Was schön war, Donnerstag, 15. Dezember – Zweimal Weihnachten
Mittags war ich arg von den Senior*innen in der Cézanne-Vorlesung genervt, die dicke nackte Frauen anscheinend unfassbar lustig finden. Lauter pubertierende 70jährige, die hinter einem „Höhöhö“ machen, während ich kaum aus dem Augenrollen rauskam.
Meine schlechte Laune verflog aber schnell. Zunächst holte ich mir einen Ausstellungskatalog aus dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte ab, dann das vorgestern bestellte Buch für mein Patenkind. Sobald ich Bücher mit mir rumtrage, ist ja alles wieder gut. Aber es wurde noch besser.
In der Packstation wartete eine neue MacBook-Batterie auf mich – jedenfalls dachte ich das, als die SMS von DHL kam. Es kamen aber noch drei weitere und ich dachte, ach, das System spinnt wieder, egal. Aber als ich an der Packstation ankam, warteten wirklich vier Pakete auf mich, und nur eins hatte ich bestellt. Ich holte einen Karton nach dem anderen aus den Fächern und das war, haha, wie Weihnachten.
Tamara überraschte mich mit Michael Köhlmeiers Spielplatz der Helden – sie hatte das Buch auf meinem Wunschzettel gesehen und es gebraucht gekauft. He, Harald, dem dieses Buch 2004 von Margit geschenkt wurde: Das ist jetzt meins! Stefanie hatte sich für einen meiner Lieblingsschriftsteller Hanns-Josef Ortheil entschieden, zu dessen ungefähr zehn Büchern in meinem Regal jetzt noch Die Berlinreise kommt. Und Jutta überraschte mich mit Laura Cummings The Vanishing Man: In Pursuit of Velazquez, auf das ich sehr gespannt bin nach den tollen Kritiken. (Und nachdem ich im Prado endlich Las Meninas gesehen habe.) Vielen Dank an die drei Weihnachtsengel, ich habe mich wirklich sehr über diesen Geschenkeberg gefreut. (Ihr habt euch doch abgesprochen!)
Aber: Auch das war noch nicht alles.
Nach dem Amnesty-Referat hatte ich weiter über meine Hausarbeit nachgedacht. Eigentlich wollte ich mich im Referat mit den Imagefilmen von AI auf der internationalen Seite beschäftigen, aber das redete mir meine Dozentin liebevoll aus. Ich hatte sie aber noch im Hinterkopf für meine Hausarbeit, denn da fehlen mir noch dringend Quellen, an denen ich mich abarbeiten kann. Im Referat zeichnete ich die Zeit zwischen 1961 und 1989 nach und damit die Entwicklung von AI von einer kleinen, eher nord- und westeuropäischen Vereinigung, die per Brief Dreiergruppen von Gefangenen betreut (eine*n aus einem westlich-demokratischen, eine*n aus einem östlich-kommunistischen und eine*n aus einem sogenannten Entwicklungsland), zu einer weltweiten Massenorganisation, die erstens diese Dreiteilung wieder aufgibt und zusätzlich nun auf Themenkampagnen und Urgent Actions setzte; in den 1980ern kamen dann noch Konzerttouren etc. dazu, was aus Menschenrechten einen Teil der Popkultur machte (und in den USA dafür sorgte, dass Ende der 80er 85% der Mitglieder Schüler und Studentinnen waren). Ich fragte mich, ob man diese Veränderungen bzw. Ausweitung des Aufgabengebiets wohl auch an einer Münchner AI-Gruppe nachvollziehen könnte und schrieb gestern morgen eine dementsprechende Mail an den Münchner Bezirk, allerdings ohne große Hoffnung.
Aus der Literatur hatte ich gelernt, dass AI nicht von Anfang an ein Archiv hatte; es gibt eins in London (für AI UK) und eins in Amsterdam (AI international), aber beide erst seit Anfang der 70er Jahre. AI USA hat ein eigenes Archiv an der Columbia University, das sogar erst seit 1993 geführt wird (wobei ich ahne, dass da auch ältere Unterlagen liegen). Über die Qualität der Archive las ich verschiedene Aussagen von „gut geführt“ bis „gerade mal chronologisch geordnet, nicht wirklich archivarisch erschlossen“. Und von einem eigenen deutschen Archiv las ich gar nichts, aber das liegt vermutlich an mir und nicht an AI. Vielleicht habe ich da schlicht was überlesen, weil ich mich stark mit der internationalen Organisation und weniger mit der deutschen Sektion beschäftigte. In diesen Archiven gibt es außerdem Bereiche, die für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind; die betreffen vor allem die sogenannten Researcher, also die Damen und Herren, die die Informationen sammeln, aus denen AI Gefangenenprofile erstellt oder den Jahresbericht zum Stand der Menschenrechte, der seit 1962 (!) erscheint. Daher rechnete ich nicht wirklich damit, dass mir eine Münchner Gruppe ihre Akten öffnen möchte, vor allem, weil die Organisation auch wirklich was Besseres zu tun hat, als Studis bei ihren Hausarbeiten zu helfen.
Weil ich mich fast seit Beginn dieses Blogeintrags freue, ahnt ihr vielleicht, wie’s weiterging: Ich erhielt noch gestern abend eine äußerst positive Antwort. Nachdem ich etwas genauer erklärt hatte, wonach ich suche, bekam ich zwei Namen mit Kontaktdaten genannt; die betreffenden Herren arbeiten in Gruppen, die seit Jahrzehnten bestehen und die vermutlich größere Papierberge haben, in denen ich wühlen kann (wenn sie mich lassen). Dass meiner Bitte überhaupt und dann auch noch so schnell und unkompliziert entsprochen wurde, hat mich sehr gefreut, weswegen ich gestern breit grinsend vor dem Rechner mehrere Beckerfäuste machte. Ich glaube, ich verstieg mich sogar zu einem Tschak-kaaa!