Was schön war, Donnerstag/Freitag, 25./26. August 2016
Am Donnerstag saß ich wieder den ganzen Tag im ZI und krempelte meine Hausarbeit großflächig um. Vorher wollte ich von Welden schlicht in seine Zeit einordnen, merkte nun aber, dass ich viel zu viel schönes Zeug hatte, das nicht so recht zum Thema passt, aber deutlich spannender ist als mein erster Ansatz und vor allem gewisse Tendenzen in der Forschungsliteratur gnadenlos (und elegant) widerlegen kann. Jetzt arbeite ich mich ausschließlich am Begriff des Expressiven Realismus in Bezug auf von Welden ab, der so schwammig ist, dass er für mich nicht mal ein Begriff ist. (Ich verwies bereits auf die schöne Kritik von Herrn Schneede, den ich sehr gerne lese.)
Das ist der Absatz, an dem ich hauptsächlich andocke (aus der oben verlinkten Website):
„Weil die damals jungen Maler, von einer derartigen Einstellung beflügelt, ihr Werk schufen – wobei viele zunächst an damals moderne Stile anschlossen, beim Kubismus oder der Neuen Sachlichkeit – , galten sie in der Kunstgeschichte lange Zeit als „Einzelgänger“. Nun aber, aus der zeitlichen Distanz, tritt bei aller Individualität der Handschriften, die eine Subsummierung unter einem Ismus problematisch machte, die gemeinsame Haltung dieser realistischen Maler des vergangenen Jahrhunderts immer deutlicher hervor – nicht im stilistischen Detail, aber in der malerischen Grundhaltung gegenüber der Erscheinungswelt und in einer ähnlichen Auffassung vom Wesen der Bildkunst.
Diese Maler aber gerieten in die politischen Turbulenzen des 20. Jahrhunderts, sie mussten nicht nur unter der nationalsozialistischen Diktatur, sondern weiterhin nach 1950 im Abseits der öffentlichen Wahrnehmung ihr Werk schaffen: Im Westen aufgrund der Bevorzugung der ungegenständlichen Malerei, im Osten wegen des staatlich geforderten Sozialistischen Realismus.“
Einen Stil dadurch definieren zu wollen, dass er eine gewisse Haltung der Künstler*innen widerspiegelt, halte ich ja eh schon für gewagt. Bei von Welden kommt aber noch dazu, dass aus seinen Bildern keine Haltung klar wird, höchstens die, dass er gerne altmeisterlich gearbeitet hat und mehr Rembrandt ähnelt als Daumier, was immer gerne für ihn in der Literatur herangezogen wird. Sehe ich schlicht nicht.
Gerade in seinen Zeichnungen kommt für mich deutlich mehr barocke Lebensfreude zum Ausdruck als eine Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit; genau das sieht nämlich Rainer Zimmermann, der Erfinder dieses Begriffs, als ein Zeichen für den Expressiven Realismus. (Über das große E könnten wir auch noch mal reden.) Laut Zimmermann bewältigten die Maler*innen, die um die Jahrhundertwende geboren wurden und die zunächst einfach mal deshalb zu den Künstler*innen des ExprzRealzz gehören, die „schonungslos erfahrene Wirklichkeit gestaltend“ (Zimmermann 1994, S. 11). Macht von Welden nicht. Die einzige Wirklichkeit, an der er sich künstlerisch abarbeitet, ist die Zeit des Nationalsozialismus, was sich an seinen Werken in der Großen Deutschen Kunstausstellung zeigt.
Damit ist dann auch das zweite Kennzeichen des ER hinfällig: dass die Künstler*innen ihr Werk abseits der Staatskunst und unter Ausschluss der Öffentlichkeit produzieren mussten. Ich kann von Welden inzwischen Presse- und Buchillustrationen von 1934 bis 1941 und Ausstellungsbeteiligungen bzw. -einreichungen von 1937 bis 1944 nachweisen, und ich bin mir sicher, dass meine Liste nicht vollständig ist. Nach 1945 erlangte er im Umkreis von Rosenheim eine gewisse lokale Berühmtheit, was ihn als Teil des ER endgültig hinfällig macht (und er musste dafür nicht mal schlimm, SCHLIMM ungegenständlich malen). Für die Zeit nach 1945 habe ich allerdings keinen Platz mehr in der Arbeit.
Am Donnerstag abend hatte ich das Gefühl, was richtig Anständiges produziert zu haben. Das lasse ich jetzt ein Wochenende rumliegen und gucke Montag noch mal frisch drauf.
