Tagebuch, Montag, 25. Juli 2016
Morgens im rosa Rauch nach Hause gegangen, Pokémon angelockt – inzwischen weiß ich, wie der korrekte Plural für die Viecher lautet – und drei neue gefangen. Ich weiß immer noch nicht genau, was ich mit ihnen machen soll, weswegen ich mir den praktischen Blogeintrag von dasnuf durchlas. Allerdings weiß ich jetzt immer noch nicht, was ich mit ihnen machen soll außer sie in schlimme Kämpfe zu schicken, was mir total widerstrebt. Sie sind doch so niedlich! Ich glaube, ich sammele einfach ehrgeizlos weiter vor mich hin und gucke mir währenddessen Fassadendetails in meiner Umgebung an.
Masterarbeit „Fassadendetails aller Pokémonstops in München“. pic.twitter.com/3BCQl7rJma
— ankegroener (@ankegroener) 21. Juli 2016
Die Dinger heißen Pokestops, nicht Pokemonstops. Die Lingo hab ich auch noch nicht drauf.
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In fünf Stunden die Einleitung zur Geschichtshausarbeit zu Papier gebracht. Struktur ist jetzt klar, wo ich hin will, auch. Wird hoffentlich besser als das Referat. Auch beim wiederholten Durchlesen zufrieden gewesen.
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Für Geld geschrieben. Ich merke, dass mir Werbung wieder Spaß macht; vermutlich, weil sie nicht mehr die tagesbestimmende Tätigkeit ist. Vielleicht klappt mein Plan Z ja doch – drei Tage die Woche Werbung (für die Miete), den Rest Promotion (für Herz und Seele und geistige Gesundheit) –, ohne dass ich mich dafür fies verbiegen muss.
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Himbeermarmelade mit Frischkäse auf Lieblingsbrot.
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Sehr unschön: damit aufzuwachen, dass die Timeline anscheinend jemand gerade beim Suizid zuguckt bzw. noch hektisch versucht, ihn davon abzubringen, was vermutlich schon zu spät war. Manchmal verfluche ich Social Media sehr. Die ganze Sorgfalt, die meine Timeline beim Amoklauf am Freitag drauf hatte, schien gestern verschwunden, wobei ich mir selbst auch an die Nase fassen muss. Als nach Stunden, auf denen ich Twitter nur flüchtig durchscrollte, weil ich nicht wieder und wieder sinnlos davon lesen wollte, klar war, dass der Betreffende nicht mehr zu retten war, retweetete auch ich einen Ausschnitt seines Abschiedsblogeintrag, ohne zu überdenken, damit vielleicht den Nachahmeffekt zu verstärken. Ich löschte den Retweet nach fünf Minuten wieder.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich diesen Abschnitt des Blogeintrags auch löschen sollte. Ich las gestern bereits mehrere Nachrufe oder Blogeinträge, in denen Menschen, die ihn persönlich kannten, von ihm Abschied nahmen; ich kannte ihn nur von zwei Jazz-Compilations, die man sich vor Jahren mal bei ihm im Blog runterladen konnte und die heute noch auf meinem iPhone dudeln sowie von Twitter, wo er mir folgte, ich ihm aber nicht. Diese Blogeinträge können meiner Meinung nach nicht falsch sein, aber: Ich bin sehr hin- und hergerissen, gerade im Zusammenhang mit dem Amokläufer, wo uns allen stets eingebläut wird, bloß nicht darüber zu berichten oder den Namen zu nennen, um keine Nachahmer (bei Amokläufen muss ich nicht gendern) herauszufordern. Wie ist der Stand bei Suizid? Ich habe keine Ahnung.
Edit: Die Kaltmamsell bringt auf den Punkt, was bei mir seit gestern unverbal rumwabert:
„Nun war ich endgültig durch den Wind und schwankte zwischen dem Befremden, dass [Name gelöscht] in seinen Schritt so viele Menschen mit hineingezogen hat durch den öffentlichen Abschiedsbrief und seinen Tweet – und dem Schmerz des Wissens, dass keine Liebe und keine Anerkennung der Welt gegen die große Lüge der Depression ankommen. Mir ist schon klar, dass in der finalen Phase einer Depression die Meisterschaft des Menschen in kognitiver Dissonanz dazu führt, dass er die Rücksichtslosigkeit seinen Angehörigen gegenüber wegerklärt mit der Überzeugung, sie seien ohne ihn besser dran. Doch den eigenen Suizid in einem öffentlichen Blog zu verlautbaren ist schon ein extra starkes Stück wegerklärter Rücksichtslosigkeit. (Ich merke, dass derzeit die Wut überwiegt. Wo ich doch weiß, dass der Auslöser dieser Wut Teil einer Krankheit ist.)