Was schön war, Freitag, 13. Januar 2017 – Frau Emcke
Den Vormittag verbrachte ich im Historicum, von wo ich auch ins FAZ-Archiv komme. Ich musste eh noch in einigen Büchern etwas nachschlagen, daher tauschte ich den Arbeitsplatz in der Stabi mit diesem. Erster Unterschied: Wo man sich in der Stabi mit der Bibliotheksnummer und Passwort einwählen musste, wollte das System hier meine Campuszulassung, also meine Uni-Mailadresse plus Passwort. Und dann saß ich da an einem Windows-Rechner, suchte das @-Zeichen, fand es – wusste aber nicht, welche Tastenkombi dafür sorgt, dass ich es tippen kann. Alle Apple-Griffe durchprobiert und irgendeiner hat dann funktioniert.
Einschub: Auf dem Nachhauseweg überlegte ich, auf welcher Taste das @ eigentlich auf dem Mac sitzt. Ich konnte mich nicht zwischen K und L entscheiden – ich wusste, es ist in der JKLÖ-Reihe, die ich mit rechts tippe, aber welcher Buchstabe es genau ist, musste ich ernsthaft nachschauen. Alle Windows-User*innen lernen jetzt: Auf dem Mac sitzt das @ auf dem L und man tippt es mit alt-L. (Haha, als ob in irgendeiner Bibliothek Macs stünden. Seufz.)
Zurück ins Historicum: Ich arbeitete mich in der FAZ bis 1977 vor; jetzt fehlen nur noch zwei Jahre, und dann kann ich all die schönen Dinge, die ich jetzt aufgeschrieben und vorsortiert habe, richtig sortieren. Außerdem bekam ich eine Mail aus dem Stadtarchiv, in dem ich nachgefragt hatte, ob in den vielen Pressesammlungen, die das Archiv hat, ganz vielleicht auch eine über Amnesty in München wäre? Wer hätte es gedacht: Es gibt sogar mehrere. Ich werde mir die Zeitungsausschnittsammlung ausheben lassen, die von 1968 bis 1982 geführt wurde – also fast genau mein Untersuchungszeitraum – sowie die sogenannten Dokumentationsschriften, die von 1976 bis 1982 vorliegen.
Ich ahne, dass meine Hausarbeit ungebührlich lang werden wird. (But oh so pretty!)
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Abends saßen F. und ich in den Kammerspielen und hörten aufmerksam Carolin Emcke zu, die aus ihrem Buch Gegen den Hass vorlas. Bzw. sie las nicht nur vor, sondern unterbrach sich gerne selbst, um uns etwas zur Entstehungsgeschichte des Buches zu erzählen oder das Geschriebene in einen neuen Zusammenhang zu setzen. Sie begann gleich damit, dass sie das Buch vor der Wahl Trumps geschrieben hätte; das Wahlergebnis war für sie immer noch unverständlich und unfassbar. Auch deshalb bin ich gespannt darauf, wie sich das Buch liest. (Natürlich hatte ich es mir vorher aus der Unibibliothek geholt und natürlich habe ich kein einziges Mal reingeguckt.)
Da sie keine Interviewerin mit sich auf der Bühne hatte, beantwortete sie sich selbst ein paar Fragen, die ihr anscheinend oft gestellt werden, unter anderem, ob sie das Buch heute nochmal so schreiben würde, was sie sehr lachen ließ: „Natürlich würde ich das heute nicht mehr so schreiben. Überhaupt würde ich nie wieder irgendwas so schreiben wie ich es mal geschrieben habe.“ (Ich zitiere aus dem Gedächtnis und ich hoffe, das passt alles so, ich wollte nicht mitschreiben, ich wollte nur zuhören, denn es war ein Genuss, Emcke zuhören zu dürfen.) Ohne mich auch nur im Geringsten mit ihr vergleichen zu wollen, aber so ging es mir nach meinem Buch auch und ich weiß, dass ich das Lektorgirl mehrmals vollgejammert habe, dass das so endgültig ist, dieses Manuskript. Das wird dann gedruckt und dann ist es da draußen und ich kann nichts mehr machen. Ich bin durch mein Blog so daran gewöhnt, alles ändern zu können, alles stets im Fluss zu lassen, nachträglich noch zehn Jahre alte Artikel zu ändern, wenn mir ein Rechtschreibfehler auffällt, dass mich das Buch wirklich beunruhigte. Das tut es noch immer, denn heute würde ich vieles im Buch ändern wollen. Nicht die Grundtendenz, aber zum Beispiel die Idee von gutem (Bio) und schlechtem (alles andere) Essen – völliger Quatsch. Alle, die das Buch haben: bitte mal einen Rotstift nehmen und das durchstreichen. Danke.
