Was schön war, Dienstag/Mittwoch, 22./23. November 2016 – Wandgestaltung und altes Papier
In meiner Vorlesung zur osmanischen Architektur ging es vorgestern erstmals um religiöse Bauten, genauer gesagt, Moscheen. Seit über vier Jahren gucke ich brav auf Grundrisse von christlichen Gebetsräumen, weswegen mich der erste Grundriss einer Moschee nachhaltig verwirrte, denn sie war nicht längs ausgerichtet, wie ich es von vielen Kirchen kenne, die keine Zentralbauten sind, sondern quer, wie hier zum Beispiel die Umayyaden-Moschee in Damaskus. Während in Kirchen der Chor nach Osten weist, also sehr grob in Richtung Jerusalem, weist die Gebetsnische in Moscheen, die Mihrab, in Richtung Mekka. Die Mihrab befindet sich an der sogenannten Qibla-Wand. Wenn ich die Dozentin richtig verstanden habe, war es anfangs eine große Ehre, so nah wie möglich an dieser Wand zu beten, weswegen man sie einfach so lang wie möglich gemacht hat, damit viele Gläubige vor ihr Platz fanden. Und deswegen waren frühe Moscheen halt eher quer ausgerichtet als längs. Die Dozentin benutzte launig die Formel „form follows function“. Auf den Punkt.
Außerdem muss ich jetzt dringend nach Cordoba, wo eine Moschee steht, in die nach der Reconquista großkotzig eine Kathedrale gebaut wurde.
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Nach der Vorlesung saß ich drei Stunden in der Historicumsbibliothek und versank in Büchern zu Amnesty International. Natürlich hing ich auch wieder in Fußnoten rum, um weitere Literatur zu finden – halbwegs erfolgreich.
Meine gute Tat des Tages fand am Rückgaberegal statt. In der Historicumsbibliothek stellen wir unsere Bücher nicht wieder selbst ins Regal, sondern legen sie in dafür vorgesehene Fächer ab, die nach Signaturen geordnet sind. Dort hängen auch Hinweise, die Bücher a) ins richtige Fach zu platzieren und b) sie hinzustellen anstatt hinzulegen. Ich kam mit meinem Armvoll Bücher ans Regal und sah mit großen SCHOCKIERTEN Augen einen Berg von Büchern, die achtlos abgelegt wurden. Das konnte ich nicht so lassen. DENKT DENN NIEMAND AN DIE BÜCHER? Ich sortierte die Bücher liebevoll in ihre kuscheligen Fächer und konnte mich gerade noch zurückhalten, ihnen „You are loved“ zuzuflüstern.
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Abends lasen wir im Menschenrechtsseminar einen Zeit-Artikel von 1951, der sich mit dem neu entstehenden Europarat bzw. der Europäischen Menschenrechtskonvention beschäftigt. Interessant war hier, dass Deutschland sowohl als Täter- als auch als Opferland vorkommt. Einmal sind wir daran schuld, dass man jetzt echt mal über Menschenrechte nachdenken sollte, die auch staatenübergreifend einklagbar sind, andererseits sind wir auch die armen Hascherl, die von Siegermächten ausgeplündert werden.
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Die oberen drei Absätze schrieb ich gestern morgen, klickte aber anscheinend nur auf „Save“ und nicht auf „Publish“, bevor ich eilig zum Bahnhof fuhr, um mich in einen Zug nach Rosenheim zu setzen. Das fiel mir jedenfalls nachmittags um 16 Uhr auf, dass auf meiner Seite gar kein neuer Eintrag stand. Deswegen kriegt ihr heute zwei. Yay! (Aber erstmal muss ich überall aus „gestern“ „vorgestern“ machen. Moment.)
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Für meine Leo-von-Welden-Arbeit wühle ich mich gerade durch die Kunstpolitik nach 1945, in die ich Leos Ausstellungen und Stilwechsel einordnen möchte. Der Mann engagierte sich schon sehr früh in gleich drei Kunstvereinen: in Bad Aibling, wo er von 1943 bis 1952 wohnte, in Rosenheim – da wusste ich aber nicht genau, ab wann – und in Bad Feilnbach, wo das Stadtarchiv beharrlich meine Mails ignoriert. Dann muss ich euch eben doch telefonisch belästigen.
