Irréversible

Irréversible
(Irreversibel, F 2002)

Darsteller: Monica Bellucci, Vincent Cassel, Albert Dupontel
Musik: Thomas Bangalter
Kamera: Benoît Debie
Drehbuch: Gaspar Noé
Regie: Gaspar Noé

Mir wird ja gerne vorgeworfen, dass ich dem amerikanischen Kino eindeutig den Vorzug vor dem europäischen, insbesondere dem französischen, gebe. Warum das so ist, ist mir gestern abend mal wieder klar geworden, als ich aus Irréversible kam und einfach nur kotzen wollte.

Der neue Film von Gaspar Noé ist im Vorfeld bereits wegen seiner Brutalität kritisiert worden. Besonders zwei Szenen wurden in jedem Artikel erwähnt, den ich zu dem Film gelesen hatte: die, in der Pierre (Albert Dupontel) dem vermeintlichen Vergewaltiger seiner Ex-Freundin Alex (Monica Bellucci) aus Rache den Schädel mit einem Feuerlöscher zertrümmert, und die Vergewaltigungsszene selbst. Ich wusste also, worauf ich mich einlasse, als ich mir die Kinokarte gekauft habe.

Hab ich zumindest gedacht.

Der Film wird nicht linear, sondern rückwärts erzählt. Die einzelnen Szenen sind ohne Schnitt gefilmt, mit teilweise arg wackeliger Handkamera, die ausnahmsweise mal nicht nervt, sondern einen sehr direkt in die Handlung mitnimmt. Der sehr gute Ton ist das Bindeglied zwischen den Szenen und macht den jeweiligen Zeitsprung nicht ganz so unvermittelt.

Diese Sätze habe ich gestern noch im Kino im Kopf vorformuliert, denn nach der Feuerlöscherszene, die ziemlich am Anfang kommt, wollte ich das Geschehen auf der Leinwand emotional nur noch so weit wie möglich von mir wegkriegen. Schon beim Schädelzertrümmern habe ich kaum noch hingeguckt – der Ton hat gereicht – und mich gefragt, wie man ohne Schnitt so blutige Effekte hinkriegt. Das mit dem Nicht-an-sich-Ranlassen hat die nächsten 20 Minuten auch wunderbar geklappt. Bis zur Vergewaltigungsszene.

Die hört nämlich einfach überhaupt nicht mehr auf. Ich hab irgendwann nur noch die Augen zugemacht, mir die Ohren so gut es ging zugehalten, in meine wohlweislich ausgewählte Kuscheljacke geheult und mir überlegt, jetzt sofort aus diesem Film zu gehen. Das einzige, was mich dazu bewogen hat, im Kino zu bleiben, war abstruserweise das Wissen, dass nach dieser Szene nichts Schlimmes mehr passiert.

Und so hab ich den Film eben bis zum glücklichen Ende geguckt, das ja blöderweise der Anfang ist; das heißt, dass all das Fürchterliche, von dem ich geglaubt habe, dass es vorbei ist, erst noch passieren wird.

Ich bin jetzt etwas ratlos. Ich kann nicht sagen, dass ich den Film gut fand, denn „gut“ bedeutet bei mir immer, dass er Spaß gemacht hat. Irréversible macht sowas von überhaupt keinen Spaß, und selbst die technischen Details, an denen ich mich entlanggehangelt habe wie gute Kamera, guter Ton, gute Darsteller etc können nicht die Tatsache ungeschehen machen, dass a) die Story total banal ist und b) ich mit der Vergewaltigungsszene das bisher Widerlichste und Schmerzhafteste gesehen habe, was mir je auf einer Leinwand untergekommen ist.

Außerdem weiß ich immer noch nicht, was mir Noé mit dem Film eigentlich sagen wollte. Der „großartige“ Schlusssatz, der in blutroten Lettern eingeblendet wird (und der nebenbei auch einer der ersten Sätze ist, die im Film gesprochen werden): „Le temps détruit tout – Die Zeit zerstört alles“ versucht meiner Meinung nach eine arg billige Rechtfertigung für diesen Splatterfilm zu sein. Eine ziemlich simple Geschichte dadurch zu Philosophie zu erklären, in dem sie rückwärts erzählt und durch bisher ungesehene Brutalität visualisiert wird, ist in meinen Augen nur eine peinliche Ausrede. Und nebenbei: Nicht die Zeit zerstört alles, sondern die Menschen.

