Was schön war, Dienstag, 19. September 2017 – Flutlichtspiel
Die englischen Wochen sorgten dafür, dass F., eine weitere Münchner Mitfahrerin und ich uns gestern abend (statt Samstagnachmittags) in den Zug nach Augsburg setzen, um uns ein bisschen Fuppes zu gönnen. Im Feierabendpendlerzug gondelten wir westwärts, erwischten am Bahnhof gleich eine angenehm leere Tram und waren um halb acht am Stadion.
Das Augsburger Stadion, die WWK-Arena, ist eigentlich ein grober Klotz, also genau mein Ding, denn den Brutalismus mag ich sehr gerne. Allerdings vor allem im Verbund mit anderen Architekturstilen – eine ganze Stadt à la Blade Runner würde mich vermutlich wahnsinnig machen, aber als punktueller Hingucker zwischen den ganzen feinen Altbauten und glatten Stahl- und Glaslangweilern mag ich grobe Klötze halt gern. Die Arena steht in Augsburg auf freier Wiese, und als ich sie das erste Mal sah, verliebte ich mich sofort in sie. Kein Schnickschnack, keine verkleidete Fassade, man sah nur Streben und die Schüssel, in der innen die Ränge sitzen, das war’s. Form follows function und albert nicht rum. (Wobei ich ja bekanntermaßen nichts gegen Arenen habe, bei denen die Form außergewöhnlich ist.)
Für diese Saison hat sich die Arena etwas aufgerüscht; der Sponsor zahlte eine Verkleidung aus einem metallenen Strebewerk, das mit Leuchtstäben durchsetzt war. Das konnte man in den vergangenen Wochen schon sehen, aber die Beleuchtung wurde gestern erstmals eingesetzt. Als Besucherin der Allianz-Arena, deren komplette Fassade aus Leuchtelementen besteht und damit einen sehr kraftvollen Punkt macht, war ich von den Augsburger Lichtlein ein bisschen enttäuscht.
Außerdem musste ich mir sagen lassen, dass die Dienstags- und Mittwochsspiele ab dieser Saison nicht mehr um 20 Uhr, sondern erst um halb neun anfingen. Wir hatten also eine lockere Stunde Zeit, um die traditionelle Stadionwurst zu genießen, aber ich richtete mich nölig darauf ein, noch später als gedacht wieder in München zu sein. Ähnlich dachten wohl auch viele Leipziger; der Gästeblock war äußerst spärlich gefüllt. Außerdem machte ich mir nun Sorgen um meinen Liebling in Augsburg (neben dem Kasperl und der Wurst), dem Kid’s Club, der vor dem Spiel zur Vereinshymne durchs Stadion zieht und dem man gefälligst zuwinkt, wenn er vorbeikommt. (Es rührt mich immer noch.) Müssen die ganzen lieben Kleinen nicht schon längst im Bett sein? So war es auch: Ein stark ausgedünnter Kinderklub drehte seine Runde, aber er war da, ich winkte und war gerührt.
Die Nordwand im Stadion packte dann lustige Ballons aus, die sie zusammen mit den Fahnen schwenkten. Ich sinnierte innerlich vor mich hin: „Die langgestreckten Elemente greifen ikonografisch die Lichtstreben der Fassade auf und schaffen so einen sichtbaren Zusammenhang zwischen Außen- und Innenteil der Arena.“ Die fünf Jahre Kunstgeschichtsstudium haben sich total gelohnt.
Dann war keine Zeit mehr zum Sinnieren, es wurde gebrüllt und schon nach wenigen Minuten gejubelt, als Augsburg mit 1:0 in Führung ging. Diese Führung wurde dann mit allem, was diese Mannschaft hat, über die 90 Minuten gerettet, und wir traten sehr zufrieden den Heimweg an.
Nach dem Spiel leuchtete die Arena einheitlich in grün, was alle Besucher*innen ein bisschen ungesund aussehen ließ; es gefiel mir aber besser als das Rotgrünweiß der Vereinsfarben, das zu punktuell war, um wirklich ein großes Bild zu zeichnen. (Hier halfen übrigens noch grüne Strahler nach, die auf die Arena gerichtet waren.)
Bis heute abend ist Augsburg Tabellendritter, was völlig irre ist. In so ziemlich allen Saisonprognosen setzten die Expert*innen den FCA auf den letzten Platz und sahen ihn als klaren Absteiger. Im Moment fühlt sich das sehr anders an, aber, yay, Fußballersprech: Die Saison ist noch lang.
Ich habe mich gefreut, RB Leipzig mal live zu sehen. Ja, über Leipzig kann man sehr viel meckern (Transferpolitik, Marketingklub etc.), aber so ganz kann ich das Gefühl nicht abschütteln, dass es schön ist, auch im Osten wieder einen Erstligaverein zu haben. Zudem hat RB in der letzten Saison richtig schönen Fußball gespielt, den ich mir durchaus öfter angeschaut habe. Von diesem schönen Fußball war gestern allerdings nichts zu sehen, weil Augsburg halt Augsburg war. Die Mannschaft ist offensiv nicht stark genug, um selbst das Spiel zu machen, also nutzt das Team individuelle Fähigkeiten und eine beeindruckende mannschaftliche Geschlossenheit, um stattdessen das Spiel des Gegners zu Kleinholz zu machen. So ziemlich jeder Spielzug wird gestört, und das hat gegen Leipzig, dessen Stärke das elegante, fließende und schnelle Passspiel ist, gestern sehr gut geklappt. Wieder kein schönes Spiel, aber das erwarte ich beim FCA auch gar nicht mehr. Stattdessen freue ich mich hier über gefühlt bedingungslosen Einsatz für das Team. Also das, was man manchmal beim FC Bayern vermisst, weil jeder Spieler eine eigene Agenda hat. Ich finde es sehr spannend, allmählich unterschiedliche Spielweisen identifizieren zu können, weil ich jetzt regelmäßiger im Stadion bin als vorher bei Bayern. Auch wenn ich dafür erst gegen 1 Uhr im Bettchen war.
(Dritter! Alter!)