Was schön war, Donnerstag, 16. Juni 2016 – Rosenheim revisited
Wir waren mal wieder in Rosenheim. Unser Kurs bereitet eine Ausstellung in der Städtischen Galerie vor, deren Konzept wir gestern auch besprachen. Zunächst ging’s aber wieder ins Stadtarchiv, wo eine Kommilitonin uns die Gästebücher der Galerie zeigte; sie sind, wenn ich mir das richtig gemerkt habe, von 1915 bis 1942 vorrätig, danach ging’s erst in den 1950ern wieder weiter.
Wir sprachen darüber, was man mit diesen Dokumenten nun anfangen könnte. Erster Gedanke war natürlich: alles digitalisieren. In die Gästebücher wurden nur Namen eingetragen, wenn man nett war, noch der Ort, woher man kam, wenn man richtig Zeit hatte, noch der Beruf. Anscheinend trug man noch nicht ein, wie einem eine bestimmte Ausstellung gefallen hatte – das findet man heute ja gerne in Gästebüchern. Aber auch nur die Namen sind schon interessant: Wer kam wann und wie oft in die Galerie? Aus den Ortsangaben kann man ablesen, wie sich das Einzugsgebiet der Besucher*innen veränderte. Ab circa 1942 werden vermutlich viele Soldaten durch Rosenheim gekommen sein – sind die in der Galerie gewesen? Was passierte mit den Besucherzahlen, als die Bilder abgehängt wurden, als also Teile der Sammlung im Krieg eingelagert wurden, um vor etwaigen Bombenangriffen geschützt zu sein? (Die Galerie wurde 1944 von einer Bombe getroffen, erst 1947 war sie wieder fürs Publikum geöffnet.)
Dann kann man lustige Dinge mit einer Zeitleiste anstellen: Veränderte der Krieg das Besucherverhalten? Die Weltwirtschaftskrise 1929? Wurde Kunst zum Luxusgut? (Wobei die Galerie des Öfteren kostenlos war.) Wie war das Geschlechterverhältnis? Und wie immer bei derartigen Datenmengen ergeben sich vermutlich erst Fragen, wenn man alles digitalisiert hat und die Daten neu ordnet. Wir betreiben mal wieder, Zitat Dozent, „ergebnisoffene Grundlagenforschung“ und ich finde alles aufregend.
Nach dem kurzen Archivbesuch gingen wir in die Galerie nebenan, wo wir uns im Depot einen Leibl anschauten – dieses Mal nicht nur von vorne, sondern auch die Bildrückseite. Eine Kommilitonin hielt dazu ein Fünf-Minuten-Referat, während wir Aufkleber und Beschriftungen betrachteten.
Und dann zückte ich meine Liste mit Leo-von-Welden-Bildern. Ich hatte am Mittwoch, also einen Tag vor der Exkursion, im Ablaufplan überrascht festgestellt, dass ich im Depot ebenfalls ein kurzes Referat halten sollte. Eigentlich hatte ich das ja schon im Kurs getan, aber egal. Inzwischen hatte ich nämlich netterweise von der Galerie eine Liste bekommen, in der alle von-Welden-Bilder des Hauses verzeichnet waren, komplett mit Ankaufsdatum und -preis. Die kann ich für die Hausarbeit dann mit zum Beispiel dem Lenbachhaus oder der Großen deutschen Kunstausstellung vergleichen und so eine Entwicklung aufzeigen. Für das gestrige Referat sortierte ich die Liste nach Herstellungsarten, listete also auf, wieviele Ölbilder, wieviele Litografien und wie viele andere Dinge die Galerie besaß, besah mir die Preisentwicklung und hoffte ein bisschen darauf, auch das eine oder andere Bild mal zu sehen, denn bis auf die drei Werke, die an der äußersten Schiebewand des Depots hängen und die ich letztes Mal schon erspäht hatte, kannte ich noch kein Original.
Während meine Kommilitonin referierte, guckte ich schon nach der richtigen Schiene, um genau die dann superprofessionell hervorzuziehen und über ein Bild von 1944 zu sprechen – mein erstes, das ich von von Welden sehe, das zur NS-Zeit entstanden war. Das war ein bisschen widersinnig, über ein Bild zu sprechen, das ich noch nie gesehen hatte und ich hätte auch gerne erstmal ein bisschen geguckt, bevor ich was sage, aber was soll’s. Nach dem 1944er Bild zeigte ich eines aus den 1960er Jahren mit dem Titel Abendmahl, auf dem neben Jesus lockere 13 Apostel abgebildet sind. Von Welden hat sich nie dazu geäußert, ob das Absicht oder ein Fehler war, sondern laut Zeitzeugen immer nur verschmitzt gelächelt, wenn er danach gefragt wurde – ich schließe aus diesem Schweigen auf einen Fehler, sonst hätte man das ganze ja großartig kunsthistorisch und theologisch begründen können. Wobei ich ihn inzwischen so einschätze, dass er eh nicht gerne über seine Kunst gesprochen hat, sondern lieber ein Blatt nach dem anderen produzierte und damit zufrieden war.
Zum Abschluss zeigte ich sein vermutlich bekanntestes Bild, das in so ziemlich jeder Publikation über ihn abgebildet ist: sein Selbstbildnis von 1956. Mein Referat lief besser als erwartet, denn ich hatte mir am Mittwoch zwar schön noch einen Ablauf notiert, den aber bräsigerweise zuhause vergessen. Aber anscheinend merkt man sich Zeug dann doch, sobald man es notiert und braucht den Zettel gar nicht mehr so dringend.
Das war sehr schön, mal vor Originalen zu stehen und zu sprechen anstatt eine olle Powerpoint-Präse hinter sich zu wissen. Wenn alles so läuft wie wir uns das vorstellen, werde ich das im September 2017 wieder machen können, denn dann eröffnet die Ausstellung und ich erzähle euch alles (ALLES!) über Herrn von Welden. Falls ich mich dann noch in die Stadt traue, denn unser Konzept könnte ein paar Leuten in Rosenheim ans Bein pinkeln. Bei der Besprechung fiel der Satz: „Ich hab jetzt schon Angst vor den ganzen von-Welden-Fans“, und ich harmloser Konsenspuschel saß großäugig da und dachte, hätteste man Müller-Wischin als Thema genommen, der ist 1949 gestorben und den meisten vermutlich egal. Wobei wir auch bei ihm natürlich ein bisschen an der hübschen Oberfläche kratzen. Was im unter seinem Namen verlinkten Artikel nämlich nicht steht: Er war der Maler mit den viertmeisten Bildern in der GdK. Von seinen 49 ausgestellten Bildern hat ein Herr Hitler allein 17 gekauft. Dafür steht im Artikel der Krachersatz „Nie aber ließ er sich von der Partei oder der Ideologie der Nationalsozialisten vereinnahmen.“ 49 Bilder auf der GdK, Hase. 49.