochen liegt. Dann packe ich alles zusammen, was noch von mir in der ehemals gemeinsamen Wohnung steht und lasse es zu meinen Eltern karren. Ich will das nicht wirklich tun, ich will nicht in diese Stadt, ich will die Wohnung nicht endgültig leerräumen. Wien hat mich gut von diesen Gedanken ablenken können, aber zuhause haben sie mich natürlich wieder eingeholt. Ich wollte aber nicht fünf Tage hintereinander „Ich grübele viel und heule rum und esse zu viel Schokolade“ schreiben, daher war es hier etwas ruhiger. Vielleicht bleibt das auch noch ein paar Tage so, ich weiß es selbst nicht.