Was schön war, Montag, 18. Juli 2016 – Bibkram, „Toni Erdmann“

Morgens saß ich im Lesesaal der Unibibliothek – zum ersten Mal seit dem ersten Semester wieder. Damals arbeitete ich mich durch eine Partitur eines Beethoven-Trios, gestern durch ein Büchlein von 1906, in dem eine Frau ihrer Kindheitserinnerungen aus dem 19. Jahrhundert aufgeschrieben hatte. Auf einer Seite stand, dass es um 1850 noch keine blonden Puppen gegeben habe; Suschna widersprach erwartungsgemäß. Aus dem Buch lernte ich auch, dass Droschken feste Stellplätze hatten und nicht wie ein Taxi bis zur Haustür kamen.

Ein Buch aus der Stabi abgeholt, dann im ZI einen weiteren Text fertiggstellt. Nebenbei die Celeste-Kette von Zaha Hadid entdeckt und sehr bewundert.

Abends mit F. im Arri-Kino Toni Erdmann gesehen, den ich euch sehr ans Herz legen möchte. Bitte nicht vom blöden Trailer täuschen lassen, der lässt einen die übliche nervige Dramedy erwarten, aber das ist der Film nicht. Ich ahne aber auch, warum der Trailer so aussieht wie er aussieht – der Film hat so viele perfekt komponierte Szenen und so wunderbare Dialoge, aber man kann kaum etwas herausgreifen und zu anderthalb Minuten zusammenschneiden. Jedes Bild und jeder Satz bringt die Handlung voran oder erzählt etwas über die Protagonist*innen – also perfekte Filmkunst –, aber einzeln stehen sie wie kleine Bröckchen in der Gegend rum, ihnen fehlt der Vorlauf und das Nachspiel. Beides ist wichtig in diesem nicht ganz kurzen Film, aus dem man aber auch nichts wegstreichen kann. Wir überlegten danach lange, wo man vielleicht hätte kürzen können und kamen zu dem Schluss: bloß nicht anfassen, das muss alles so sein.

Was der Trailer einem vorgaukelt, ist die schnarchige Geschichte einer erfolgreichen Tochter, deren Vater ihr mal zeigen will, was es außer Arbeit noch im Leben gibt. Klingt wie ne Scheißidee, ist es auch. Netterweise ist Toni Erdmann genau das nicht. Vater und Tochter leben das Leben, das sie sich ausgesucht haben; das klappt mal gut, mal weniger gut, aber man kommt da halt nicht einfach so raus. Und der Film fragt auch schlicht: Muss man das überhaupt? Wie clever der Film mit meinen Erwartungen spielt, merkte ich kurz vor Schluss, als ich dachte, jetzt kommt gleich der Abspann, aber nein, mein durch zu viele Popcornfilme matschiges Hirn fiel auf eine Fährte rein, die der Film gelegt hatte, um noch einen Schlenker zu machen, und der passt dann. Der Film kennt seine Figuren sehr genau, deutlich besser als ich, die innerlich selbst nach zweieinhalb Stunden noch auf gewohnte Enden und Lösungen und Gesten wartete, sie aber nicht bekam. Toni Erdmann überraschte mich dauernd, und ich habe mich hervorragend unterhalten, habe gelacht und geweint und wollte irgendwann mit Sandra Hüller Schmachtfetzen singen. Große Empfehlung.