Was schön war, Montag, 4. Juli 2016 – Lesen, schreiben, diskutieren
Früh in der Stabi gewesen, ein gutes Buch für mein Auftragstexten gefunden, begeistert mehrere Autobiografien von Frauen durchgeblättert, die im 19. Jahrhundert gelebt haben, damit ich vernünftiges Quellenmaterial für die Kindheitshausarbeit habe. Habe ich jetzt.
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Um 11 ins Historicum geradelt (die 300 Meter halt), dort die vorletzte Sitzung im Biografiekurs gehabt. Zur Vorbereitung mussten wir den Aufsatz Die biographische Illusion von Bourdieu lesen (in Frankreich erstmals 1986 erschienen, auf deutsch 1990), der sich an Biografien abarbeitet; ein Standardtext der Biografieforschung. Bourdieu meint, dass Biografien eigentlich Kappes sind, denn sie gehen von einem Leben aus, das in einer Bahn verläuft, vielleicht mit Abweichungen und Kreuzungen, aber schon irgendwie so, dass sich am Ende eine Sinneinheit ergibt – oder zumindest sei das eine Herangehensweise von Biograf*innen an ihre Subjekte: eine retrospektive Sinnsuche. Kann ich nachvollziehen, mach ich quasi jede Woche, und ich ahne, dass viele von uns sich rote Fäden basteln, um in unserem Leben eine Richtung zu finden, die sich erst in der Rückschau ergibt. Eine Biographie wäre laut Bourdieu auch noch Quatsch, weil man sich als Akteur in so vielen unterschiedlichen sozialen Feldern bewege, dass man gar keinen roten Faden mehr sehen könne bzw. man sei eben so viele Menschen mit so vielen Eigenschaften, dass man keinen einzelnen rausschälen kann.
Wir wurden im Seminar in zwei Gruppen eingeteilt, und die eine musste für den Text argumentieren, die andere logischerweise gegen ihn. Ich landete blöderweise in der Gegen-Gruppe, denn eigentlich fand ich den Text recht einleuchtend. Nicht alles, Bourdieu halt, aber im Großen und Ganzen konnte ich das abnicken, was ich gelesen hatte. Nun war ich aber in der für mich neuen Situation, Argumente gegen etwas zu finden, was ich eigentlich gut fand. Das war eine spannende Übung, und wir schlugen uns ganz wacker, denke ich.
Nach der Diskussion durften wir wieder wir selbst sein, und ich merkte zu meiner eigenen Überraschung, dass ich noch minutenlang bei jedem Pro-Argument – das ja auch mein eigenes war – sofort ein „Ja, aber“ im Kopf hatte, weil ich mich eben 30 Minuten lang darauf gedrillt hatte, ein „Ja, aber“ zu finden.
Ich überlegte nach der Stunde, ob mir diese Technik irgendwie beim wissenschaftlichen Argumentieren helfen könnte. Ich hatte zwar bisher selten das Problem, für meine Hausarbeiten oder Referate Argumente zu finden, wenn ich erstmal den Punkt hatte, den ich machen wollte, aber vielleicht bringt mich das noch auf andere Gedanken, Quellen, Aussagen, wenn ich mich bockig vor meine eigene Arbeit stelle und sage, das ist doch Quatsch.
Dann fiel mir allerdings ein, dass ich das in der Werbung ewig gemacht hatte. Wenn man lange genug auf einem Kunden arbeitet, weiß man irgendwann, welche Worte der Kunde nicht gerne in einer Headline liest, welche Looks er doof findet, welche Art Humor gerade noch so geht und welche nicht. Irgendwann hat man beim Texten die Berater*innen- oder Kundenschere im Kopf, die einem selbst schöne Headlines versaut, weil man schon beim Schreiben denkt, nee, das mag der Kunde nicht und das mag er nicht und das auch nicht. Anstatt erstmal alles rauszuhauen, was dem Kopf einfällt. Es ist sehr anstrengend, diese Schere wieder loszuwerden. Junior*innen der Welt – trainiert sie euch gar nicht erst an. Rotzt erstmal schön 200 Headlines raus, bevor ihr die Schere zückt. Aber das wisst ihr ja eigentlich auch.
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Nach der Uni ins Zentralinstitut für Kunstgeschichte gefahren und wieder am Auftragstext geschraubt. Das geht immer besser und ich bin sehr zufrieden. Außerdem merke ich bei jeder Objektbeschreibung, dass mein Hirn unwillkürlich Dinge ausspuckt, die ich mir in den letzten vier Jahren angelesen habe. Das ist immer noch der Effekt, der mich am Studium am meisten begeistert – zu sehen, dass ich eben doch schon viel weiß, auch wenn ich bei jedem neuen Thema erstmal denke, ich hätte keine Ahnung.
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Eben aus den Twitterlinks gefischt und für wichtig befunden: Quellenangaben im digitalen Zeitalter.