Was schön war, Sonntag, 23. April 2017 – Ägyptisches Museum

F. und ich hatten schon vor längerer Zeit einen Urlaubstag in der eigenen Stadt eingeplant. Uns war aufgefallen, dass wir uns hier zwar dauernd sehen, dass aber natürlich immer einer von uns irgendwo hin muss, irgendwas machen muss, früher als der andere aufstehen muss etc., während wir im Urlaub gemeinsam den Tag verbringen, uns durch die Stadt treiben lassen, irgendwo einkehren, um was zu essen, und meistens mindestens ein Museum am Tag erkunden. Also nahmen wir uns das für diesen Sonntag vor.

Das mit dem Treibenlassen hat überhaupt nicht geklappt; stattdessen lungerten wir beide bis Mittag im Bett rum, lasen, redeten, dösten wieder kurz weg oder daddelten nebeneinanderliegend an unseren iPhones. Ich fand es ganz herrlich.

Dann rafften wir uns auf, verzichteten aber aufs Frühstück, sondern gingen gleich auswärts Mittag essen. Wir testeten das Bami House an, in dem vietnamesisches Streetfood serviert wird, und ließen uns jeweils ein Sandwich und einen Mango-Eistee schmecken. Der Laden ist winzig und quietschbunt, was mir beides sehr gefiel, genau wie das Essen – man sollte allerdings Koriander mögen. (Mag ich. Hab ich mich brav in den letzten Jahren rangegessen.)

Als Nachtisch gab es eine Kugel Eis vom Ballabeni (cremigstes Eis der Stadt), die wir vor dem Brandhorst stehend genossen, damit ich mein Lieblingshaus von Sep Ruf in der Theresienstraße angucken konnte.

Danach schlenderten wir zum Ägyptischen Museum, in dem wir beide peinlicherweise noch nie waren. Wir rennen oder radeln dauernd daran vorbei, aber zum Reingehen hat es irgendwie noch nicht gereicht. Jetzt aber! Wofür sind Urlaubstage da?

Schon die Architektur fasziniert mich seit Jahren. Das Museum liegt komplett unterirdisch; eine flache Treppe führt auf eine sehr schmale Tür in einer breiten, betongrauen Front zu, so dass es sich anfühlt, als würde man eine Grabkammer betreten. Wir stellten freudig überrascht fest, dass auch das Ägyptische Museum am Sonntag nur einen Euro Eintritt kostet, was wir aus anderen staatlichen Museen kannten. Schwabentipp! Uns wurde auch gesagt, dass ein Pfeil auf dem Boden uns durch die gesamte Ausstellung führen würde, und dementsprechend gingen wir brav dem Pfeil nach, was schlau war, denn das Gebäude ist recht verwinkelt.

Gleich der erste Satz auf der Website des Museums macht klar, was einen erwartet: keine große Sammlung. Danach kommt aber gleich der Vorteil: „Die Kompaktheit der Ausstellung ermöglicht es dem Besucher, in einem überschaubaren zeitlichen Rahmen einen Überblick über 5000 Jahre Kunst und Kultur des alten Ägypten zu erhalten – eindrücklicher als in manchem der ganz großen und daher unübersichtlichen Museen.“ Was ich vor dem gestrigen Besuch als notwendige Koketterie empfunden hatte, kann ich jetzt heftig nickend bestätigen. Man wird nicht mit Zeug zugeballert, sondern bekommt ausgewählte Stücke zu sehen, nach denen man aber wirklich den Eindruck hat, etwas mitnehmen zu können anstatt einfach nur Masse.

Schon im ersten Raum stellte ich an mir fest, dass ich Kunstwerke anders betrachte als früher (was nach neun Semestern auch armselig wäre, wenn dem nicht so wäre), aber mich überraschte es doch, dass dieses andere Sehen auch an ägyptischen Reliefs funktionierte. Zuerst der Gesamteindruck und dann das vertiefte Schauen auf einzelne Abschnitte des Werks; bei europäischer Kunst gucke ich nach mir bekannter Ikonografie, um mir das Werk zu erschließen, und ich stellte fest, dass all die wunderbaren Dinge, die ich mir als Kind mal über Ägypten angelesen hatte, wieder da waren. Ich erkannte den Falkengott Horus, ich sah den Schakal, der für Anubis steht, und den mumifizierten Osiris, das Schleifenkreuz, das Schilfrohr und das Seil, das für mich immer wie eine Zuckerzange aussieht. Ich erinnerte mich daran, wie unsere Studiosus-Führerin uns an Tempelwänden erklärt hatte, wie man Hieroglyphen lesen kann, was ich natürlich nicht kann, aber es war schön, wieder vor Fragmenten von Wänden zu stehen und die Zeichen anzuschauen. Nebenbei: In einem Raum des Museums, in dem es nur um Schrift und Textarten geht, ist ein Fragment Zeile für Zeile transkribiert worden. Davor stand ich recht lange.

