Tagebuch, Montag, 27. Februar 2017 – 4.000 Zeichen gekürzt, 10.000 to go

Frühling ist mir ja eigentlich egal (TEAM HERBST!), aber es gibt kaum Dinge, die mein Serotoninlevel so schnell nach oben zaubern wie mit Übergangsjacke (keine schwere Winterjacke) bei Sonnenschein (kein blöder Schnee, bei dem ich nicht radfahren möchte) in Richtung Bibliothek (duh) zu radeln (weil radeln).

In der Stabi zückte ich allen Ernstes die BSB-Navigator-App, weil ich in einen Lesesaal musste, in dem ich noch nie war. Wie ich jetzt weiß, ist der Lesesaal Musik, Karten und Bilder der kleinste von allen (46 Plätze, wie niedlich) und im ersten Stock. Der Klassiker-Moment beim Blick auf den Gebäudeplan: „Ach, da geht’s noch weiter?“

Aber zunächst ging ich in den Allgemeinen Lesesaal (636 Plätze und trotzdem kaum jemals was frei), wo ich mal wieder Zeug auslieh und anderes abgab. Gestern las ich zwei Veröffentlichungen des Völkischen Beobachters, weil ich auf der Suche nach Bildern von Schlauchbooten im Kriegseinsatz war – fragt nicht, ich beiße mich mal wieder irgendwo auf einer Nebenbaustelle fest – und mir dachte, wenn der Beobachter Bücher über den Frontverlauf 1940 und 1941 rausgibt, könnten da vielleicht Bilder drin sein. Waren sie leider nicht, aber dafür fand ich was anderes, was ich kurz in der Leo-Hausarbeit notierte, aber ich ahne, dass das wieder rausfliegt. (Siehe Überschrift.)

Dann ging ich topcheckermäßig in den Lesesaal Musik, Karten und Bilder, weil ich ja total wusste, wo der war. Dort hatte ich mir einen Jahresband der Zeitschrift Die Wehrmacht von 1939 rauslegen lassen, weil ich da auch Bilder vermutete. Da ich in diesem Saal noch nie war, fragte ich erstmal, wo ich denn meine Bücher fände – aha, im Regal nach Nachnamen geordnet, nicht wie sonst nach der Bibliotheksausweisnummer. Im Regal lag aber nichts, weswegen ich nochmal nachfragte, woraufhin die Aufsicht hinter sich im Regal nach dem Band schaute. Ja, da ist er, aber ich müsste doch bitte noch diesen Beleg ausfüllen und unterschreiben, denn das Material sei ja … nun ja … anders. Das kannte ich noch nicht, dass ich bei Zeug aus der NS-Zeit unterschreiben musste, dass ich es nur zur wissenschaftlichen Verwendung nutze. Ich musste außerdem Namen, Anschrift, Ausweisnummer und Thema meiner wissenschaftlichen Arbeit angeben. Da ich gerade ohne jede Einschränkung Kram vom Völkischen Beobachter gelesen und in den vergangenen Semestern ähnlich kritisches Zeug unbehelligt hatte ausleihen können, wunderte mich das schon. Aber egal, Hauptsache, es ist da und ich kann reingucken.

Dort fand ich auch, was ich suchte: Schlauchbootwerbung. Ich fand außerdem Werbung für Uniformen, Patronenhülsen, bestimmte Metalle und Kugellager, auch super für die Flakabwehr. Daneben Werbung für Zahnpasta und Diätmittelchen für den deutschen Mann. Außerdem fiel mir auf, wie hochwertig das Magazin produziert war: große Fotos, gute Typo, alles ordentlich gesetzt – das war kein billiges Landserheftchen. Wenn man auf die Herrenmenschenästhetik steht, hat man da schön was zu gucken. Ich ahnte so langsam, warum die Bibliothek wissen wollte, wer sich sowas ausleiht.

In einem so kleinen Lesesaal ist es übrigens irre laut, in alten Zeitschriften zu blättern.

Nach der Stabi radelte ich IN ÜBERGANGSJACKE BEI SONNENSCHEIN in ZI, wo ich weiter an Leo rumkürzte. Also erstmal natürlich noch Zeug ergänzte, ist klar, da ist ja immer noch ein Buch, in das ich dringend reingucken muss, aber so allmählich kam in den First Draft ein bisschen mehr Zug. (Ich schrecke, gerade nach dem Absatz eben, vor dem Begriff „Disziplin“ zurück.) Ich begann mit dem üblichen Vorgang, meine Darlings zu killen und verabschiedete mich zum zweiten Mal von Oskar Maria Graf. Ob ich mich auch von Conrad Felixmüller verabschiede, weiß ich noch nicht. 10.000 Zeichen to go.

Nach sieben Stunden Bibliotheksarbeit heißhungrig in den Supermarkt gefahren, wo ich mich eigentlich auf Ofengemüse mit kurz blanchiertem, knackigen Lauch und Kräuterquark festgelegt hatte, aber dann sah ich eine Packung Schinkenspeck und vor meinem geistigen Auge entstand eine heiße Schüssel Spaghetti Carbonara. Die ist es dann auch geworden. Essen ist so großartig. Ich bin immer noch pissig auf mich selbst, dass ich erst 40 werden musste, um das zu kapieren.