Was schön war, Dienstag, 3. Januar 2017 – YouTube-Yoga
Morgens stand neben mir an der Haltestange in der U-Bahn eine Frau, recht schmal, knielanger, enger, grauer Mantel. Sie las in der Monatsvorschau der Pinakotheken, mit der linken Hand hielt sie sich fest. Sie trug einen goldenen Ring mit einem kleinen Stein am Zeigefinger. Ihr Haaransatz war nicht sichtbar, sie hatte ein breites Tuch, das die Haare hochband. Der Mantel war modern, ihre Brille auch, sie war eindeutig im Hier und Jetzt konnotiert, aber der Ring und das Tuch erinnerten mich sofort an alte niederländische Bilder, die in München in der, genau, Alten Pinakothek hängen.
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Im Zentralinstitut für Kunstgeschichte wieder mal über Leo und die Nachkriegskunst gelesen. Wegen der Begegnung in der U-Bahn hatte ich mir aber auch noch spontan einen Band mit niederländischen Altären an den Platz getragen. Mir fiel wieder einmal auf, wie einzigartig diese Werke sind. Kunst begeistert mich, fasziniert mich, regt mich auf, macht mich traurig, was auch immer. Aber die Werke von Memling, van der Weyden, van Eyck, Christus oder van der Goes sorgen in mir immer für eine tiefe, schwere Ruhe. Selbst wenn ich nicht vor den Originalen stehe, sondern nur einen Bildband vor mir liegen habe.
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Über den Königsplatz nach Hause gegangen.
Morgens hatte ich einen Tweet von Jasna in meiner Timeline, auf den ich, warum auch immer, klickte. Ich landete bei einem Yoga-Video, guckte die ersten Minuten an – und wollte sofort mitmachen.
In meiner Timeline auf Instagram oder Twitter sowie in einigen Blogs, die ich lese, ist Yoga seit Jahren präsent. Ich gucke mir das immer gutmütig an und frage mich, warum man beim Yoga anscheinend stets schlimm gemusterte Leggings tragen muss, aber ansonsten freue ich mich mit den Damen (es sind nur Damen), dass es ihnen anscheinend sehr gut tut, dieses Yoga. Mich selbst verbrezeln wollte ich nicht, einfach weil ich es mir nicht zutraue.
Ich hatte 2001 einen Bandscheibenvorfall, der operiert werden musste. Danach hatte ich sechs herrliche schmerzfreie Jahre, die mir sehr bewusst waren, weil ich Rückenschmerzen hatte, seit ich ein Teenager war. (Seit ich Weihnachten bei meinen Eltern mal wieder mein 15 Kilo schweres Akkordeon umgeschnallt habe, ahne ich, woher die kamen. Drecksding. Querflöte hätte ich lernen sollen, verdammt.) Nach diesen herrlichen sechs Jahren hatte ich einen zweiten Vorfall, den ich nicht mehr operieren lassen wollte, weil ich von der ersten OP einige doofe Nebenwirkungen mitbekommen habe: Einige Nerven sind beim Eingriff beschädigt worden, ich kann rechts nicht mehr auf Zehenspitzen stehen bzw. mich mit den Zehen abdrücken, was Treppensteigen sehr nervig werden ließ. Das gesamte rechte Bein, die rechte Pobacke und einige weitere, etwas intimere Körperteile wurden in Mitleidenschaft gezogen, was alles keinen Spaß macht und mit deren verringerter Gefühlsfähigkeit bzw. Funktion ich sehr lange gehadert habe. Deswegen hielt ich vor einigen Jahren ungefähr sechs Monate Scheißschmerzen aus, stand ständig unter Drogen und lernte auf die harte Tour, was meinem Rücken gut tut – nämlich oft genug Ruhe und leichte, vorsichtige Bewegungen. Nach jeder Krankengymnastik und jedem Kiesertraining, das ich natürlich auch ausprobiert habe, traute ich mich kaum, mir die Schuhe zuzubinden, weil ich dachte, mein Rücken bricht durch. Seit ich aber nett zu ihm bin und sehr vorsichtig mit ihm umgehe, geht es mir gut. Dazu gehört auch, einige Dinge einfach nicht mehr machen, zum Beispiel Getränkekisten zu schleppen. Leider gehören auch Golfabschläge dazu – eine ruckartige Drehung der Lendenwirbelsäule scheint mir nicht mehr angebracht zu sein. Ab und zu habe ich eine Wärmflasche im Kreuz, sobald ich das Gefühl habe zu verspannen, mache langsame Spaziergänge und trage fast täglich Einkaufstüten, anstatt mir Gewaltmärsche und Hanteltraining anzutun. So bin ich seit Jahren schmerzfrei – aber gleichzeitig vermutlich inzwischen übervorsichtig.