Emcke begann damit, sich beim Publikum fürs Dasein zu bedanken. Sie meinte, in der derzeitigen Stimmung, die auch durch die Medien transportiert würde, hätte man das Gefühl, alle würden nur noch hassen und brüllen und sich Argumenten verweigern (sie sprach mehrmals Talkshows im Fernsehen an). Ich musste an meine Twittertimeline denken, in der ich erst gestern den Namen des president elect gemutet habe, weil es mich jeden Tag verzweifeln lässt, schon wieder seine Ausfälle mitzubekommen. Ich möchte das nicht mehr. Die Menschen in den Kammerspielen wollten das anscheinend auch nicht, und Emcke freute sich darüber, dass es anscheinend eben doch noch Gegenstimmen gebe, wir müssten sie nur erheben.
Sie las über die Sorge, die sich auch sprachlich im „besorgten Bürger“ wiederfindet und nutzte das Beispiel der flachen Erde: Da machen sich Menschen Sorgen darum, dass man von ihr herunterfallen könne – warum tut der Staat nichts dagegen, warum regt sich niemand darüber auf, warum sieht denn niemand diese Gefahr? Das seien alles berechtigte Sorgen – wenn die Erde eine Scheibe wäre, was sie aber nicht ist. Auch das erinnerte mich wieder an den Riesenberg an Trump-Nachrichten: Ich mache mir viel zu viel Sorgen um Dinge, die nicht mal real sind.
Dann las Emcke über die Pluralität, die vielen verschiedenen Möglichkeiten, sich als Individuum zu verorten: „Ob sie Kippa tragen oder eine Lederhose oder Drag …“ Hier unterbrach sie sich selbst und meinte, sie hätte überlegt, ob sie die „Lederhose“ bei der Lesung besser weglassen sollte; ich nehme an, weil man das entweder als anbiedernd oder als überheblich hätte interpretieren können, aber das Publikum lachte und konnte damit anscheinend ganz gut leben. Außerdem wurde der FC Union Berlin erwähnt, wobei ich auch sofort an Teile meiner Timeline denken musste. Generell war die Lesung für mich ein einziger Assoziationsblaster, ich nickte innerlich die ganze Zeit, dachte Themen weiter, die Emcke nur anriss und war gleichzeitig gut unterhalten als auch intellektuell hervorragend angefüttert. Es gab langen Applaus, und sobald sich die Türen öffneten, erhob ich mich eilig und meinte zu F.: „Ich geh mal ein Buch kaufen“ (das lag natürlich stapelweise – und teilweise signiert – aus), woraufhin F. mir Geld in die Hand drückte und meinte: „Bring mir eins mit.“
Eingekauft. Eine sehr schlaue, unterhaltsame und hoffnungsvolle Lesung. pic.twitter.com/hMzxVrhZHD
— ankegroener (@ankegroener) 13. Januar 2017
Eine Formulierung mochte ich besonders; es sind die letzten vier Worte im Buch, die Emcke zum Abschluss las:
„‚Macht ist immer ein Machtpotential und nicht etwas Unveränderliches, Messbares, Verlässliches wie Kraft oder Stärke‘, schreibt Hannah Arendt in Vita Activa, ‚Macht […] besitzt eigentlich niemand, sie entsteht zwischen Menschen, wenn sie zusammen handeln, und sie verschwindet, wenn sie sich zerstreuen.‘(1) Das wäre auch die zutreffendste und schönste Beschreibung von einem Wir in einer offenen, demokratischen Gesellschaft: Dieses Wir ist immer ein Potential und nicht etwas Unveränderliches, Messbares, Verlässliches. Das Wir definiert niemand allein. Es entsteht, wenn Menschen zusammen handeln, und es verschwindet, wenn sie sich aufspalten. Gegen den Hass aufzubegehren, sich in einem Wir zusammenzufinden, um miteinander zu sprechen und zu handeln, das wäre eine mutige, konstruktive und zarte Form der Macht.“
(1) Hannah Arendt, Vita Activa, S. 194.
(Carolin Emcke, Gegen den Hass, Frankfurt am Main 2016 (6. Aufl.), S. 218.)