Tagebuch, Montag, 20. Februar 2017 – Schreibtischtag
In der Hausarbeit des Sommersemesters habe ich mich eher mit Leos Biografie beschäftigt und Irrtümer, (in meinen Augen) bewusste Auslassungen oder tendenziöse Formulierungen in der Forschungsliteratur korrigiert. In der vergangenen Woche las ich in verschiedenen Bibliotheken Bücher und Aufsätze über den expressiven Realismus, dem Leo von einigen wenigen Kunsthistoriker*innen zugerechnet wird, denn in diesem Semester setze ich mich stilkritisch mit ihm auseinander. Um im Referat mit den Augen zu rollen, reichten meinen bisherigen Kenntnisse, jetzt, für die Hausarbeit, will ich aber so ziemlich alles an dieser Stilrichtung zerpflücken, weswegen ich noch ein bisschen lesen musste.
Ich beantrage hiermit, „Alles Quatsch“ als valide wissenschaftliche Aussage anzuerkennen.
— Anke Gröner (@ankegroener) 18. Februar 2017
Das Grundgerüst steht seit Samstag, am Sonntag puschelte ich noch ein bisschen daran rum, verschob, korrigierte, was ich halt so mache mit Texten. Gestern begann ich dann mit dem Leo-Teil, für den ich seine betreffende Literatur neu sichtete, die netterweise auf dem heimischen Schreibtisch liegt. Der Fokus lag bisher, wie gesagt, auf seiner Biografie, das heißt, ich nannte im Forschungsstand Blödsinn wie „der Mann galt als entartet“ oder „dufte nicht ausstellen“ oder „durfte nicht Mitglied der Reichskammer der bildenden Künste werden“ – er durfte letzteres nicht, weil er kein deutscher Staatsbürger war; das meine ich mit tendenziös. Die Forschungsliteratur besteht bei ihm hauptsächlich aus Museumskatalogen; es gibt gerade eine Monografie, und die hatte eine klare Agenda. Dagegen konnte ich wunderbar anargumentieren.
Dieses Mal geht es aber um seine Bilder und ob die dem expressiven Realismus entsprechen. Ich schreibe jetzt nicht auf, was ich an dieser Stilrichtung für sinnlos halte – Kurzfassung: alles –, aber jetzt muss ich natürlich andere Dinge aus der Literatur zitieren. Also las ich gestern die Aussagen über seine Bilder und Zeichnungen.
Hadere mal wieder mit der blumig-unkonkreten kunsthistorischen Literatur. Fasse Forschungsstand mit „fanden alle irgendwie okay“ zusammen.
— Anke Gröner (@ankegroener) 20. Februar 2017
Ich weiß, ich weiß. Die Versuchung, den vielen wunderschönen Adjektiven und Adverbien zu erliegen, ist gerade in kunsthistorischer Literatur sehr groß. Bei Bildbeschreibungen kommt man kaum um sie rum, aber manchmal geht einfach jede Sinnhaftigkeit flöten, und das ärgert mich. Man kann auch Bildinhalte präzise beschreiben, Emotionen, die dadurch erweckt werden oder künstlerische Prozesse. Man kann natürlich auch sowas schreiben, wenn es bei Leo um seine abstrakten Experimente geht:
„[Von Welden] unterwarf seinen Realismus einer Nachprüfung, ohne allerdings zu einem anderen Ergebnis zu kommen als dem, daß sein Realismus – wie schon längst erstrebt und vollzogen – in tieferen Schichten durch die Bewältigung abstrakter Formen voll gedeckt war.“[1]
Alter! Was willst du mir damit sagen? „In tieferen Schichten“? Unter dem Abstrakten verbirgt sich der Realismus? Unter dem Realismus verbirgt sich das Abstrakte und muss daher in höheren Schichten, wo auch immer die sind, nicht mehr durchgedacht werden? WTF?
Bei derartigen Texten werde ich inzwischen sehr pissig. (Beim Forschungsstand nicke ich entweder alles ab und finde alles toll oder werde sehr pissig.) Ich hasse dieses Unkonkrete, in das sich kunsthistorische Literatur so gerne flüchten kann, weil es angeblich wissenschaftlich klingt. Auch wissenschaftliche Texte können – und sollen, verdammt noch mal – lesbar sein, wozu schreibe ich sie denn sonst? Sinnloses Wortgeklingel braucht gerade hier niemand und bringt uns auch nicht weiter.
Alles muss man selber machen. Und damit weiter im Text. (Diesen Ausdruck in meinem Wortschatz habe ich von der Werbung übernommen, der passt für alle Textarbeiter*innen.)
[1] Kat. Ausst. Leo von Welden 1899–1967, Pavillon Alter Botanischer Garten, München, 3.–26. Oktober 1979, Rosenheim 1979, ohne Seitenangabe.