Was schön war, Mittwoch, 7. Dezember 2016 – Entscheidung
Im ersten MA-Semester, also vor knapp einem Jahr, schrieb ich eine sehr gute Hausarbeit zum Thema „Richard Wagners Opernfiguren im Werk von Anselm Kiefer“. Diese Arbeit beruhte auf einem Referat, das ich in einem Kurs hielt, in dem wir uns mit der unterschiedlichen Kunstentwicklung in der Bundesrepublik und der DDR nach der Teilung Deutschlands befassten. Mein Referatsthema hieß „Anselm Kiefer und der deutsche Mythos“, und da ich Kiefer mochte und deutsche Mythen eh, schlug ich zu und begann zu lesen. Ich kannte das Frühwerk Kiefers nicht – ich verband mit ihm nur die Bleibücher, die ich immer noch großartig finde – und war daher überrascht, bergeweise Wagnerzitate zu finden. Als Wagnerianerin von Kindheit an und als jemand, die 30 Jahre lang über Wagner und sein Werk ab und zu mal was gelesen hatte, sah ich natürlich auch ohne die ganzen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, die ich in den folgenden Monaten durchblätterte, die Bezüge: Personal, Waffen und Tiere aus dem Ring, Parsifal, den Meistersingern, dem Tannhäuser, mal im Bild, mal in einem Buch, jahrelang übers Werk verstreut. Ich las Theorien darüber, was diese Bezüge ausdrücken sollten, und auch wenn ich vielem zustimmen konnte, fielen mir Lücken auf, die ich in meiner Hausarbeit darlegte und füllte. Bei der Besprechung fragte ich die Dozentin, warum diese mir so offensichtlich erscheinenden Dinge noch niemand bearbeitet hätte, woraufhin sie meinte, vielleicht gebe es nicht viele Wagnerfans unter den Kieferfans. Das kann ich mir natürlich kaum vorstellen, denn für mich liegen beide auf der Grenze zum schwülstigen Kitsch und passen ganz hervorragend zusammen. (Ich weiß natürlich auch, dass für viele Kritiker*innen beide diese Grenze längst mit Schmackes hinter sich gelassen haben.)
In der Hausarbeit hatte ich viel zu wenig Platz für alles, was ich gerne sagen wollte. Alleine die Bildbeschreibungen hätten meine Zeichenbegrenzung gesprengt, aber mir war schnell klar, dass das eine hervorragende Masterarbeit werden könnte. Das sah meine Dozentin genauso; wir verblieben mit „Ich melde mich und habe Sie als Prüferin im Hinterkopf.“
Im letzten Semester merkte ich, wie sehr mir Archivarbeit Freude machte und wie sinnvoll sie mir erschien. Deswegen suchte ich, obwohl ich noch an Kieferwagner hing, nach Alternativen. Nochmal Leo von Welden? Nee, nicht drei Arbeiten hintereinander. Vielleicht was aus dem Umfeld, das ich im Rosenheimseminar kennengelernt habe? Kunstpolitik in der Nachkriegszeit? Einfach mal zehn Jahrgänge den Mangfallboten oder das Oberbayerische Volksblatt auswerten und gucken, wer was in der Gegend ausstellte und wie es besprochen wurde? Vielleicht auch was total anderes – „Bildästhetik bei Vlogs am Beispiel Casey Neistat“? Der hatte sein Vlog ja gerade beendet, da hätte ich einen schön übersichtlichen Werkkörper. Durch die Beschäftigung mit Amnesty International und deren Werbefilmchen kam auch die alte Marketenderin in mir wieder durch: „Die Überzeugungskraft von Bildern – Imagefilme von NGOs im Vergleich“. Und irgendwo reizt es mich ja immer noch, sämtliche architektonischen Pokéstops der Maxvorstadt zu katalogisieren und zu diskutieren, warum die Masse irgendwelche Fassadendetails bemerkenswert findet, die ich nicht mal gesehen hätte, wenn ich nicht Bällenachschub gebraucht hätte. Mein Instagramstream ballert mich mit Werken des Brutalismus zu, die ich auch gerne anschaue, im Lesesaal der Stabi sitze ich in einem Werk Sep Rufs, dessen Wohnhaus in der Türkenstraße/Theresienstraße ich so mag, im Hinterkopf ist auch immer noch die Bemerkung eines Dozenten aus dem Bachelor, der meinte, das geplante, aber nicht umgesetzte Kanalsystem von Nymphenburg könnte man auch mal aufarbeiten, ach, es ist ein Kreuz, so viele schöne Dinge, über die man schreiben könnte und ich darf mir nur eins aussuchen.
In den letzten Wochen sprach ich noch mit einigen Personen an der Uni oder aus Museen, die um die Ecke Tipps oder Vorschläge für mich hatten. Gestern kam telefonisch der letzte, auf den ich noch ungeduldig gewartet hatte. Ungeduldig, denn ich muss mich schon Anfang Januar zur Arbeit anmelden, und auf dem Formular müssen Prüfer*innenname und Titel der Arbeit stehen. Aus der beknackten Bachelorarbeit hatte ich gelernt, dass es sehr klug wäre, sich schon vor der Abgabe dieser Anmeldung etwas ausführlicher mit dem Stoff zu beschäftigen, um zu wissen, ob er a) was taugt und b) genug hergibt – wobei ich bei b) nach inzwischen neun Semestern sagen kann: Ich kann aus allem immer mehr schreiben als gefordert. Ich hätte jetzt also nur noch vier Wochen Zeit, um mich in ein neues Thema einzulesen, das von außen kommt, von den vier Wochen fallen gefühlt zwei weg, weil ich noch zwei Referate vorbereite und außerdem Weihnachten, Neujahr sowie irgendwelche anderen bayerischen Feiertage anfallen, an die mich iCal erinnert, weil ich sie sonst nicht mitkriege sowie die etwas längeren Vorlaufzeiten von Archiven und Heimatmuseen, in die man eben nicht jeden Tag wie in eine Bibliothek spazieren kann.
Deswegen hatte ich eigentlich auch nur noch halbherzig auf diesen letzten Tipp gewartet, denn eigentlich war mir schon seit Tagen klar: Ich mach den Kieferwagner. Bei allen Alternativvorschlägen wimmerte in mir: Aber du hast noch nicht die schönen Werke beschrieben, du hast Kershaws Hitlerbiografie noch nicht durch, du hast da noch was vor, auf das du dich eigentlich seit einem Jahr freust. Heb dir die NS-Kunst für die Promotion auf und mach die Arbeit fertig, die du im letzten Winter nur anfangen konntest. Und schreib weiter Blogbeiträge über Casey, das reicht.
Und so wühlte ich gestern frohgemut im Internet das Nationalarchiv des Wagnermuseums in Bayreuth durch, wo lauter tolles Zeug gesammelt wird – unter anderem zeitgenössische Rezensionen zu den Aufführungen. Wenn ich also richtig Langeweile habe, kriege ich sogar bei Kieferwagner Archivarbeit unter.
Ich freu mich.