Tagebuch, Freitag/Samstag, 25./26. November 2016 – Gilmore Girls und Weihnachtskiste
Freitag hatte ich einen wichtigen Tagesplan, nämlich sechs Stunden lang vor Netflix rumzulungern und die neuen Folgen der Gilmore Girls zu gucken. Die Serie war für mich immer fluffige Zuckerwatte, alle nervigen Folgen wurden vorgeskippt oder ignoriert, ich hielt mich an der einen weiblichen Hauptfigur fest, deren größter Traum es ist, alle Bücher dieser Welt zu lesen und immer klüger zu werden, während um sie herum so gut wie alle Frauenfiguren schwanger wurden, was mich extrem nervte. Sookie konnte ich noch verstehen, auch wenn ich nicht kapierte, wieso sie gleich drei Kinder kriegen musste, obwohl ihr eins gereicht hätte, und warum Lanes christliche Erziehung, gegen die sie ihr ganzes Leben lang rebelliert hatte, ausgerechnet dann durchschlug, als der Schwangerschaftstest positiv war, hat mich auch eher verstört. Überhaupt störte vieles an Stars Hollow, angefangen bei arg klischeeigen Geschlechtervorstellungen und dass es anscheinend nur eine Hautfarbe gab (aber immerhin ein paar mehr Körperformen als „schlank“), aber gleichzeitig war auch vieles schön an Stars Hollow, angefangen vom stets kitschig-with-a-vengeance-geschmückten Gazebo bis hin zu den Lichterketten, die immer und zu jeder Jahreszeit das Städtchen erhellten. Die letzten Staffeln fand ich eher anstrengend als nett, vor allem weil sich mir Logan als love interest für Rory nie erschlossen hatte und ich Lorelei dauernd eine reinhauen und ihr sagen wollte, jetzt bleib halt mal da, stell dich da hin und guck wie es ist, bevor du wieder hektisch wegrennst.
Zehn Jahre nach dem Ende der sieben Staffeln kamen nun vier neue Folgen, jeweils 90 Minuten lang. Das Gute am Nachklapp: Der generelle Geist der Serie war sofort wieder da, ich habe mich über ein Wiedersehen mit vielen Figuren gefreut, allen voran Kirk, Hep Alien und, was mich selbst überraschte, Taylor, über dessen geschlechtliche Neigungen ich noch nie nachgedacht hatte, jetzt aber mit der Nase drauf gestoßen wurde. Okay then. Das Schlechte am Nachklapp: die legendären letzten vier Worte, über die Schöpferin Amy Sherman-Palladino seit Jahren spricht und die sie angeblich von Anfang an im Kopf hatte, sind die dümmsten, die ich der Serie zugetraut hätte. Vor zehn Jahren hätten sie gepasst, jetzt sind sie einfach nur albern. Und dass ich die schnöselige, bescheuerte Life and Death Brigade nochmal ertragen musste, nehme ich der Neuauflage auch sehr übel. Aber das mag persönlicher Geschmack sein.
Womit ich aber viel eher beschäftigt war: Die Serie warf mich blöderweise auch in meine Zeit von vor zehn Jahren zurück, wo ich mal eben sieben Serienstaffeln auf DVD kaufen konnte, ohne darüber nachdenken zu müssen, weil ich in der Zeit halt nicht über Geld nachdenken musste. Vielleicht konnte ich damals die Suche nach dem Sinn des Lebens so entspannt genießen, weil ich selbst ihn ja schon längst gefunden hatte, ich hatte ja alles, Job, Kohle, große Wohnung, Mann, alles da. Und jetzt sehe ich Rory dabei zu, wie ihr Traum, Journalistin zu werden, in die Brüche geht, und sitze auf meinem Sofa und muss daran denken, wie ich auch gerade mein Leben neu zusammenpuzzele, von dem ich doch dachte, es wäre in schickes, instagrammables Acryl gegossen. Vielleicht habe ich die Serie auch deshalb nicht ganz so genießen können, denn wenn selbst in Stars Hollow nicht alles nach Plan läuft, wie dann bei mir? *in eine Papiertüte atmend*
Ich ruinierte mir den restlichen Freitag schön selber, indem ich nach a) Kunsthistorikerinnenjobs und b) Werberinnenjobs online suchte und feststellte, dass ich für a) nicht qualifiziert bin, auf b) sowas von keinen Bock mehr habe und dass ich zudem c) noch uralt bin. Das war eher ein Scheißtag, trotz glitzerndem Gazebo.
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Dafür war der Samstag dann deutlich besser, denn ich habe in den letzten Jahren gelernt: Wenn’s dir scheiße geht, fahr in die Bibliothek, da kommst du nicht auf dumme, sondern im Gegenteil, auf total kluge Gedanken. Also saß ich morgens im Historicum und las weiter über Amnesty International. Ich fand einen sehr guten Aufsatz, der quasi alles hübsch bündelte, was ich eh schon wusste, nur in gut formuliert, exzerpierte drei Stunden vor mich hin, befand dann, dass 23 einzeilig beschriebene Seiten reichen sollten, um daraus ein 30-Minuten-Referat zu machen und verließ sehr zufrieden und innerlich wieder beruhigt meinen Happy Place.
Ich hatte völlig vergessen, dass am Sonntag schon der erste Advent war und musste dringend noch einen Adventskranz organisieren. Normalerweise reicht mir ein bisschen Tannengrün mit Glitzer und Kerzen drauf, aber dieses Mal hatte ich keine Lust auf etwas Gekauftes. Ich ging zuhause in den Keller und holte die Weihnachtskiste nach oben in die Wohnung und das ohne zu heulen, was ich blöderweise noch immer des Öfteren tue, wenn ich Dinge mache, die ich ein Jahrzehnt lang in Hamburg gemacht habe. Der Tag lief bisher also sehr gut: Bibliothek, yay! In den Keller gehen, ohne zu heulen, yay! Aus einem goldenen Teller, vier Kerzen, meinen goldenen und roten Kugeln und viel Geschenkband bastelte ich etwas adventskranzähnliches (vier Kerzen auf einem Teller mit Zeug drumrum halt) und freute mich darüber.
Dann freute ich mich über ein Geschenk, dann darüber, dass ich im Warmen sitze und ein Dach über dem Kopf habe und gesund bin und dass so viele schöne Bücher um mich rumstehen und jetzt auch noch ein goldener Teller mit Kerzen und Zeug. Abends kam F. vorbei, wir tranken einen überraschend guten Supermarktwein, und um Mitternacht musste ich noch dringend Knoblauchcroutons herstellen, damit der Käse nicht so alleine war. Gemeinsam eingeschlafen. Erneutes Nachdenken über a) auf die nächste Woche verschoben. Wird schon. Mehr Glitzer, weniger Acryl.