Gegen die Wand

Gegen die Wand (D, 2004)

Darsteller: Birol Ünel, Sibel Kekilli, Catrin Striebeck, Güven Kiraç, Meltem Cumbul, Hermann Lause, Cem Akin, Demir Gökgöl, Aysel Iscan, Mehmet Kurtulus, Adam Bousdoukos
Musikberatung: Klaus Maeck
Kamera: Rainer Klausmann
Drehbuch: Fatih Akin
Regie: Fatih Akin

Gegen die Wand beginnt mit dem Tod: Cahit, ein 40jähriger Türke, der in Hamburg lebt, fährt nach einer durchsoffenen, durchweinten, durchlachten Nacht gegen eine Wand, um seinem Leben ein Ende zu setzen. In der psychiatrischen Klinik, in der er sich wiederfindet, lernt er Sibel kennen, eine 20jährige Türkin, die sich die Pulsadern aufgeschnitten hat, um ihrem Leben bei den Eltern zu entfliehen. Das Schöne an Gegen die Wand ist, dass der Ausgangspunkt zwar der Tod ist, der Film selbst aber eine wunderbare Hommage an das Leben.

Sibel möchte irgendeinen türkischen Mann heiraten, um von zuhause wegzukommen. Cahit könnte das alles egal sein, aber Sibel hat ihre eigene Methode, um ihn davon zu überzeugen, dass er genau der richtige Kandidat für diese Scheinehe ist. Auch diese Methode hat wieder mit dem Tod zu tun und erwischt den Zuschauer mit einer plötzlichen Bildgewalt, die den ganzen Film nicht aufhört. Überhaupt sind die Bilder, die Regisseur Fatih Akin schafft, so pulsierend und lebendig, dass selbst die Momente, in denen der Tod, der Schmerz, die Verzweiflung lauern, uns keine Angst machen können. Bei allem, was den Protagonisten widerfährt, bleibt das Gefühl der Hoffnung, der Gewissheit, dass alles, wenn es schon nicht gut ausgeht, wenigstens sein Gutes gehabt haben wird.

Die Scheinhochzeit wird durchgezogen; wir sehen Szenen mit der Familie, mit Cahits Freund, der sich als sein Onkel ausgibt, um offiziell für Cahit um die Hand von Sibel anzuhalten, wir sehen den ersten Tanz der beiden, bei dem, wie immer, Sibel die Führung übernimmt. Sie ist es, die die ganze Geschichte ins Rollen gebracht hat, und sie treibt sie voran. Cahit, der versoffene Penner, wie er sich selbst nennt, schaut zuerst ungläubig und unwillig zu, lässt sich dann aber in Sibels Geschichte einbauen und wird schließlich zu mehr als nur einer Figur in ihrem Leben. Aus dem passiven Mann, der sich treiben lässt, ist ein aktiver Mensch geworden, der liebt, der Leidenschaft empfindet, der plötzlich Dinge tut und schätzt, die ihm vorher egal waren.

Aber es wäre zu einfach, wenn das Glück, das die beiden zu ihrer eigenen Überraschung gefunden haben, von Dauer wäre. Dinge passieren, die nicht geplant waren, und die ganze schöne Version des Lebens, das Sibel sich ausgedacht hat, bricht zusammen. Und mit ihr leider auch ein bisschen der Film, der ein wenig diesen unwiderstehlichen Drang verliert, der bisher jede Szene vorangetrieben hat. Der Schauplatz verlagert sich von Hamburg nach Istanbul, neue Personen werden eingeführt; es fühlt sich fast wie ein neuer Film an oder wie ein seltsames Anhängsel an die Geschichte, die man fast hier schon hätte enden lassen können. Wir sehen Cahit fast eine halbe Stunde lang nicht mehr, und als er wieder auftaucht, müssen wir wiederum Sibel wiederfinden. Der Schluss ist zwar stimmig, aber er tröstet nicht ganz über das etwas zerfahrene letzte Drittel des Films hinweg.

Trotzdem verlässt man das Kino nicht mit einem unzufriedenen Gefühl. Ganz im Gegenteil. Man hat Menschen kennengelernt, die einen solchen Hunger nach Leben und nach Selbstbestimmung haben, dass man sich ihrer Kraft nicht entziehen kann. Die Figuren in Gegen die Wand wirken nie wie Schablonen, obwohl man genau das erwarten würde: die typische junge Türkin, die sich ihren Eltern widersetzt, der alte Säufer, der durch die Liebe geläutert wird usw. Beide haben ihre Eigenarten, die die Schablone brechen, die sie zu Individuen machen, deren Geschichte wir gespannt verfolgen.

Birol Ünel als Cahit und Sibel Kekilli als Sibel tragen mit ihrem darstellerischen Talent den gesamten Film auch über seine schwächeren Momente hinweg. Ünel verleiht mit seiner sparsamen Dramatik jedem Anzünden einer Zigarette eine Bedeutung. Er ist ein wunderbarer Kontrast zur sprühenden Kekilli, die jede Klischee-Untiefe der modernen Türkin in Deutschland geschickt umspielt und eine starke und doch verletztliche Frau darstellt, die anscheinend nur auf Spaß aus ist und doch zum Schluss eine Entscheidung trifft, die von Verantwortungsgefühl und Reife zeugt.

Gegen die Wand lebt von seinen Charakteren, von seinen lakonischen und punktgenauen Dialogen, vom Lokalkolorit Hamburgs und von zwei ausgezeichneten Hauptdarstellern in einem insgesamt sehr guten Ensemble. Der Film lässt einen nachdenklich zurück, aber gleichzeitig hoffnungsvoll. Und gespannt darauf, was das eigene Leben wohl noch bringen wird.

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