Im Heimatmuseum in Bad Aibling hatte ich schon einiges gefunden, allerdings nicht genug, und auch hier warte ich noch auf eine Reaktion vom Stadtarchiv, bevor ich zum Telefon greifen muss. (Ich hasse telefonieren. Mails sind so schön praktisch und übersichtlich und nerven nicht.) Gestern fuhr ich nach Rosenheim, wo ich mir am Montag online einen Berg Zeug vorbestellt hatte. Als ich in Rosenheim aus dem Zug stieg, rief jemand meinen Namen – zwei meiner Kommilitoninnen hatten das gleiche vor wie ich. Und als wir im Archiv ankamen, saßen schon zwei weitere Kursteilnehmerinnen versunken über Papierbergen. Das war ein nettes Arbeiten, weil man zwischendurch was fragen oder mal fünf Minuten quatschen konnte, um den Kopf auszumachen.
Ich arbeitete fast fünf Stunden durch und schrieb so viel ab, dass ich für diesen Blogeintrag nochmal nachgucken musste, was denn überhaupt. Ich hatte mir alles vom Kunstverein ausheben lassen, was ich finden konnte, und blätterte gestern unter anderem in Zeitungsartikeln von 2015 bis in die 1930er Jahre zurück, in denen über den Verein berichtet wurde. Ich fand Kassenbücher, zwei komplette Jahrgänge von Rechnungen, die an den Verein gerichtet wurden – 1939 und 1940; das wäre auch ein schönes Projekt, die anständig aufzuarbeiten. Was sind das für Firmen, was haben die während der NS-Zeit gemacht, was danach, wer arbeitete mittelbar am Betriebssystem Kunst mit? Könnte man auch digital was Schickes draus machen, glaube ich. Hm. Hmmmmmmm.
Ich fand außerdem Sitzungsprotokolle, auf die ich gehofft hatte, aber leider nicht annähernd so viel, wie ich gebraucht hätte. Gerade über die sogenannte Gruppe 51 fand ich überhaupt nichts außer Erwähnungen in Zeitungsartikeln, und gerade hier hätte ich gerne Originale gehabt. Diese Gruppe gründete sich als Gegenbewegung zur vergangenheitsgerichteten Kunst und setzte sich aus vielen jungen Malern zusammen, die im NS-Staat nicht so recht zur Geltung gekommen waren – und Leo. Der fällt da völlig raus, aber anscheinend hat das niemanden gestört, dass der Mann zwischen 1933 und 1945 durchaus produzieren konnte. Ich weiß aus der Literatur um Auseinandersetzungen, zum Beispiel über eine geplante Ausstellung von Sepp Hilz und Paul Padua, aber auch darüber fand ich nur Anmerkungen, dass diese Ausstellung geplant sei und die Maler schon zugesagt hätten. Leider fand ich in den Originaldokumenten nichts darüber, wie’s dann weiterging.
Ich fand außerdem mal wieder bergeweise Ausstellungen, die noch nicht in der Forschungsliteratur zu von Welden verzeichnet sind und konnte mir auch notieren, welche Werke er genau wo ausgestellt hatte. Besonders spannend für mich waren Preislisten, auf denen er mit anderen Maler*innen verzeichnet war, einmal vor und einmal nach dem Ende der NS-Zeit. Das ist für mich wichtig, um seine Preisentwicklung nachzeichnen zu können. Und jetzt habe ich auch endlich Daten von anderen. Außerdem fand ich Leos Mitgliedsbeitragszahlung von 1950 in einem weiteren Kassenbuch des Kunstvereins Rosenheim, da habe ich dann jetzt auch ein Datum.
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Total ausgehungert kaufte ich mir gegen 15 Uhr am Bahnhof Rosenheim einen Kaffee, fuhr nach Hause, guckte eine Folge Masterchef und machte mich dann zu F. auf, der fast zeitgleich mit mir ankam und Essen mitbrachte. Lecker Döner plus Fußball, danach eifriges Gin-Tonic-Genießen.