Ich möchte immer noch an das Gute im Menschen glauben, und vielleicht macht es mich deswegen doppelt fertig, wenn ich Filme wie Irréversible sehe, in denen Menschen einfach bösartig sind, maßlos, haltlos, ohne, dass man etwas dagegen tun kann. Ich weiß es nicht. Ich gebe zu, dass mich der Film sehr verstört zurückgelassen hat, und ich weiß auch nicht, ob ich ihn weiterempfehlen soll. Ich kann nicht mal mehr meine eigenen Gründe nennen, ihn gesehen haben zu wollen. Außer, dass ich eben das Gefühl hatte, ihn gerne sehen zu wollen.

Wenn ich dieses Gefühl nochmal haben sollte, haut mir bitte eine rein und schleppt mich danach schnellstmöglich in einen amerikanischen Popcorn-Film. Wirklich. Ich will sowas nie wieder sehen. Und auch wenn der Film auf Dutzenden von Festivals ausgezeichnet wurde – wenn ich ins Kino gehe, will ich ganz naiv, dass die Bösen eins auf die Fresse kriegen und nicht die Guten. Ich will nicht auch noch im Kino in Großaufnahme mitkriegen, mit welchen Irren ich mir diesen Planeten teilen muss. Da reicht die Tagesschau schon völlig.

6 Antworten:

  1. Dem Film vorzuwerfen es sei ein effekthascherischer Splatter halte ich für sehr ungerecht.
    Wer nur die offensichlichen Grausamkeiten in diesem Film entdeckt, der hat ihn nicht verstanden.
    Vielleicht wäre es angebracht gewesen trotz der grausamen Szenen dem Gezeigten einen tieferen Sinn abgewinnen zu wollen.

    Denn, und das hat die Kritikerin doch auch bemerkt, die Frage muss nach der Ersten, der Feuerlöscherszene, doch heißen, wie ist jemand zu Ausführung einer dermaßen brutalen Tat nur in der Lage und das obwohl, wie man im Verlauf des Filmes erfährt, der Mensch der diese Tat ausführt ohne Zweifel ein normaler friedlicher Mensch wie du und ich ist?
    Aus Rache!

    Wofür?
    Doch nur wenn einem etwas über alles geliebtes durch eine der Abscheußlichsten Taten die man sich erdenken kann genommen wird?!
    Durch die Länge der Vergewaltigung und die sich im Kinobesucher aufbauende Verzweiflung und Hasserfüllung gegen den “gesellschaftlichen Abszess” in Form des Vergewaltigers, wird die “Feuerlöschungstötung” langsam nachvollziehbar.
    Jedoch auch nur langsam da erst am Ende des Filmes klar wird in welch enger emotionaler Verbundenheit sich das Opfer und der Rachetäter befunden haben.

    Deßhalb macht es mehr als Sinn die Reihenfolge der Szenen in dieser weiße zu wählen, denn nur so offenbart sich die Grausamkeit der Tötungen als auch die Grausamkeit mit der meiner Meinung nach tiefgründigsten menschlichen Zuneigung die es geben kann gesprengt wird.

    Für mich war es das extrem leidvollste was ich in meinem Leben gesehen habe und hoffentlich nie selbst erleben werde.

    Glaube aber nachvollziehen zu können welche Emotionalen Mechanismen in dem Rachetäter ausgelöst worden.
    Im Endeffekt die selben Mechanismen wie bei der Figur die “Prad Pitt” in Sieben verkörpert als sie den Kopf seiner Frau in der Schachtel sieht. Nur um ein vielfaches genialer und eindringlicher filmisch inszeniert.
    Und das ist doch auch die eigentlich Frage die der Film aufwirft. Würde ich nicht eventuell genauso hasserfüllt durch das Erfahrene im Herzen kalt geworden handeln oder könnte man vor Ohnmacht sich weder die Welt noch den Menschen verstehen und aus dieser Welt scheiden wollen.

    Das der Film genau das beschrieben im Zuschauer bewirkt zeigt mir vor allem die gerade gelesene Kritik.
    Da ich die Verdrängung des Gesehenen als Zeichen dafür deute, dass der Film auch bei der Autorin genau dieses Leid und Inneres Grauen ausgelöst hat die der Film vermitteln will.

