Tagebuch, Sonntag/Montag, 17./18. September 2017 – Hans-guck-nicht-in-die-Luft
In der Nacht von Samstag auf Sonntag schlief ich herrlich tief und fest, merkte aber beim Aufstehen, dass ich mir irgendwas im Nacken gezerrt hatte – oder was auch immer da physisch passieren kann im Nacken- und Schulterbereich. Es führte jedenfalls dazu, dass es äußerst unangenehm war, den Kopf in den Nacken zu legen oder ihn seitwärts zu drehen. Nach unten gucken konnte ich allerdings prima und schmerzfrei, was schön war, denn so konnte ich Kaffee und Kürbissuppe zubereiten und vor allem: lesen. Das ist seit Jahren meine Horrorvorstellung: irgendwas ist mit den Augen, ich kann nicht mehr lesen, oder was mit den Händen, ich kann nicht mehr schreiben. Alle anderen körperlichen Einschränkungen kommen mir irgendwie machbar vor, aber Augen und Hände sollen bitte bis zur Stunde meines Todes möglichst gut funktionieren. Sagte die Dame mit minus 4,5 Dioptrien links und einem in der Kindheit angebrochenen linken kleinen Finger, der nicht ganz richtig wieder zusammengewachsen ist. Oh, Moment, alles, was mit Essen zusammenhängt, soll bitte auch funktionieren, Kiefer, Zunge, Speiseröhre, Magen, Verdauungstrakt. Ich kann mir kein gutes Leben ohne gutes Essen mehr vorstellen, das möchte ich bitte auch noch ein paar Jahrzehnte genießen dürfen. Danke, Universum.
Ich verbrachte den Sonntag neben Lesen und Kürbissuppe schlürfen damit, alle 30 Minuten mein geliebtes Körnerkissen in den Backofen zu legen, um es aufzuheizen und es mir danach in den Nacken zu legen.
Einschub: Als meine beste Freundin letzte Woche hier war, gingen wir mit den jeweiligen Partner*innen essen, und ihre Frau fragte mich, ob ich Hamburg vermissen würde. So direkt hatte ich mir diese Frage noch nicht gestellt, ich überlegte kurz und konnte dann sagen: Nein, ich vermisse Hamburg nicht. Ich vermisse meine engen Freund*innen, die blöderweise alle dort wohnen, und ich vermisse immer noch unsere riesige Altbauwohnung, aber die Stadt an sich oder mein Leben dort vermisse ich nicht. Das fand ich schön, das überzeugt sagen zu können.
Zurück zum Körnerkissen: Ich vermisse die Mikrowelle in unser riesigen Altbauwohnung! OMG vermisse ich diese Mikrowelle! Ich hatte selbst nie eine, weil ich wirklich nicht wüsste, was ich in ihr zubereiten sollte, was nicht auch auf dem Herd geht, aber ich habe gelernt: Körnerkissen werden in ihr in lächerlichen drei Minuten brüllend heiß und halten die Wärme mindestens eine Stunde. In meinem blöden Backofen dauert es eine halbe Stunde, bis das Kissen die gewünschte Temperatur hat, und dann ist es wiederum nach einer halben Stunde schon wieder abgekühlt. Das hat mich Sonntag sehr genervt, aber ich bin immer noch nicht bereit, mir so einen blöden Klotz zu kaufen, der nur Platz in meiner Küche wegnimmt und den ich eigentlich nur brauche, wenn mir mein Nacken oder mein Rücken weh tun, was sie netterweise nicht sehr oft tun. Aber wenn sie weh tun, lungere ich jedes Mal wieder auf Elektromarktwebsites rum, um die kleinste und billigste Mikrowelle rauszufinden, die ich nur dazu benutzen würde, mein Körnerkissen heiß zu kriegen.
Gestern ging es dem Nacken weitaus besser, auch wenn die Nacht etwas anstrengend war, denn Liegen war leider nicht ganz schmerzfrei, trotz Tablette und Körnerkissen. Ganz weg war die Verspannung noch nicht, weswegen ich gestern nicht wie geplant im ZI saß und lustige Dinge aus der NS-Zeit nachlas, sondern auf dem Sofa blieb und andere lustige Dinge las. Ich begann ein Buch aus der Stabi von Carola Dietze, bei der ich noch im Bachelor (VOR HUNDERT JAHREN!) eine Vorlesung hatte, die auf diesem Buch (ihrer Habil) beruhte: Die Erfindung des Terrorismus in Europa, Russland und den USA 1858-1866. Sie geht davon aus, dass Terrorismus mehr ist als nur politisch motivierte Gewalt, sondern ein Phänomen, das erst entstand, als der Gewalt mediale Aufmerksamkeit geschenkt werden konnte, was vor dem 19. Jahrhundert nur eingeschränkt, wenn überhaupt, möglich gewesen war. Mich persönlich interessieren im Buch die USA; damit werde ich vermutlich anfangen. Was mich an dem Buch außerordentlich freut: Die Dame schreibt trotz wissenschaftlichem Anspruch äußerst verständlich und lesenswert, wovon ihr euch in der verlinkten Leseprobe gerne überzeugen könnt.