Was schön war, Donnerstag, 3. November 2016 – Kuratorische Gespräche
F. und ich guckten uns eine Podiumsdiskussion im Haus der Kunst an, auf der Frances Morris und Kasper König über zwei ihrer vergangenen, wegweisenden Ausstellungen sprachen, Paris Post War: Art and Existentialism, 1945–55 (Tate Gallery London, 1983) und Westkunst (Kölner Messehallen, 1981), in der Kunst von 1939 bis 1970 gezeigt wurde. Beide interessierten mich natürlich aus dem Blickwinkel, den ich gerade für von Welden einzunehmen versuche: Was wurde nach 1945 für wichtig gehalten, was wurde direkt nach dem Krieg gezeigt, was deutlich später, was aber im Nachhinein für die Zeit prägend war.
Die beiden stellten zunächst ihre Ausstellungen noch einmal in Bildern vor – Morris zunächst mit Dias, weil sie meinte, sie hätte halt von der Ausstellung keine PowerPoint rumliegen, was ich charmant fand. König hatte hingegen eine ewig lange Bildstrecke aus dem Kunstforum eingescannt, in dem damals die Ausstellung – wie in fast allen Medien – sehr kritisch gesehen wurde. So konnten wir nachträglich immerhin per Bild durch die Räume wandern, während die beiden teilweise Hängungen erläuterten, auf Künstler*innen hinwiesen etc. In einem Raum der Westkunst hingen Josef Albers‘ Farbquadrate und Edward Hoppers melancholische Interieurs nebeneinander, und als das Bild kam, dachte ich spontan, wow, tolle Hängung, spannender Kontrast und trotzdem eine Einheit, als König meinte, genau der Raum wäre total verrissen worden. So scheinen sich Sehgewohnheiten geändert zu haben. Morris zeigte außerdem Bilder der Tate Modern, die erst 2000 eröffnet wurde, was mich überraschte; für mich gehört das Museum schon so zu den Standards, dass ich die in die 1990er verortet hätte. Die Tate Modern war das erste Museum, das seine Sammlung nicht chronologisch präsentierte, sondern thematisch geordnet, was völlig neue Nachbarschaften und Ansichten ergab. Heute ein total normales Konzept, jedenfalls auf Sonderausstellungen.
Ich fand es sehr spannend, den beiden alten Recken, wenn ich das so flapsig sagen darf, zuzuhören. Okwui Enwezor, der die Diskussion leitete, meinte, solche Ausstellungen, wie die beiden sie auf die Beine gestellt hätten, wären heute überhaupt nicht mehr möglich; aus klimatechnischen und versicherungsrechtlichen Gründen würde man heute nie mehr eine solche Masse an großen Namen in einen Raum kriegen, heute würde für jedes Zwei-Zentimeter-Exponat ein Kurier per Business Class eingeflogen, das sei auch nicht mehr zu bezahlen. Umso mehr bin ich jetzt auf Post War im Haus der Kunst gespannt, die sowohl Morris als auch König überschwenglich lobten, wenn auch König meinte, er hätte zwischendurch zweimal ins Café gemusst, weil er so durch gewesen sei. Das beruhigte mich, dass auch Profis irgendwann nichts mehr sehen können.
Beide wiesen allerdings darauf hin, dass Paris Post War und Westkunst auch heute deshalb vermutlich nicht mehr so zustande kämen, weil heutige Kurator*innen ihrem Publikum nichts mehr zutrauten. Westkunst wurde vorgeworfen, zu kompliziert zu sein, woraufhin König meinte: “What’s wrong with being complicated? Trust your audience!” Ich weiß nicht, ob ich diese Aussage generell so stehen lassen würde, aber ich ahne, dass auch wirtschaftliche Gründe dafür sorgen, dass manche Ausstellungen einfacher zugänglicher sind als andere. Ein Kurator erzählte mir mal, dass sein Haus immer abwechselnd Ausstellungen konzipiere: einen Blockbuster, wo die üblichen schnuffigen Namen hingen, die sei immer voll, weil alle die schön fänden, und dann käme eine Ausstellung, die den Kurator*innen aus kunsthistorischer Sicht am Herzen liege, bei der man aber davon ausgehen könne, dass da längst nicht so viele Menschen durchrennen, weil sie anstrengender sei.
Ich finde, beides hat seinen Reiz. Ich bin per se erstmal dankbar, Originale sehen zu können, auch wenn es die immer gleichen Namen sind und die ganz großen Werke sowieso nicht mehr verliehen werden. Gleichzeitig freue ich mich aber auch über Namen, die ich nicht kenne, über Werke, bei denen ich erstmal ein Fragezeichen über dem Kopf habe, was manchmal auch nicht weggeht – aber das ist ja das Tolle an Kunst, das darf ruhig da bleiben. Die Idee, dass man Kunst irgendwie verstehen müsste, geht mir immer mehr auf den Zeiger. Ich finde es völlig in Ordnung, sich mit Kunst zu konfrontieren und dann einfach das mitzunehmen, was kommt. Ich darf Kunst auch einfach schön finden oder doof oder belanglos oder scheiße, und dafür muss man sie nicht verstehen.