    Für mich der “genialste” Film des letzten Jahres sowohl kamera, schnitttechnisch, dramatisch als auch weil er das grauen Mensch, welches nicht immer so extrem ausgeprägt ist, schonungslos auf den Punkt bringt und in uns innerste Ängste und Freuden auf morbide weiße Vereint.

    Zum Thema grausamer Mensch empfehle ich auch “Young Adam” zu sehen. Dieser Film bildet quasi das Gegenstück zur Offensichlichen Grausamkeit von “Irreversible”.

    + Den finalen Spruch sollte man philosophisch angehn und versuchen ihn für sich zu verstehn.

  2. Alte Haloscan-Kommentare hier. Dort bitte nicht mehr kommentieren.

  3. Liebe Anke,

    da les ich nun —und finde, Du hast Recht, wenn ich auch zu anderen Schlüssen komme. Wenn ich diesem Film in meiner Liste bei Frau Nuf angegeben habe, dann deswegen, weil er … berührt. Von mir aus verstört, auf jeden Fall lässt der niemanden unberührt zurück. Und das muss ein Film erstmal schaffen. Ich finde Horrorsplattergruselkill ultralangweilig, d.h. bei mir ist das kein bevorzugtes Genre. Gewalt um der Gewalt willen is Steven Seagal = schnarch.

    Dies hier ist irgendwie was anderes. Hautnah authentischer erzählt bekommen habe ich selten etwas. Gefühlsmäßig »näher dran« an den Gefühlen, die so ein Opfer haben muss war ich wohl auch nicht. Man möchte den Typen mit den bloßen Händen erwürgen.

    Den Schlusssatz find ich auch Unsinn. Aber die »Anfangsszenen« find ich so wunderschön gemeinschaftlich und liebevoll, wie sie meiner Meinung nach eben nur die Franzosen erzählen.

    Amis sind zumeist Po(p)corn, das hasse ich. Franzosen sind authentisch, Deutsche zumeist bemüht, zu skurril oder nicht gut genug. In Amerika müssen 5 Hochhäuser explodieren und man gähnt, in Frankreich reicht der Ausschnitt eines Faustschlages, um ob der Brutalität zusammenzuzucken.

    Ich lese doch vielleicht hier ab und an mal nach ;-)

    Ich glaube aber, ich bin doch anders besaitet als die werte Frau Nuf.

  4. Ich habe mir diesen Film (Irreversible) heute auch angesehen…
    STOP!!!! Die jenigen, die Ihn noch sehen wollen, und sich ihr eigenes Bild machen wollen, sollten hier nicht weiterlesen; Für alle andern ist hier meine (zugegeben: sehr subjektive) Kritik:
    Mich hat der Film nämlich einfach nur genervt. Aber nicht, weil er zu brutal war; es gibt in Wirklichkeit nur zwei brutale Szenen in diesem Film: Die erste ganz zu Anfang (bzw. am Ende der Geschichte) in dem Club, wo Pierre dem Typen mit dem Feuerlöscher den Schädel zertrümmert, und die andere brutale Szene ist die Vergewaltigung. Es gibt viele andere Szenen, die ohne Frage eine düstere und angespannte Athmosphäre vermitteln, jedoch sind sie nie wirklich brutal.
    Nein,… genervt haben mich einige andere Dinge, wie z.B. die konfuse Kameraführung, die den ganzen Film über nie klarer geworden ist, und einfach nur eine Katastrophe für die Augen war; mit Ausnahme der Vergewaltigungsszene, die 10 Minuten lang aus ein und demselben Blickwinkel gezeigt wurde, ohne, dass die Kamera auch nur einen Zentimenter bewegt wurde… Ich fand diese Szene aus diesem Grund genauso langweilig, wie sie abstoßend war (und sie war wirklich verdammt abstoßend!!)…
    … zum zweiten die extreme Langatmigkeit, die sich nach der Vergewaltigungsszene wie ein roter Faden durch den ganzen restlichen Film zieht (man wartet die ganze Zeit vergebens darauf, dass etwas passiert) und gegen Ende des Films (oder Anfang der Geschichte) ihren dramatischen Höhepunkt erreicht, in der Szene, in der Alex und Marcus im Bett liegen, Marcus unbedingt noch Sex will, Alex aber keine Lust mehr hat, und ihm irgendwas von Schwangerschaft erzählt… Zu diesem Zeitpunkt des Films habe ich einfach nur gelangweilt auf das Ende gewartet…
    … und ausserdem genervt haben mich noch diese ungemein nervigen Dialoge zwischen Pierre und Marcus in einigen Szenen. Oder Pierre’s “Monolog” in der Szene in der U-Bahn, in der er pausenlos von Sexpraktiken und Orgasmen labert, und es extrem schwer fällt, diesem Stimmengewirr zu folgen, geschweige denn daraus schlau zu werden! Ich habe mich als Zuhörer während genau dieser Szene die ganze Zeit gefragt, wie man solche Dialoge mit solch einer Ausdauer und Hartnäckigkeit führen kann, ohne, dass einer der Beteilgten völlig entnervt einfach abblockt oder die Location verlässt, weils ihm einfach zu dumm wird…