Vielleicht reizte mich deshalb diese kleine Yoga-Einheit: Sie kam mir erstens auch für einen dicken und außer durch Uniradeln und Einkaufstaschenschleppen untrainierten Menschen machbar vor. Und sie klang zweitens: achtsam. Das war mir neu, dieser sanfte Umgang mit dem eigenen Körper. Ich kannte eher die fordernde Krankengymnastenstimme mit dem beschissenen „In den Schmerz reinarbeiten!“ und das noch beschissenere „Sie wollen anscheinend gar nicht gesund werden“, als ich mich bei einer Übung weigerte, sie auszuführen, weil ich mich mit ihr nicht wohlfühlte.
Und so hatte ich den ganzen Tag bei der Arbeit das Video im Hinterkopf. Abends googelte ich schließlich nach fat yoga, ob ich irgendwas beachten sollte und stieß zum Beispiel auf den sehr guten Tipp, mich im Schneidersitz auf ein Kissen zu setzen anstatt auf den Boden. Dann zog ich mir ungemusterte Leggings an und ein weites Shirt, schnappte mir ein Kissen, setzte mich auf den Wohnzimmerfußboden (bzw. das Kissen) und klickte das Yoga-Video an.
Bis auf eine Ãœbung, in der man in Rücklage beide Beine gleichzeitig anheben sollte – das vermeide ich gnadenlos –, habe ich alles mitgemacht. Ich habe einen fat downward facing dog gebastelt und fand es nicht nur überraschend, sondern schlicht schön. Ich hätte mir ein etwas geringeres Tempo gewünscht, aber das mag daran liegen, dass ich wirklich keine Ahnung hatte, was ich machen sollte, weswegen ich noch am Körperteile sortieren war, während die Vorturnerin schon in die nächste Position krabbelte. Ich merkte, dass ich am Anfang noch sehr verspannt war, weil ich einfach damit gerechnet hatte, dass ich irgendwas nicht kann oder mir das nicht zutraue oder der Rücken anfängt rumzuzicken. Aber nach wenigen Minuten konnte ich mich auf meinen Atem konzentrieren und dann darauf, dass ein weites Shirt eine doofe Idee war, weil mir der Kragen dauernd im Gesicht hing, während ich auf allen Vieren im Wohnzimmer atmete. Aber auch das war irgendwann egal, weil ich dauernd dachte, ach guck, das kannst du ja auch, ohne dass was weh tut oder du ängstlich bist. Hätteste jetzt nicht gedacht. Die 23 Minuten vergingen viel zu schnell und ich habe mich sehr wohl und aufgehoben gefühlt, ganz anders als auf meinen bisherigen Matten, auf denen ich eher aufgefordert wurde, Dinge auszuhalten und durchzuziehen, während mir hier gesagt wurde, pass auf dich auf, fühl dich wohl, wenn irgendwas nicht geht, dann mach’s auch nicht. Achtsam eben.
Das war eine sehr unerwartete und schöne Erfahrung und gleichzeitig mal wieder eine Gelegenheit, den eigenen Körper zu spüren und positiv wahrzunehmen. Solche Gelegenheiten muss man sich ja gerade als dicker Mensch dauernd schaffen, um nicht irre zu werden in einer Gesellschaft, die unsere Körper ausradieren möchte, weswegen das gestern eine sehr willkommene Übung in Selbstliebe war.
(Breathe out.)