Überhaupt war die Raumaufteilung sehr schlau: Man betrachtet die Objekte nicht chronologisch, sondern thematisch geordnet. Der erste Raum holt einen mit schönen Statuen, steinernen Köpfen und Fragmenten ab und erklärt auch gleich an einem Touchscreen, welche Arten von Skulpturen die alten Ägypter so hatten. Ich kannte natürlich die Formen der Figuren – stehend, gehend oder sitzend –, aber dass es dafür auch Namen gibt, wusste ich nicht. Innerlich spulte ich im Kopf sofort die verschiedenen kunsthistorischen Begriffe für menschliche Abbildungen europäischer Provenienz ab (Porträt, Kniestück, Ganzkörperfigur etc.). Natürlich gibt es das auch für Skulpturen, und jetzt kenne ich ein paar der Begriffe für ägyptische. Und ich begegnete dem ersten Touchscreen, von denen in jedem Raum welche waren, die zum Rumklicken und Nachlesen einluden, immer intuitiv und mit genau der richtigen Textlänge. Vor diesen Screens standen mehr Kinder als Erwachsene und lasen auch, anstatt nur zu klicken. Überhaupt: viele Kinder, und anscheinend hatten alle viel Spaß. Ich hörte jedenfalls dauernd „Papa! Mama! Guckt mal!“ und sah Kinderhände, die an Erwachsenenärmeln zogen.

Ich mochte den Raum „Kunst und Zeit“ am liebsten, weil er die kunsthistorische Entwicklung der Reiche aufzeigte; man konnte schön ablesen, wie sich Darstellungen veränderten und entwickelten. Mitten im Raum stand eine Wand, die sich mit Echnaton befasste, dem einzigen Pharao, den man immer wiedererkennt, weil er nicht so idealisiert dargestellt wurde wie die anderen. Ich sah dort auf Grabreliefs eine weitere Eigenart, die ich mir aus Kinderbüchern gemerkt hatte: die Salbkegel, die sich die ägyptischen Damen auf die Perücke setzten, die dann im Laufe des Abends schmolzen. Außerdem erkannte ich die weiße und die rote Krone (für Ober- und Unterägypten) auf Reliefs wieder, lernte die blaue Krone kennen und erfreute mich an einer Vitrine voller Uschebtis (ich hatte F. gerade fünf Minuten vorher vorgeschwärmt, dass im Ägyptischen Museum in Kairo gefühlt dutzende von Vitrinen standen, in denen die Uschebtis von Tutanchamun auf ihren Einsatz warteten).

Sehr beeindruckt hat mich die kleine Sammlung an römischen Totenmasken. Ägypten wurde kurz vor unserer Zeitrechnung römische Provinz, so dass sich Sitten und Gebräuche mischten. Die Ägypter legten ihre Verstorbenen in dieser Zeit in bemalte Holzsärge und bedeckten das Gesicht mit einer Maske, die dem Toten ähnelte. In einer Vitrine waren nun hölzerne Totenmasken von römischen Verstorbenen abgebildet, die ikonografisch mit den Abbildungen übereinstimmten, die ich aus der Antike kannte, die aber trotzdem einen ägyptischen Einschlag hatten, was mich sehr faszinierte. Generell wurde ich in einem weiteren Raum, ich glaube, er hießt „Ägypten und Rom“ mal wieder daran erinnert, dass sich Epochen der Kunstgeschichte mischen und es nie ein klares Ende und einen klaren Anfang gab. Alles beeinflusst alles, und so ähnelten sich manche Darstellungen und waren doch ganz anders als erwartet. In diesem Raum gab es auch viele Schubfächer, die man aufziehen konnte, in denen Stoffreste zu sehen waren, was mich sehr erstaunte. Ich wusste, dass es sehr schwierig ist, textile Stoffe zu konservieren, und hier lagen die einfach vor mir und ich konnte ihre feine Webart aus nächster Nähe bewundern. Das hat mir fast mit am besten gefallen; auch dass ich selbst entscheiden konnte, was ich sehen möchte und was nicht und nicht willenlos an einer Vitrine nach der anderen vorbeigeschleust werde. (Nebenbei: großes Lob für ausreichend Sitzgelegenheiten.)

Ich staunte über einige Porträtköpfe, die ich in die total falsche Dynastie verortet hätte, grinste über römische Imitationen von ägyptischen Statuen, die aussahen wie aus einem schlechten Hollywoodfilm, erfreute mich über die gut gewählten Themen und die sinnvolle Besucherführung und genoss die schlichte, aber effektvolle Architektur. Während F. von den Sarkophagen für Spitzmäuse fasziniert war, bestaunte ich eine Doppelstatue und meinte noch, so was hätte ich noch nie gesehen, bis ich nach dem Besuch im Flyer las, dass diese Statue in ihrer Darstellung einzigartig ist.

Wir ließen uns viel Zeit und blieben fast zwei Stunden in den Räumen und hatten beide danach das Gefühl, dass man ruhig nochmal hingehen könnte. Falls das also bisher noch nicht klargeworden ist: großer Tipp.

F. gönnte sich danach ein Schläfchen, ich mir eine Folge Deep Space Nine, dann stellte ich mich an den Herd, und wir genossen zum Essen eine Flasche Wein, die sich als so komplex herausstellte, dass wir drei Stunden mit ihr beschäftigt waren.

Liebes Tagebuch, das war ein sehr schöner Ferientag.

Edit, 25. April: Ich wurde gebeten, diesen Beitrag bei der Blogparade #perlenfischen des Infopoints Museen & Schlösser in Bayern einzureichen. Erledigt – und hiermit natürlich auch der Hinweis an euch, auch die anderen Museen zu entdecken, die dort beschrieben wurden.