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Den gestrigen Freitag verbrachte ich dementsprechend mit geistigem Urlaub, der sich darin zeigte, dass ich sowohl beim Lesen als auch beim Seriengucken ständig einschlief. Ich war anscheinend müder als ich dachte.
Erst gegen 16 Uhr war ich halbwegs unter den Menschen, und um 18 Uhr klingelte mein Handy: Der ehemalige Mitbewohner wollte nicht so recht in die Allianz-Arena, ob ich seine Karte haben wolle? Wollte ich! Frohgemut holte ich das Gomez-Trikot aus dem Schrank, entschied mich aber mit einem Blick auf die Außentemperaturen, die sich 30 Grad näherten, doch gegen das Polyesterding und zog ein schlichtes rotes Shirt an, packte meinen üblichen Stadionrucksack, bekam die Karte an die Haustür geliefert und ging schnurstracks zur U-Bahn.
Ich habe immer noch keine richtige Stadionroutine, weil ich nicht so oft gehe (Eintrittspreise), daher bin ich lieber viel zu früh da und gehe sehr gemütlich die ungefähr ein Kilometer lange Esplanade von der U-Bahn zur Arena hoch. So kam ich gestern auch sehr entspannt an, fing auf dem Weg noch einige neue Pokémon, was an den Lockmodulen gelegen haben könnte und nahm irritiert wahr, dass die Arena in der Pokémonwelt gelb war. GELB! Kurz darauf war sie blau, was auch nicht besser war. (1860 München spielt in blau.) Aber das war jetzt wurst, ich war an der Einlasskontrolle, nahm meinen Rucksack ab, um ihn vorzuzeigen – und in dem Moment fiel mir die neue Stadionordnung ein, die besagte, dass keine Taschen mehr mitgenommen werden dürfen, die größer als DIN A4 sind. Da war ich locker drüber. Ich versuchte trotzdem sinnloserweise, die Dame am Einlass zu bequatschen: „Hier, da ist bloß ne Basecap drin und ne Sonnenbrille … und Asthmaspray und Labello und mein Portemonnaie und mein Schlüsselbund und mein Buch und mein Fächer und ein kleines Handtuch, weil ich halt schwitze und das doof finde … aber sonst echt nix, nicht mal ne Flasche!“
Es nützte natürlich nichts, ich musste umdrehen und die ganze Esplanade wieder runterrennen, denn das Zelt, in dem man das Zeug abgeben konnte, stand natürlich am Anfang des Wegs. Eigentlich clever, für mich jetzt eher doof. Es war auch schon 20 Uhr, weil ich sehr entspannt nach oben gegangen war. Jetzt nicht mehr. Mit mir waren noch andere berucksackte Fans auf dem Weg nach unten, also vom Stadion weg, darunter auch zwei am Trikot erkennbare Werderfans, zu denen ein Bayernfan meinte: „Na komm, SO aussichtslos ist es auch nicht!“ (Das Spiel ging 6:0 aus.)
Im Tal gab ich den Rucksack ab, stopfte mir mein überdimensioniertes Portemonnaie in die Hosentasche und hüpfte wieder in Richtung Stadion. An der Einlasskontrolle standen die letzten Menschen, denn es war 20.28 Uhr. Direkt vor mir zeigte eine äußerst attraktive Dame gerade ihr Handtasche vor, die ungefähr doppelt so groß war wie mein Rucksack. Ihr ebenso attraktiver Begleiter meinte zur Abtastdame, dass seine Perle nur englisch könne, sie wär nicht von hier, sie wusste nix von den Vorschriften, ob das nicht mal ausnahmsweise … und sie wurde durchgewunken. Ich war zu genervt, um mich drüber aufzuregen, aber jetzt bin ich doch wieder pissig. Auch im Stadion sah ich mehrere Menschen mit größeren Taschen und überlegte, ob dicke Menschen mit Sneakers eher nach Terroristen aussehen als schlanke auf Stöckelschuhen, aber wurst. Es war 20.29 Uhr und ich saß auf meinem herrlichen Platz, fang an, neue Saison!
Alles wie immer. #fcbsvw pic.twitter.com/BqzeHEvJ6H
— ankegroener (@ankegroener) 26. August 2016
Nach dem Spiel gab’s zwei wohlverdiente Bierchen am Löschzug, ich sprach mit netten Menschen und fing nebenbei – endlich mal in Gesellschaft! – noch ein Pokémon. Stärker verschwitzt als geplant wieder nach Hause, sehr gut geschlafen.