    Ich will übrigens niemandem zu nahe treten, dem dieser Film besser gefallen hat, als mir, oder ihn anders wahrgenommen hat… dies hier ist lediglich meine eigene, ganz subjektive Meinung, und wem sie nicht passt, kann sie einfach ignorieren, oder sonstwas damit machen!

    Aber möglicherweise hab ich den ganzen Film ja auch ganz falsch verstanden, und dies alles muss genau so sein, wie es ist, um dem Film seinen Sinn zu geben…. Hmmm… vielleicht werde ich ihn noch ein zweitesmal anschauen, und hoffen, dass ich etwas entscheidendes bemerke, dass ich vorher übersehen habe, was den Film doch noch sehenswert macht… Aber vielleicht lass ich’s auch sein…. Mal sehen….

  5. Also bei mir ist das jetzt auch schon 4 Tage her, als ich den Film mit Bekannten bei einem DVD-Abend anschaute.
    Aber dennoch interessierte mich heute, was andere von “Irreversible” halten, da mir der Film ( bzw. die 2- 3 Szenen ) noch immer im Kopf herumschwirren.
    Also ich muss sagen, ich finde Filme, in denen Gewalt dargestellt wir nicht unbedingt schlimm, im Gegenteil, ab und an gucke ich mir gerne einen guten Film an und Gewalt spielt da ja ( fast ) immer eine Rolle.
    Allerdings war von meinerseits bei diesem Film die Schmerzgrenze absolut erreicht, bzw. überschritten.
    Ich wusste nicht, was mich erwartet, als ich den Film anschaute und hatte auch ein wenig Kontakt mit
    Mari & Juana, weshalb es mich vielleicht noch ein wenig mehr mitgenommen hat, aber solche Bilder müssen meinetwegen nicht sein. Dass das nicht gut ist für Kinder ist uns allen klar, aber mich als “Abgehärteter” hat das psychisch echt fertiggemacht und ich bin froh, dass das anderen auch so geht. ( Wenn meistens auch nur Frauen )
    Ich muss gestehen, die Vergewaltigunsszene hab ich nur ca. bis zur Hälfte angeschaut, dann hatte ich keine Kraft mehr da hinzugucken, der SEHR krass realistische Sound war arg genug und 10 Minuten was zu sehen, was sich nach 1 Minute schon voll einprägt, muss nicht sein. Vor allem es hat sich ja immer noch gesteigert, obwohl man schon LANGE genug hatte. Also echt widerlich.
    Also ich kann Leuten unter Betäubungsmitteleinwirkung und/oder schwacher Psyche nur empfehlen: Scheisst auf “Irreversible” und alle die den Film geil finden gehören mal gründlich vom Onkel Doc durchgecheckt, bzw. sollten sich mal fragen, wie sie solche Szenen wieder aus ihrem Schädel bekommen und ob solche Filme vielleicht nicht doch “ein wenig” abgebrüht und gleichgültig machen.?
    Schaut doch lieber Spongebob! ;)

  6. Ich kann Manuel nur recht geben! Man muss nicht alles wissen im Leben und nicht alles gesehen haben. Muss ich dabei gewesen sein, wenn im Irak ein Gefangener zu Tode gefoltert wird, damit ich mir ein Bild machen kann und daraus Konsequenzen für mein weiteres Leben ziehen? In Wahrheit ist es so, dass Menschen, die solchen traumatischen Situationen beiwohnen an Rohheit gewinnen und Lebensmut und Optimismus verlieren. Ist das das Ziel?
    Nicht falsch verstehen: die Augen vor der Realität zu verschließen ist nicht meine Absicht, aber ich überfordere mich nicht, da ich – wie die meisten anderen – primär mein eigenes Leben und das meines Umfelds zu bewältigen habe.