Was schön war, Mittwoch, 2. November 2016 – Oma und Omi
Dienstag trudelten noch ein paar Korrekturwünsche für einen Job ein, für die ich ins Zentralinstitut für Kunstgeschichte musste bzw. in die dortige Bibliothek. Das ging Dienstag erstens nicht, weil Feiertag war und zweitens, weil ich miesgelaunt unter meiner Bettdecke lag. Aber Mittwoch morgen stand ich bereit, mein Uterus hatte sich halbwegs beruhigt, und so radelte ich frohgemut ins ZI. Dort verlängerte eine Angestellte zunächst meinen Bibliotheksausweis und wünschte mir dann viel Spaß. Die kennt mich!
Die Korrekturen gingen schneller als ich dachte, und so konnte ich mich schon nach kurzer Zeit wieder Herrn von Welden widmen. In diesem Semester möchte ich mehr darüber rausfinden, was er nach 1945 so gemacht hat. Was ich spannend finde: dass sich seine Kunst nach 1945 ziemlich dramatisch veränderte. Hatte er vorher quasi 30 Jahre lang prinzipiell das gleiche gemalt und gezeichnet, änderte sich nun sein Stil. Die Motive blieben ähnlich, aber er ging weg vom Klassischen, vom Impressionistischen, von der Neuen Sachlichkeit. Er entdeckte auf einmal Acrylfarbe und dass die in irrwitzig vielen bunten Farbtönen zu haben war; er verließ das bis dahin vorherrschende düster-verschattete Bräunlich-Grün und bewegte sich auf einmal in knalligem Gelb, Orange, Hellblau – er entdeckte 30 Jahre zu spät den Expressionismus für sich.
Alleine darüber könnte ich schon hübsch referieren, aber mich interessiert natürlich auch, was der Rest der Kunstwelt denn so gemacht hat, denn von Welden existierte ja nicht in einem Vakuum. Also las ich ein bisschen was zur amerikanischen Kulturpolitik in ihrer Besatzungszone im Vergleich zur SBZ, wie die Museen sich nach Kriegsende wieder aufrappelten und vor allem: was sie wieder ausstellten. Totale Überraschung: Erstmal wurde größtenteils weiterhin das gezeigt, was vor den Bombenangriffen abgehängt wurde, denn das war halt irgendwo eingelagert und wurde jetzt wieder ausgelagert. Zusätzlich versuchten einige Museen, die Bestände wiederzubekommen, die sie im Laufe der Aktion „Entartete Kunst“ hatten abgeben müssen. Das gelang nicht immer, oft wurde nach Ersatz gesucht, aber generell wurde nach und nach das ausgestellt, was ab 1933 abgehängt wurde. Es kamen allerdings kaum Künstler*innen dazu, die zwischen 1933 und 1945 im Exil oder im Verborgenen produziert hatten, von Ausnahmen wie Beckmann abgesehen. Auch wurde zunächst weiterhin hauptsächlich deutsche Kunst präsentiert; erst nach und nach kam die internationale Moderne wieder an die Wände.
Während in der sowjetisch besetzten Zone sehr offensiv mit Kunst Politik gemacht wurde, gingen die Amerikaner etwas subtiler vor, und die Briten und Franzosen hatten zunächst was Anderes zu tun als sich um Bilder zu kümmern oder welchen Einfluss sie auf nationalsozialistische deutsche Gehirne hatten. Schon recht früh wurde ostdeutschen Künstler*innen nahegelegt, so zu malen, dass ihre Bilder verstanden wurden (was auch immer das heißen mag), während in der amerikanisch besetzten Zone noch darauf gehofft wurde, dass die Deutschen mit abstrakter Kunst irgendwann irgendwie klarkämen. Der Kalte Krieg tat sein Übriges: Unter Truman wurde der Abstrakte Expressionismus quasi Staatskunst, auch wenn das amerikanische Publikum ihn zunächst genauso wenig mochte wie die Deutschen ihn nicht verstanden, aber er war ein bewusster Gegenentwurf zum figürlichen Malen in der SBZ und der Sowjetunion. Spätestens die erste documenta 1955 machte klar, wie westliche Kunst jetzt auszusehen hatte. Auch hier fehlten übrigens emigrierte oder jüdische Künstler*innen fast komplett.
Mich interessiert jetzt, wie sich von Welden positionierte. In seinen Briefen Ende der 1940er Jahre fand ich einige Hinweise auf geplante Ausstellungen, in denen altbekannte Namen vorkamen. 1950 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des Bad Aiblinger Kunstvereins, der auch teilweise von in der NS-Zeit geschätzten Malern unterstützt wurde, sich aber betont unpolitisch gab. Auch die Gruppe 51 in Rosenheim, der sich von Welden 1953 anschloss, betonte ihre Ablehnung von NS-Kunst – interessant, dass von Weldens Mitwirken an der GDK anscheinend bewusst ignoriert wurde. Aber da dürfte er nicht der einzige gewesen sein. Ich werde in den nächsten Wochen die Heimatmuseen und Stadtarchive von Bad Aibling und Bad Feilnbach durchforsten, um etwas über den Kunstverein zu finden, was in der wenigen Literatur steht. Zusätzlich kümmere ich mich um die Preisentwicklung seiner Bilder bzw. gucke mal nach, was die Galerie Rosenheim wann von ihm für wieviel gekauft hat. Er war einer der letzten Künstler, der in der NS-Zeit gekauft und der erste, von dem nach 1945 etwas erworben wurde, daher spielt er eine gewisse Rolle für die Galerie.
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Das alleine war schon schön: das vertraute Gefühl, wieder im Lesesaal zu sitzen und zu merken, wie gerne ich dort bin und wie gut es tut, die Nase wieder in schlaue Bücher zu stecken. Auch: zu merken, was ich alles schon weiß und wie gut ich neue Informationen jetzt einordnen kann.
Am späten Nachmittag scheuchte mich mein knurrender Magen aus dem Lesesaal und wieder aufs Fahrrad. Es regnete etwas, aber ich dachte, ach, die zwei Kilometer, pffft. Natürlich wurde ich trotzdem fies nass und zusätzlich fror ich wie ein Schneider. Nachdem ich zuhause mein Fahrrad in den Keller gewuchtet hatte, stand ich tropfnass und mit rotgefrorenen Bäckchen am Fahrstuhl und wartete. In dem Moment musste ich an meine Oma denken, die immer, wenn meine Schwester und ich quengelten, dass uns kalt sei, weil wir draußen rumrennen mussten, meinte: „Aber ihr habt jetzt so eine gesunde Gesichtsfarbe.“ Außerdem musste ich an meine Omi denken, die immer so ein durchsichtiges Kopftuch aus Plastik hatte, was sie bei Regen trug. Ich glaube, ich habe sie nie mit einem Schirm gesehen, immer nur mit Mantel und diesem komischen Plastikding. Das fand ich jahrelang total quatschig, aber gestern, so ohne Mütze oder Tuch oder Kapuze dachte ich, während mir das Wasser am gesund aussehenden Gesicht entlanglief, das wäre jetzt wirklich praktisch. Das war schön, so unvermittelt an Oma und Omi zu denken.