Tagebuch, Samstag/Sonntag, 30. September/1. Oktober 2017 – Altona-Tränen
Am Samstag stand wieder ein Augsburg-Spiel auf dem Plan. Ich war schon den ganzen Vormittag latent traurig, wusste aber nicht, warum, denn ich freute mich auf das Spiel und den @Surfin_Bird, der F. und mich begleiten würde. Wenn ich dieses Spiel mit meiner halben Dauerkarte bestritten hätte, wäre ich vermutlich auf dem Sofa unter der Decke geblieben, aber bei dieser Begegnung war der eigentliche Karteninhaber wieder im Stadion, weswegen ich 40 Euro für eine Karte ausgegeben hatte. Ich weiß nicht, ob das der Grund war, mich doch aufzuraffen oder schlicht die Vorfreude aufs Spiel – auf jeden Fall ging ich aus dem Haus, wenn auch ohne Trikot und Schal, sondern in meinen normalen Klamotten. Als ich am Hauptbahnhof auf den Bahnsteig gehen wollte, auf dem wir uns immer treffen, um nach Augsburg zu zuckeln, fiel mein eh schon wackeliger Blick auf das Nachbargleis, auf dem gerade ein ICE darauf wartete, nach Hamburg-Altona zu fahren. Und ehe ich begriff, was passierte, kullerten die ersten Tränchen und ich drehte mich um und hoffte, die Jungs hatten mich noch nicht gesehen. (Hatten sie, wie ich später erfuhr.) Ich ging ein paar Meter zurück zum Infostand zur neuen Stammstrecke und dem geplanten Umbau des Hauptbahnhofs, der wie ein kleines Häuschen mitten im Bahnhof steht. Dort versteckte ich mich, heulte minutenlang vor mich hin und las mir, um mich abzulenken, die ganzen Infotafeln durch. Ich kenne jetzt auch das Architekturmodell für den neuen Hauptbahnhof auswendig, und soweit ich das durch den Tränenschleier beurteilen kann, wird das Ding echt okay.
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Das Spiel war dann recht nervig, auch weil sehr viele Dortmunder Fans im Stadion waren und die Kulisse sich deswegen nicht ganz so heimspielig anfühlte. In der ersten Halbzeit war Dortmund klar besser und führte zur Pause mit 2:1, auch weil beim zweiten Tor die Augsburger Verteidigung reiner Slapstick war. In der zweiten Halbzeit machte der FCA aber das, was er am besten kann: den Gegner auf sein Niveau runterziehen. Auch der BVB bekam kaum noch Pässe zustande und schoss zeitweilig nur noch hoch und weit in den Strafraum. Das Spiel wurde hakeliger, und zu allem Überfluss störte der neue, beknackte Videobeweis die Spieldynamik zusätzlich. (Womit die Spieler anscheinend besser umgehen können als wir als Publikum.) Das war alles grottig anzusehen, aber ich persönlich fand es beruhigend, dass Augsburg gegen Dortmund nicht untergegangen ist. Wenn die Mannschaft die restliche Saison ähnlich agiert, dürfte der Klassenerhalt kein Problem sein. (Und dann kaufe ich mir eine eigene Dauerkarte.)
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Den Sonntagmorgen verbrachte ich bei F. Wir lungerten ewig im Bett rum und beschlossen zur Mittagszeit, dass man ja mal frühstücken könne, was wir dann im Görreshof taten, wo ich statt Croissants und Kaffee Schnitzel in Breznpanade und Apfelschorle genoss. Das machen wir selten, so lange an freien Tagen morgens zusammen zu sein; meist will derjenige, in dessen Wohnung man sich gerade nicht befindet, sich irgendwann frischmachen und den Tag starten, während der andere noch rumliegen will. Das sind die Momente, wo ich Zusammenleben vermisse. Wir wohnen keinen Kilometer auseinander, es ist also kein Akt, mal eben zum anderen rüberzugehen oder zu radeln oder den Bus zu nehmen, der uns ernsthaft von Haustür zu Haustür schaukelt. (Wir haben quasi Chauffeurservice.) Trotzdem mag ich es, dass jeder seinen Tag im eigenen Tempo starten kann und man trotzdem zusammen ist. Ich mochte das in anderen Beziehungen gern, dass der eine schon aufsteht, während der andere halt noch liest oder schläft; irgendwer kümmert sich um Frühstück oder halt nicht, man kann nochmal zum anderen unter die Decke schlüpfen, wenn derjenige partout noch nicht rauswill oder ähnliches. Es kostet weniger Planungsenergie oder überhaupt irgendeine Anstrengung, miteinander Zeit zu verbringen, wenn man unter einem Dach wohnt. So gerne ich unsere getrennten Wohnungen mag, so sehr vermisse ich eine gemeinsame an Sonntagmorgenden.
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Den Rest des Tages las ich das Terrorismusbuch weiter. Vermutlich werde ich es nicht komplett durchlesen können, weil ich es diese Woche in die Stabi zurücktragen muss; da hat ein Schlingel doch tatsächlich eine Vormerkung getätigt, bevor ich es verlängern konnte. Auch okay, schön, dass das Buch mehr Leser*innen kriegt.
Neben der schon gerühmten Schreibweise und des wirklich spannenden Inhalts konnte ich mir noch ein paar wissenschaftliche Konventionen abgucken. Bis zur Masterarbeit habe ich gefühlt jeden Satz mit einer Fußnote belegt, in dem eine Idee drinsteckte, die vielleicht nicht ganz allein meine war. Hier sah ich eine etwas entspanntere Herangehensweise: Man schreibt einen ganzen Absatz zu einem Thema und belegt dann in einer langen Fußnote die einzelnen Teile.
Überhaupt merkte ich mal wieder, wie gut es der eigenen Arbeit tut, andere zu lesen. Den Rat kriegt vermutlich jede Journalistin, jede Texterin, jede andere Wortarbeiterin irgendwann: „Wer schreiben will, muss lesen.“ Den halte ich auch immer noch für essentiell. Klar gibt es Genies, die aus dem Nichts einen Stil erfinden, aber ich persönlich habe gerne von anderen gelernt: Wieso funktioniert diese Headline jetzt? Wieso will ich diesen Film weitergucken und diesen hier nicht? Wie ist die Erzählstruktur aufgebaut? Wieso finde ich diesen wissenschaftlichen Aufsatz lesbar und strukturiert und diesen hier nicht? Wo ist der Unterschied? Neuerdings lese ich das FAZ-Feuilleton nicht nur wegen des Inhalts, sondern gucke mir besonders an, wie die Autor*innen in den Text reinkommen: Wo holt man die Leserin ab, und wie entlässt man sie nach 40 Zeilen wieder? Das ist gerade bei Ausstellungsbesprechungen ein ganz anderer Aufbau als der, den ich hier lustig im Blog anbiete, denn hier weiß ich um eine geneigte Leserschaft. Ich ahne, dass Zeitungsartikel – genau wie Werbetexte – nur ein, zwei Zeilen haben, um die Leserin zu überzeugen, ihre Zeit für die Lektüre herzugeben.
Auch deswegen freue ich mich sehr darüber, wenn ich wissenschaftliche Texte finde, die ich nicht nur lese, weil ich weiß, dass ich Informationen von ihnen brauchte, sondern schlicht, weil es ein Vergnügen ist, sie zu lesen.